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Guatemala

Trutz und Trotz

6. Juli 2025
Heiner Hug
Maria Consuelo Porras
Maria Consuelo Porras (Foto: Gobierno de Guatemala)

Die 71-jährige Generalstaatsanwältin Maria Consuelo Porras beschützt das guatemaltekische «Kartell der Korrupten» – ein Netzwerk aus Geschäftsleuten, Militärs und sogar mit Verbindungen zu Drogenkartellen und Menschenhändlern. Ihr Feind Nummer eins ist der Präsident des Landes. Er hat der Korruption den Kampf angesagt und muss jetzt um sein Leben fürchten.

Das Erstaunlichste am sozialdemokratischen guatemaltekischen Präsidenten Bernardo Arévalo ist, dass er noch da ist. In Lateinamerika leben Spitzenpolitiker, die gegen die Korruption und die Oligarchie kämpfen, oft nicht lange. Nirgendwo sonst sind politische Morde so häufig wie in Süd- und Zentralamerika. Als der Diplomat, Soziologe und Schriftsteller Bernardo Arévalo im vorletzten August völlig überraschend zum Präsidenten gewählt wurde, gaben ihm nicht viele eine Chance. Seine Wahl rief schnell die sehr reiche guatemaltekische Oberschicht auf den Plan. Seither zeigt sich der Präsident selten öffentlich. Er fährt in gepanzerten Autos, beschützt von einem Heer von Bodyguards.

Arévalos Wahl war ein Unfall. Die von der Oligarchie kontrollierte Wahlkommission hatte alle aussichtsreichen Kandidaten, die der Korruption den Kampf angesagt hatten, aus fadenscheinigen Gründen von der Wahl ausgeschlossen. Nur Arévalo nicht. Er lag in den Meinungsumfragen so weit zurück, dass die eigentlichen Machthaber im Land in ihm keine Gefahr sahen. In Umfragen wollten nur 0,7 Prozent der Befragten für ihn stimmen. Also durfte er kandidieren.

Putschgerüchte

Dann die grosse Überraschung: Im ersten Wahlgang im Juni 2023 eroberte er den zweiten Platz. In der Stichwahl im August wurde er mit 58 Prozent der Stimmen gewählt. Die korrupten Machthaber, das «Kartell der Korrupten» wie es in Guatemala heisst, fürchtete um seine Pfründe und sagte Arévalo den Kampf an.

Bernardo Arévalo
Bernardo Arévalo am 23. Juni 2025 in Guatemala City (Keystone/EPA/Mariano Macz)

An der Spitze dieses Kartells steht Generalstaatsanwältin Maria Consuelo Porras. Sie tat alles, um mit verschiedenen Strafverfahren einen Amtsantritt Arévalos zu verhindern. Viele Hinweise deuten darauf hin, dass sie versuchte, einen Putsch gegen den rechtmässig Gewählten zu inszenieren. Mehrmals hat sie gefordert, Arévalos Immunität müsse aufgehoben und seine Partei verboten werden. Trutzig und trotzig weigert sie sich, das Wahlergebnis anzuerkennen. 

Verbindungen zu Drogenkartellen und Menschenhändlern

Das Kartell der Korrupten besteht vor allem aus korrupten Geschäftsleuten, Mitgliedern des organisierten Verbrechens und Generälen im Ruhestand», sagt María Teresa Ronderos, Direktorin des Lateinamerikanischen Zentrums für investigativen Journalismus (CLIP). Ehrliche Staatsanwälte, Journalisten und Politiker wurden «brutal verfolgt», so Ronderso. Auch aktive Militärangehörige, Vertreter rechtsextremer Kreise und Geistliche gehören dem Kartell an. 

Porras habe «eine rechtsgerichtete politische Elite geschützt, die durch weit verbreitete Korruption und Verbindungen zu Drogenkartellen zu Reichtum gekommen ist». Diese einflussreichen Beamten und Geschäftsleute seien «in den gross angelegten Drogenhandel, den Menschenhandel und die Annahme von Bestechungsgeldern von ausländischen Unternehmen verwickelt», heisst es in einer Erklärung des «Organized Crime and Corruption Reporting Project» OCCRP, eines mehrheitlich staatlich finanzierten, in verschiedenen Ländern tätigen Netzwerks von Journalisten und Organisationen.

«Beteiligung an schwerwiegenden Korruptionsdelikten»

Porrs wurde nachgewiesen, dass sie Korruptionsfälle nicht untersuchte und verfolgte. Der frühere amerikanische Aussenminister Antony Blinken hatte schon im Mai 2022 wegen ihrer «Beteiligung an schwerwiegenden Korruptionsdelikten» ein Einreiseverbot in die USA für sie verhängt. Sie habe «wiederholt Ermittlungen zur Korruptionsbekämpfung in Guatemala behindert und untergraben, um ihre politischen Verbündeten zu schützen». Auch Gilberto de Jesús Porres de Paz, Porras’ Ehemann, steht auf der schwarzen Liste.

Unter ihr wurde der Beamtenapparat von prodemokratischen Beamten gesäubert. Immer wieder wurden Wohnungen von Beamten durchsucht. Einige wurden inhaftiert, andere mussten das Land verlassen. Porras soll  Staatsanwälten in der guatemaltekischen Staatsanwaltschaft befohlen haben, Fälle «aus politischen Erwägungen abzuweisen», hiess es im amerikanischen Aussenministerium. Staatsanwälten, die in Korruptionsfällen ermittelten, drohte die Entlassung. Margaret Satterthwaite, amerikanische Juristin, Professorin und Sonderberichterstatterin der Uno, schlug nach ihrem Besuch in Guatemala die Hände über dem Kopf zusammen. Im Land finde eine «systematische und organisierte Verfolgung» statt, sagte sie in einem Interview mit der spanischen Zeitung El País. 

810 Tage in Einzelhaft

Guatemaltekische Journalisten, die den Mut haben, im Korruptionssumpf zu recherchieren, leben gefährlich. So wurde José Rubén Zamora, der Gründer und Herausgeber der kritischen Zeitung «El Periódico» festgenommen, und zwar auf Druck von Maria Consuelo Porras. Das Blatt, das über 25 Jahre lang der korrupten Elite die Stirn bot, war Porras seit langem ein Dorn im Auge. Der Druck und Drohungen gegen die Journalisten und die Inserenten von El Periódico wurden so unerträglich, dass die Zeitung vor zwei Jahren ihr Erscheinen einstellen musste.

José Rubén Zamora
In Handschellen vor Gericht: José Rubén Zamora (Keystone/AP/Moises Castillo)

Zamora gehört zu den renommiertesten Journalisten des Landes. Verhaftet worden war er wegen «Geldwäsche». Er verbrachte 810 Tage in Einzelhaft. Die Anklagen bezeichnete er als politisch motiviert. Sie seien eine Vergeltung dafür, dass seine Zeitung das Kartell der Korrupten unter die Lupe genommen habe. Doch immerhin: Nach zweieinhalb Jahren im Gefängnis befahl Richter Erick García Alvarado, es sei nun genug. Aus Gründen «der Menschenrechte» entschied er, die Haftzeit habe die gesetzlich festgelegten Grenzen erreicht. Zamora wurde aus dem Gefängnis entlassen und unter Hausarrest gestellt. Maria Consuelo Porras hatte sich dagegen gewehrt. Der Prozess gegen ihn war eine Farce. Zeugen, die er aufbot, waren abgelehnt worden. Beweise, die er vorzulegen versuchte, wurden als «irrelevant» bezeichnet. 

Der Präsident, ein Intellektueller

Porras und ihre Getreuen tun das, was viele lateinamerikanische Machthaber immer zu tun pflegten. Sie bezeichnet jene, die gegen Armut, Elend und Ungerechtigkeit kämpfen, als Kommunisten. Arévalo wolle Guatemala in ein marxistisches Land verwandeln, behauptet sie. Doch mit dieser Argumentation liegt sie radikal daneben.

Den Intellektuellen Bernardo Arévalo würde man in Europa als gemässigten Sozialdemokraten oder Mitte-links-Politiker bezeichnen. Er ist der Sohn von Juan José Arévalo, des ersten frei gewählten Präsidenten Guatemalas, der von 1945 bis 1951 regierte. Bernardo Arévalo schloss sein Studium an der Hebräischen Universität Jerusalem in Israel mit einem Bachelor in Soziologie ab. Anschliessend promovierte er in Philosophie und Sozialanthropologie an der Universität Utrecht in den Niederlanden. Neben Spanisch spricht er Englisch, Französisch, Portugiesisch und Hebräisch. Er war Diplomat und stellvertretender Aussenminister, lebte mehrere Jahre in Genf und arbeitete als Berater für die Uno. Seine Hauptthemen sind Friedenskonsolidierung, Armutsbekämpfung und Konfliktlösung. Dazu hat er mehrere politische und soziologische Bücher geschrieben.

Armut, Kriminalität, Drogenhandel

Guatemala ist eines der ärmsten, korruptesten Länder der Welt. Laut Angaben der Uno leben heute 60 Prozent der Bevölkerung unter der offiziellen Armutsgrenze. 20 Prozent von ihnen vegetieren laut der Weltbank in extremer Armut. Rund die Hälfte aller Kinder unter fünf Jahren leidet an chronischer Unterernährung – eine der höchsten Raten weltweit.

Die Kriminalität und der Drogenhandel stürzen das Land weiter ins Verderben. Daneben gibt es eine sehr reiche Oberschicht, die Porras mit allen Mitteln schützt. Viele Menschen, vor allem junge, versuchten, dem Elend zu entrinnen und flüchteten via Mexiko in die USA. Das ist seit Trumps zweitem Amtsantritt kaum noch möglich. Im Gegenteil: Migranten, die schon lange in den USA lebten, werden nach Guatemala zurückgeschickt und belasten das Land zusätzlich. Trumps Massenausweisungen treffen Zentralamerika hart.

«Marxistische Erziehungslager»

Arévalo und seiner Regierung sind die Hände weitgehend gebunden. Im Parlament, das 160 Sitze zählt, verfügt seine Partei, das «Movimiento Semilla», nur über 23 Sitze. Verschiedene, oft korrupte und gekaufte parlamentarische Interessengruppen machen ein konstruktives Regieren oft unmöglich.

Die Kampagne gegen Arévalo läuft noch immer auf Hochtouren. Er wolle eine LGBT-Herrschaft errichten, da er sich dafür aussprach, dass auch Homosexuelle «vollwertige Menschen mit Rechten» seien. Er wolle die katholische Kirche «längerfristig abschaffen», wird behauptet. Auch einige fundamentalistische, evangelikale Freikirchen, die in Guatemala stark sind, haben sich gegen Arévalo verschworen. Der Präsident wolle den Eltern die Kinder wegnehmen, um sie in marxistische Erziehungslager zu stecken. 

Ist sie krank?

Um den Konflikt zu entschärfen, lud Arévalo im vergangenen Januar Porras zu einem Treffen mit dem Ministerrat ein. Doch die Generalstaatsanwältin behandelte den Präsidenten wie einen Schulbuben. Nach zehn Minuten verliess sie die Sitzung. Fragen des Präsidenten beantwortete sie nicht. Sie sagte, dies sei «nicht der legale Weg, um zu kommunizieren».

In jüngster Zeit gab Porras zu Spekulationen Anlass. Ist sie schwer krank? Schon im vorletzten Jahr fiel sie durch mehrmonatige Abwesenheit auf. Die Staatsanwaltschaft lehnte es ab, über ihren Gesundheitszustand zu informieren, was zu Vermutungen führte. Wo sie sich aufhielt, war unklar. Bilder wurden in Umlauf gebracht, die Porras an Sitzungen zeigte. Doch schnell wurden die Aufnahmen als Fälschung entlarvt. Jetzt tritt sie wieder öffentlich auf, allerdings sehr selten. Fragen von Journalisten lehnt sie ab. Immer wird sie eng von ihrem Beraterstab begleitet und abgeschirmt. Statements, die sie in ihrem Namen in den sozialen Medien abgibt, werden nicht ihr zugeschrieben.

Ihre Amtszeit läuft offiziell im nächsten Jahr ab. Wird sie dann wirklich abtreten? Oder geht sie schon früher aus gesundheitlichen Gründen? Doch selbst ihr Abgang würde das Machtkartell wohl nicht entscheidend schwächen. Die Demokratie Guatemalas bleibt fragil. Arévalo kämpft einen beinahe aussichtslosen Kampf gegen ein tief verankertes System der Korruption.

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