Der US-Präsident erteilte dem israelischen Premier Netanjahu in Mar-a-Lago einen Blankoscheck: Netanjahu sei ein Held, sagte Donald Trump, und um all das, was Israel unter Netanjahus Führung tue, mache er sich nicht im geringsten Sorgen – wenn es im Nahen Osten noch Probleme gebe, dann liege das an den «Anderen», in erster Linie der Hamas und an Iran, dessen Verhalten erneut eine ernsthafte Bedrohung für Israel sei. Der israelische Premier revanchierte sich u. a. mit der Aussage, Trump sei ein Glücksfall «für die ganze Welt».
Es war ein Treffen in Festlaune und Harmonie. Selbst über jenes Thema, das im Vorfeld des Besuchs von Netanjahu noch strittig schien, die Frage des israelischen Vorgehens im Westjordanland, gibt es jetzt offenkundig höchstens noch Kleinigkeiten zu regeln, die paar Meinungsverschiedenheiten würden, sagte Trump, demnächst beigelegt.
Kein Wort über die eskalierende Siedler-Gewalt und die Vertreibung von tausenden von Palästinensern aus ihren Dörfern und Städten, kein Wort über die von rechtsextremen Mitgliedern der Regierung Israels geäusserten Annexions-Absichten. Kein Wort auch über das Elend im Gaza-Streifen. Auch über ein weiteres, noch vor wenigen Tagen angeblich strittiges Thema, die diplomatische Anerkennung der von Somalia abgespaltenen Region Somaliland, gab es am Rande des Gipfeltreffens in Mar-a-Lago nur noch Harmonie-Worte: Der israelische Premier sei erfahren genug, um über dieses Thema selbst zu entscheiden, sagte Trump.
Israelischer Bannstrahl
Aus der Nähe betrachtet sieht fast alles anders aus. Im Gaza-Streifen herrscht bittere Not. Sie ist so gross, dass sich die Aussenminister von zehn Ländern (sogar die Schweiz ist dabei, neben, u. a., Grossbritannien, Frankreich und Kanada) veranlasst sahen, einen dringenden Appell an die Regierung Israels zu richten, Massnahmen zu treffen, um die humanitäre Lage zu verbessern.
Israels Führung zeigte sich unbeeindruckt: Das Parlament segnete sogar einen Erlass ab, der es 37 Organisationen verunmöglicht, den 2,2 Millionen Menschen im Gaza-Streifen Hilfe in Form von Nahrungsmitteln, Medikamenten und medizinischer Versorgung zu leisten. Unter den vom Bannstrahl Betroffenen sind Institutionen wie Médecins sans frontières, das International Rescue Committee und der Norwegian Refugee Council, denen Israel vorwirft, sie hätten Versäumnisse bei der Registrierung begangen. Besonders sanktioniert wurde das Palästinenserhilfswerk UNRWA, das bereits seit dem vergangenen März nicht mehr im Gaza-Streifen tätig sein, aber wenigstens noch gewisse Aktivitäten im Westjordanland ausführen konnte: Den UNRWA-Büros wurde nun auch noch der elektrische Strom abgestellt, und Israel erklärte, sämtliche Immobilien von UNRWA in Ost-Jerusalem würden enteignet.
Israel anerkennt Somaliland
Angesichts solcher Massnahmen im eigentlichen Konfliktgebiet rückte der aussenpolitische Schachzug der Regierung Netanjahu medial in den Hintergrund: die Anerkennung der von Somalia abtrünnigen Region Somaliland. Dies, obgleich die Entscheidung Israels mittelfristig weitgehende Konsequenzen haben könnte.
Somaliland, fast vier Mal so gross wie die Schweiz, 3,5 Millionen Einwohner, hat sich 1991 von Somalia losgetrennt. Es hat eine eigene Währung, ein eigenes Militär, eine eigene Gerichtsbarkeit und ein eigenständiges politisches System. Kein Land, weltweit, hat Somaliland bisher als eigenständigen Staat anerkannt – man tat so, als sei es weiterhin ein Teil Somalias, weil regionale Sezessionen allgemein als Verstoss gegen internationales Recht gelten.
Logistischer Stützpunkt im Kampf gegen die Huthis
Das ist die Theorie – die Praxis sieht allerdings etwas anders aus. Zahlreiche Länder (in erster Linie Äthiopien) unterhalten mit Somaliland wirtschaftliche Kontakte, einige investierten auch besonders in die Anlagen des Hafens der Küstenstadt Berbera. Der Grund: Somaliland liegt an einer strategisch exponierten Stelle, am Golf von Aden, also am östlichen Eingang zum Roten Meer. Es ist somit wichtig für die Schifffahrt nicht nur durch das Rote Meer, sondern auch durch den Suez-Kanal und somit die maritime Verbindung von Asien und dem Mittleren Osten in Richtung Europa. Kommt hinzu: Somaliland liegt gegenüber von Jemen.
Daraus erklärt sich das Interesse Israels. Die beiden Gebiete trennen zwar ca 2500 Kilometer, aber für die moderne Raketentechnik ist eine solche Distanz eher unwesentlich: Die Huthi-Rebellen in Jemen schossen, seit dem Beginn des Gaza-Kriegs in der Folge der Hamas-Attacke vom 7. Oktober 2023, hunderte Raketen auf Israel. Israel antwortete mit massiven Bombardementen von (echten oder angeblichen) Stellungen der Huthi im Jemen. Hätte Israel in dem Jemen gegenüberliegenden Somaliland eine Basis oder zumindest einen logistischen Stützpunkt, könnten seine eigenen Raketen oder Drohnen wirkungsvoller gegen die Huthi eingesetzt werden. Kurz: Israel könnte eine ihm feindlich gesinnte Kraft effizienter in Schach halten.
Palästinenser nach Somaliland?
Diese strategisch einleuchtende Erklärung für das Interesse Israels an Somaliland, ergänzen die Kommentatoren von nahöstlichen Medien gerne durch eine weitere. Sie erinnern daran, dass sowohl der amerikanische Präsident als auch zahlreiche israelische Politiker noch vor wenigen Monaten die «Vision» formulierten, man könne die 2,2 Millionen Gaza-Palästinenser in ein anderes Land umsiedeln. Sie nannten in diesem Zusammenhang Libyen, Südsudan und Somaliland. Jetzt stellen sie die Frage, ob diese «Vision« nicht wieder auf die Agenda gelangt sei. Auch wenn die Regierung Somalilands bestreitet, jemals mit israelischen Politikern über dieses Thema gesprochen zu haben und darauf verweisen, dass die Bevölkerung von Somaliland zwar Sympathien für die Palästinenser und Mitgefühl für das Leiden der Menschen im Gaza-Streifen habe, dass es in Somaliland aber auch eine klare Meinung gebe, dass man nicht Hand bieten wolle, um Israel zu helfen, das Palästinenserproblem durch Vertreibung zu lösen.
Sollte es doch dazu kommen, dass Israel einen Teil der Gaza-Palästinenser nach Somaliland deportiert, darf (oder muss) man sicher sein: Dann wird Donald Trump keine Einwände vorbringen. Dann wird er, einmal mehr, einen Grund finden, um die Staatskunst des israelischen Premiers zu loben.