Erst starb ein Afrikaner infolge von Schüssen aus der Waffe eines Polizisten. Es folgten Nächte der teils heftigen Tumulte. Nun erklingen völlig entgegensetzte Rufe – nach mehr Aufmerksamkeit für vernachlässigte Quartiere mit überwiegend ausländischer Wohnbevölkerung und nach einer ganz harten Gangart gegen Einwanderer.
Der Friedhof von Amadora, einem Vorort von Lissabon, stand an diesem Sonntag ganz im Zeichen der Trauer von rund 300 Frauen und Männern um Odair Moniz. In der Nacht zum letzten Montag hatte dieser 43 Jahre alte Einwanderer und dreimaliger Vater aus Cabo Verde infolge von Schüssen, die ein Polizist im Afro-Quartier Cova da Moura auf ihn gefeuert hatte, das Leben verloren. Er hat nun die letzte Ruhe gefunden. Auch in den Vororten der Hauptstadt kehrt langsam wieder Ruhe ein, nach Nächten der teilweise gewaltsamen Tumulte – mit brennenden Autos und Müllcontainern sowie zwei ausgebrannten Bussen, einer der Fahrer kam mit lebensgefährlichen Verbrennungen ins Spital. In der Justiz und in der Politik hat das Nachspiel um den Tod von Odair Moniz und die Tumulte aber erst begonnen.
Das unsichtbare Messer
Da ist erst einmal die Frage, was in der Nacht auf letzten Montag genau passiert ist. Odair Moniz soll mit einem Auto vor einer Polizeistreife ins stigmatisierte Quartier Cova da Moura mit seinen engen Gassen geflüchtet sein, dort mehrere Autos gerammt und sich schliesslich mit einem Messer gegen seine Festnahme gewehrt haben. Ein Messer ist auf Bildern einer Überwachungskamera aber nicht zu sehen. Auf Videos, die Bewohner aufnahmen, ist auch nicht zu sehen, dass die Polizeibeamten erste Hilfe geleistet hätten. Odair Moniz wurde von einem Rettungswagen in ein Spital gebracht und erlag dort seinen Verletzungen.
Gegen den Polizisten, der die Schüsse auf ihn abgab, laufen Ermittlungen wegen dieses mutmasslichen Tötungsdeliktes. Er war dem Vernehmen nach nur rund 20 Jahre alt und hatte erst ein Jahr im Dienst gestanden. Zu fragen ist da nicht zuletzt, warum die Polizei einen so jungen und relativ unerfahrenen Beamten in einer als problematisch eingestuften Gegend einsetzt. Erste Ermittlungen deuteten auf unverhältnismässige Notwehr hin.
Demonstrationen für und gegen Polizeigewalt
Schon am Samstag beteiligten sich mehrere Tausend Personen in Lissabon an einer friedlichen Demonstration mit der Forderung nach «Gerechtigkeit für Odair Moniz», mit Fahnen seines Heimatlandes. «Ohne Justiz kein Frieden» war auf Plakaten zu lesen. Es erklang zudem Kritik an einer allgemeinen Vernachlässigung der Quartiere mit überwiegend ausländischer Bevölkerung.
Ursprünglich hatte die Demonstration am Parlament enden sollen, die Organisatoren aber disponierten um, nachdem die rechtsextreme Partei Chega für die gleiche Zeit ebenfalls eine Demonstration anberaumt hatte, «für die Unterstützung der Polizei», ebenfalls mit dem Parlament als Ziel, und da galt es, allfällige Zusammenstösse zu vermeiden. An diesem Marsch beteiligten sich aber nur einige Hundert Frauen und Männer.
«Respektiert unsere Polizeikräfte» und «Banditen ohne Gesetz, Polizisten ohne Angst» stand auf Plakaten. «Wir müssten wieder die Todesstrafe einführen», hörte der Schreibende eine Frau sagen, um sie dann zu fragen, ob dies ihr Ernst sei. «Wollen Sie wirklich die Todesstrafe?» «Na ja, wenigstens die lebenslange Haft, wie sie André fordert», meint die Frau (Portugal hat die Todesstrafe 1867 abgeschafft, die höchste Haftstrafe dauert 25 Jahre). André, das ist André Ventura, Gründer und Führer von Chega, dessen Diskurs sich einst auf die Korruption konzentriert hatte, der sich mittlerweile aber voll auf die Einwanderung eingeschossen hat. Er bringt diese – ohne Beleg – mit einem Anstieg der Kriminalität in Verbindung und fordert ein Referendum über die Zuwanderung.
Strafanzeige wegen Schüren von Hass
Damit nicht genug. Wenn die Polizei mehr tödliche Schüsse abgäbe, würde mehr Ordnung im Land herrschen, meinte Pedro Pinto, Vorsitzender der Chega-Fraktion im Parlament, im staatlichen Fernsehen RTP, in einer Reaktion auf die Tumulte nach dem Tod von Odair Moniz. Er tat diese Äusserungen später als ironisch gemeint ab. Zahlreiche, teils prominente Persönlichkeiten, unter ihnen die ehemalige Justizministerin Francisca van Dunem, kündigten eine Strafanzeige gegen Pinto und Chega-Chef Ventura an, unter anderem wegen Schüren von Hass. «Ein Limit ist erreicht», sagte sie. «Für Demokraten könnten derartige Erklärungen nur ein Grund zur Empörung sein.» Aber auch die Tumulte der letzten Tage dürften strafrechtliche Folgen haben.
Ventura fand unterdessen, dass der Beamte, der die tödlichen Schüsse abgegeben hatte, eine Auszeichnung verdient habe.