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USA

Stirbt die Demokratie?

19. Juni 2019
Roman Berger
In den USA finden 2020 Präsidentschaftswahlen statt. Zwei amerikanische Politologen warnen und zeigen auf, wie in ihrem Land demokratische Institutionen ausgehöhlt werden.

„In God we trust“, heisst es auf der Dollar-Note. In den Vereinigten Staaten glaubt immer noch eine Mehrheit der Bevölkerung, in einem „von Gott auserwählten Land“ zu leben, das weltweit ein „Leuchtfeuer der Hoffnung“ sei. In ihrem Buch „Wie Demokratien sterben“ entwickeln die Harvard-Professoren Steven Levitksy und Daniel Ziblatt eine Gegenthese: Die amerikanische Demokratie ist keine Ausnahmeerscheinung und könnte – wie andere Demokratien auch – eines langsamen Todes sterben. 

Früher brachen Demokratien oft in einem Putsch oder einer Revolution zusammen. „Heute sterben Demokratien so langsam, dass es vielen nicht einmal auffällt“, schreiben Levitsky und Ziblatt.

Auf dem Weg zur Autokratie? 

Spätestens seit der Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten (2016) fragen sich immer mehr Menschen in den USA und in Europa, ob das Land zu einem autokratisch geführten Staat zu werden droht.

Die Autoren nennen Beispiele in Lateinamerika und Europa. Im Zentrum ihrer Analysen jedoch steht die Demokratie in den USA. So zitieren sie ausführlich den bekannten amerikanischen Historiker Richard Hofstadter, der 1964 den Essay „Der paranoide Stil in der amerikanischen Politik“ veröffentlichte. Hofstadter beschreibt darin das Phänomen der Statusangst, die immer dann auftrete, wenn die soziale Stellung, Identität und Zugehörigkeit einer Gruppe existentiell gefährdet zu sein scheinen. Dies führe zu einem „überhitzten, aggressiven und apokalyptischen Politikstil“. 

Mehr als ein halbes Jahrhundert nach der Veröffentlichung ist Hofstadters Essay aktueller denn je. Heute sind Feindseligkeit, Blockbildung und Polarisierung zu einem Merkmal der amerikanischen Politik geworden. Als Beispiel nennen Levitsky und Ziblatt das Phänomen der Tea-Party-Republikaner. Laut Umfragen haben die Anhänger dieser konservativen und rechtspopulistischen Protestbewegung den Eindruck, das Land, in dem sie aufgewachsen sind, verschwinde. Die Bewegung fühlt sich „bedroht von der raschen Veränderung“ und fremd in ihrem eigenen Land. Auf diesem Hintergrund war Donald Trumps Sieg keine Überraschung; er hat historische Wurzeln.

Anfällig für antidemokratische Führer

Levitsky und Ziblatt sind überzeugt: „Die Traditionen, auf denen die demokratischen Institutionen der USA beruhen, bröckeln.“ Damit öffne sich eine besorgniserregende Lücke zwischen der hergebrachten Erwartung, wie unser politisches System funktionieren sollte und wie es tatsächlich funktioniert. Das mache die Bevölkerung anfällig für antidemokratische Führer.

Was Präsident Trump jedoch von seinen Vorgängern wirklich unterscheidet, ist seine Bereitschaft, ungeschriebene Regeln zu verletzen, die für eine funktionierende Demokratie unerlässlich sind. Zu diesen seit Langem geltenden Normen gehört die Trennung von privaten und öffentlichen Angelegenheiten, was Nepotismus und Korruption verhindern soll. Zwar ist es Präsidenten gesetzlich verboten, Familienmitglieder ins Kabinett oder in Behörden zu berufen, doch dies gilt nicht für den Mitarbeiterstab des Weissen Hauses. Deshalb handelte Trump, als er seine Tochter Ivanka und seinen Schwiegersohn Jared Kushner auf hohe Beraterposten berief, rechtskonform. Aber er verstiess gegen den Geist des Gesetzes.

Einzigartig in der Geschichte der USA ist Trumps Verhältnis zu den Medien. So gehören Journalisten in seinen Augen zu den „unehrlichsten Menschen auf der Erde“. Medien wie der New York Times, der Washington Post oder dem TV-Kanal CNN warf der US-Präsident wiederholt vor, sie würden Lügen und Fake-News verbreiten. Präsident Trump selber verbreitet jeden Tag Lügen und Fake-News, wie ihm die Washington Post vorgerechnet hat. (Journal 21, 19.05.2019)

Rettung der Demokratie oder Scheinsieg?

In ihrem letzten Kapitel „Die Demokratie retten“ versuchen die Demokratie-Forscher zu erklären, wie die US-Demokratie trotz allem überleben könnte. Selbst wenn es den Demokraten in den USA gelingen sollte, Präsident Trump 2020 abzuwählen oder aus dem Amt zu entfernen, wäre dies nur ein Scheinsieg. Denn die Opposition würde eine Demokratie erben, die auch die letzten schützenden Leitplanken verloren hätte. Damit meinen die Autoren wichtige ungeschriebene Regeln und Normen. Sie vergleichen sie mit überlebenswichtigen Elementen wie Sauerstoff oder sauberem Wasser. Erst dann realisiere man, wie wichtig Normen sind, wenn sie fehlen. 

In der amerikanischen Politik finden sich überall ungeschriebene Regeln, von der Arbeitsweise des Senats bis zum Format der präsidialen Pressekonferenzen. Aber zwei Normen seien für das Funktionieren einer Demokratie besonders wichtig: „Gegenseitige Achtung und institutionelle Zurückhaltung“. Gegenseitige Achtung bedeutet: politische Rivalen zu respektieren, solange sie die Verfassungsregeln achten. „Politische Gegner sind keine Feinde.“

Die Autoren plädieren für „wirkungsvolle Koalitionen“, in denen sich Gruppen zusammenfinden, die in vielen Fragen unterschiedliche, ja gegensätzliche Ansichten vertreten. Eine wirkungsvolle Koalition zur Verteidigung der amerikanischen Demokratie müsste Progressive, Geschäftsleute und Unternehmer, religiöse und insbesondere evangelikale Führer und ihre Anhänger umfassen, die Trump gewählt haben.

„Beim Schreiben dieses Buches“, so geben Steven Levitksy und Daniel Ziblatt zu bedenken, „wurden wir daran erinnert, dass die amerikanische Demokratie keine solche Ausnahme ist, wie wir manchmal glauben. Weder unsere Verfassung noch unsere Kultur machen uns immun gegen einen Zusammenbruch der Demokratie.“ – Hoffentlich wird dieser Weckruf zur Rettung der Demokratie auch gehört, in den Vereinigten Staaten, in Europa und anderswo.

Steven Levitsky, Daniel Ziblatt: Wie Demokratien sterben, Deutsche Verlags-Anstalt, 2018, 2. Auflage.

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