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Stark in der Wählergunst, bringt aber kaum Lösungen

24. Oktober 2025
Beat Allenbach
SVP
Eine Hellebarde vor der Schweizerfahne während der Delegiertenversammlung der SVP am Samstag, den 16. August 2025, in Schaffhausen (Keystone/Christian Merz)

Die grösste Partei der Schweiz hat im Bundesrat mit einer Zweiervertretung eine starke Position. Doch oft gefällt sie sich in der Rolle der Opposition.

Die SVP nutzt das Sprichwort «Steter Tropfen höhlt den Stein». So wettert sie stets gegen Europa, gegen Einwanderer, gegen Asylsuchende, gegen die Aufgabe der Neutralität. Und damit hat sie Erfolg. Ist die Lega dei Ticinesi ihr Vorbild? Lega-Gründer Giuliano Bignasca und seine Gefährten schimpften seit 1990 in ihrem Sprachrohr «Il Mattino della domenica» über die Europäische Union, die Italiener, die Grenzgänger, die Asylsuchenden, auch über Bern. Seit etwa 20 Jahren schlägt die an Bedeutung gewinnende Tessiner SVP in die gleiche Kerbe. Die Wirkung: Erfolge der beiden Parteien in Abstimmungen und in Wahlen. Das Tessin glitt gleichwohl in eine nicht nur finanzielle Krise.

Doch was will die mächtige SVP, die von einem grossen Teil der Presse begleitet und verstärkt wird? Die quasi Oppositionspartei mit zwei Bundesräten in entscheidenden Departementen? 

Sie verlangt den Austritt aus dem Europarat, was nicht erstaunlich ist, denn alles was aus dem Ausland kommt – abgesehen von den reichen Ausländern, den internationalen Konzernen und den ertragsreichen Geschäften – ist der SVP verdächtig. Sie schwelgt in der Erinnerung einer Schweiz der Mythen: Rütlischwur, Wilhelm Tell, Schlacht am Morgarten. Diese Mythen sind wunderbare, die Phantasie anregende Erzählungen, doch sollte man ihnen nicht mehr Glauben schenken als den historischen Ereignissen, die durch Dokumente bestätigt sind. Tatsachen zu ignorieren, führt uns in die Sackgasse. Beispiel: die kategorische Ablehnung der Forschungsberichte zur Schweiz im 2. Weltkrieg, des sogenannten Bergier-Berichts. 

SVP will auch Pariser Klimaabkommen künden

Im Zusammenhang mit dem Europarat ist nicht unwichtig, dass der kürzlich verstorbene populäre Zürcher SVP-Nationalrat Alfred Heer, ehemals Präsident der Schweizer Delegation beim Europarat, vor nicht langer Zeit für alt Bundesrat Alain Berset – ein Sozialdemokrat – als neuen Generalsekretär des Europarates geworben hat. Das zeigt, dass die SVP, die auf Geschlossenheit drängt, es hinnehmen muss, dass prominente Mitglieder nicht immer auf Parteilinie sind. Es sind schon Parlamentarierinnen und Parlamentarier auf Bundes- und Kantonsebene als Kandidaten von den Wahllisten gestrichen worden. Besonders Regierungsräte unterstützen manchmal Entscheide im Widerspruch zur Parteileitung. Kaum kompromissbereit ist die Parteispitze. Sie versucht immer wieder, ihre Projekte gegen die anderen bürgerlichen Parteien durchsetzen. Ein paar Beispiele.

Die SVP hat vor Monaten angekündet, dass die Schweiz aus dem Pariser Klimaabkommen und weiter aus der Weltgesundheitsorganisation (WHO) mit Sitz in Genf austreten solle. Der finanzielle Aufwand und die bürokratischen Auflagen seien zu teuer und würden die Handlungsfreiheit unseres Landes einschränken. Diese Forderung steht im Widerspruch zur Politik des Bundesrats und der anderen Parteien. Die Klimakrise scheint die SVP ignorieren zu wollen. Es ist erstaunlich, dass jene Partei, welche die traditionelle Familie ins Zentrum stellt, sich nicht darum kümmert, ob heute geborene Kinder, im Jahr 2100, also in knapp 80 Jahren, erträgliche Lebensbedingungen vorfinden werden.

Präsident Dettling verbrannte am ersten August die EU-Verträge 

Die von Bundesrat ausgehandelten neuen Verträge mit der Europäischen Union (EU) bezeichnet die SVP als Unterwerfungsverträge. Eine negative, kämpferische Bezeichnung, die aufzeigt, dass keine Bereitschaft besteht, eine Diskussion über Vor- und Nachteile der Abkommen nur schon zu beginnen. Wie ernsthaft die SVP die neuen Verträge mit der EU prüft, zeigt ihr Präsident Marcel Dettling. In einem Video zum ersten August, das er ins Netz stellte, sehen wir den SVP-Präsidenten, an seiner Hellebarde einen aufgespiessten Cervelat, der an den angezündeten über 2000 Seiten der Verträge gebraten und danach verzehrt wird. Zu mehr als fürs Verbrennen würde das Vertragspaket nicht taugen, sagte Dettling.

Die Volksinitiative, wonach die absolute Neutralität in der Bundesverfassung verankert werden soll, würde eine Bevormundung des Bundesrats bedeuten. Sie nähme der Regierung die Möglichkeit, die Neutralität je nach internationaler Situation zu gestalten. Die SVP will, dass die Schweiz keine Sanktionen verfügen darf, die nicht vom UNO-Sicherheitsrat erlassen werden. Das bedeutet im Falle des Krieges in der Ukraine, dass der eindeutig feststehende Angreifer, Russland, und der Angegriffenen, die Ukraine, genau gleich behandelt werden müssten. Das hiesse: keine Sanktionen gegen Putins Russland, also eine klare Bevorzugung des Aggressors gegenüber dem Angegriffenen. Die SVP tut, als ob in der nach dem 2. Weltkrieg geschaffenen Uno-Charta der Krieg als Mittel zur Lösung eines Konfliktes nicht geächtet und verboten worden wäre. Russland verletzt mit seinem Krieg gegen einen unabhängigen Staat die Uno-Verträge und die Genfer Konventionen. Die vielen «Putinversteher» in der mächtigsten Partei der Schweiz – u. a. Christoph Blocher – entlarven sich: Ihnen passt das konservative Gesellschaftsbild des Kremlherrschers, das an den Normen festhält, wie sie im Bereich der Familie bei uns noch im ersten Teil des 20. Jahrhunderts galten. Putin duldet nicht, dass Russinnen und Russen eine etwas andere Meinung äussern, denn er ist ein Diktator und verachtet die Demokratie, auf die wir in der Schweiz stolz sind. Das alles scheint manche SVP-Politiker nicht zu stören. 

Gegen unabhängige Information

Die Halbierungsinitiative der SVP ist ein typischer Vorstoss einer rechten, populistischen Partei, die mit Schlagworten und Scheinlösungen die Wählerinnen und Wähler auf ihre Seite bringen will. Eine klare unabhängige Information, die auf Tatsachen beruht und die Hintergründe ausleuchtet, verdirbt ihr das populistische Spiel, Bürgerinnen und Bürger für sich einzunehmen. Sie ist ebenfalls unbequem für die Mächtigen. Alle Regimes, die sich demokratisch nennen, aber von Autokraten wie Viktor Orbán, Recep Tayyip Erdoğan und (jetzt) Donald Trump regiert werden, machen Jagd auf unabhängige Journalistinnen und Journalisten, d. h. die Pressefreiheit wird praktisch aufgehoben. In diesen Ländern gibt es kaum noch freie, unabhängige Medien. Das gilt sogar für die USA, obschon dort die Pressefreiheit sowie die Meinungsfreiheit in der Verfassung fest verankert sind. Es gibt triftige Argumente, die Initiative zur Verstörung der in allen Sprachregionen verankerten SRG wuchtig abzulehnen. Die SRG ist ein seltenes Beispiel der Solidarität zwischen den Sprachregionen: Die italienische Schweiz erhält z. B. viel mehr Gelder als ihre Hörerinnen und Hörer an Gebühren bezahlen, was zulasten der deutschsprachigen Schweiz geht. Es ist notwendig, die SRG als solidarische schweizerische Organisation zu erhalten. Das bedeutet nicht, dass ihre Sendungen nicht kritisiert werden sollen; über den Inhalt darf, besser noch soll, mit den Verantwortlichen gestritten werden. 

Initiativen mit nicht klaren Folgen

Seit Christoph Blocher in den 80er Jahren die prägende Figur der SVP wurde, hat die Partei die Politik des James Schwarzenbach weitgehend übernommen. Dieser war im Jahr 1969 im Parlament mit seiner ausländerfeindlichen Volksinitiative ganz allein, konnte aber im Juni 1970 in der Volksabstimmung 47% der Schweizer Männer für ein Ja gewinnen. Im Unterschied zu damals ist die ausländerfeindliche Kraft heute die grösste Partei. Die SVP hat wieder eine Volksinitiative im Parlament, deren Annahme wohl das Ende der Freizügigkeitsabkommen mit der EU bedeuten würde. Ihre Initiativen sind oft etwas unklar formuliert, so dass man nicht auf den ersten Blick sieht, was deren Annahme genau bedeutet. 

Weniger Einwanderer nur mit weniger Wirtschaftswachstum

Die SVP möchte als Partei anerkannt werden, welche Lösungen für unser Land aufzeigt. Doch das gelingt ihr kaum. Die mächtige Partei macht wenig, um z. B. die Zahl der ausländischen Arbeitskräfte zu senken. In den Kantonen ist die SVP stets bereit, die Steuern zu senken, um reiche Ausländer und internationale Unternehmen in die Schweiz zu locken. Das bedeutet nicht nur mehr reiche Leute, sondern auch mehr ausländische Arbeitskräfte, darunter Manager, Ingenieure, Facharbeiter und Handlanger. Solange die SVP sich dafür einsetzt, die Wirtschaft zu stärken, solange wird die Wirtschaft und die ausländische Bevölkerung wachsen. Man gewinnt den Eindruck, für die Unternehmen sei es einfacher, aus dem grossen europäischen Reservoir die besonders qualifizierten Personen anzustellen, als Einheimische einzuführen oder zu schulen. Das ruft kaum Kritik von SVP-Politikern hervor. Die bereits in der Schweiz lebenden Ausländer, auch vorläufig aufgenommene Asylsuchende, könnten von Wirtschaft und Kantonen besser unterstützt werden, um eine Arbeit zu finden. Ihre akademische Bildung könnte gezielt genutzt und ergänzt werden, damit sie eine angemessene Beschäftigung antreten können. So würde die Wirtschaft zusätzliche Arbeitskräfte gewinnen, ohne dass die Zahl der ausländischen Bevölkerung steigt. Doch die SVP war und ist stetes gegen erleichterte Eingliederung der Ausländer. Sie reicht sogar laufend parlamentarische Vorstösse ein, um den Asylsuchenden und vorläufig Aufgenommenen, das Leben zu erschweren. In letzter Zeit erhält die SVP dafür vermehrt Zustimmung der bürgerlichen Politikerinnen und Politiker. 

Wie es die SVP schafft, gemäss den neusten Umfragen noch mehr Menschen als Wählerinnen und Wähler zu gewinnen, bleibt ein Rätsel.

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