Zehn Morde, aus Ausländerhass begangen von Rechtsextremen, die trotz massiven Einsatzes von V-Leuten und der Polizei erst durch Zufall aufgeklärt wurden. Dazu der Einsatz von Überwachungssoftware, auf deren katastrophale Nebenwirkungen erst der Chaos-Computer-Club aufmerksam machte: Das sind Vorgänge, die in Deutschland das Vertrauen in die Ermittlungsbehörden erschüttern.
Die Morde haben mehr Staub aufgewirbelt als die Software. Die Reaktionen auf beide Vorgänge werden von einzelnen Medien im Ausland als typisch deutsche Hysterie abgetan. Das ist eine Fehleinschätzung. Das Problem, das beide Vorgänge unterschwellig miteinander verbindet, liegt in der Rolle der Überwachungs- und Strafverfolgungsbehörden. Indem sie Verbrechen aufklären wollen, machen sie sich wie im Falle des Rechtsextremismus in Teilen zu kriminellen Mitspielern oder sie brechen wie im Falle der Überwachungssoftware elementare Schutzrechte der Bürger. Das ist kein deutsches Problem allein. Auch andere Staaten haben schwer zu kontrollierende "Dienste".
V-Leute als stumme Zeugen
Rechtsextremismus: Um ihn unter die Lupe zu nehmen, schleusen die Verfassungsschutzämter der Länder und des Bundes sogenannte V-Leute ein. Diese Prozedur war vor gut einem Vierteljahrhundert Gegenstand lebhafter Debatten. Als ein entsprechendes Gesetz ausgearbeitet wurde, machten Kritiker auf die ganze Problematik aufmerksam: V-Leute können ihren Auftrag nur dann erfüllen, wenn sie sich in der jeweiligen kriminellen Vereinigung selbst wie Kriminelle verhalten. Tun sie das nicht, werden sie niemals in die innersten Zirkel vordringen.
Und so kam es, dass V-Leute von den verschiedensten staatlichen Diensten in den rechtsextremistischen Kreisen tätig waren, aber der Staat bei den Morden zur Aufklärung nichts beitragen konnte. Ganz im Gegenteil wurden von den Polizeibehörden im Zusammenhang mit den sogenannten Döner-Morden behauptet, dass die Motive für die jeweiligen Verbrechen im Umfeld und damit im Verhalten der Ermordeten selbst zu suchen seien. Es handele sich also um „Milieutaten“. Dieser Vorgang ist so ungeheuerlich, dass sich der Bundestag in einer aktuellen Stunde am 22. November 2011 veranlasst sah, sich bei den betroffenen Familien ausdrücklich für dieses Staatsversagen zu entschuldigen.
Das Fiasko des NPD-Verbotsverfahrens
Dieses Staatsversagen ist kein einmaliger Ausrutscher. So wollte die Regierung Schröder die rechtsextremistische NPD verbieten und reichte am 30. Januar 2001 einen entsprechenden Antrag beim Bundesverfassungsgericht ein. Ende März 2001 stellten zusätzlich der Bundestag und der Bundesrat eigene Verbotsanträge. Das Ganze endete in eine Fiasko. Denn das Bundesverfassungsgericht stellte das Verfahren am 18.März 2003 aus Verfahrensgründen ein, nachdem bekannt geworden war, dass die NPD mit V-Leuten des Verfassungsschutzes durchsetzt war. Und als ob das nicht schon katastrophal genug wäre, ist es heute immer noch so, dass in den einzelnen Verbänden der NPD diverse V-Leute der verschieden Geheimdienste der Länder und des Bundes tätig sind, die natürlich voneinander nichts wussten und wissen. - Wäre Friedrich Dürrenmatt ein Zyniker gewesen, hätte er einen solchen Plott auf die Bühne gebracht.
Computerüberwachung: In den 90er Jahren wurde im Bundestag noch erbittert über das Abhören von Telefonen und das heimliche Belauschen von Gesprächen in Wohnungen - „Lauschangriff“ - gestritten. Seitdem die Kommunikation weitgehend über Computer läuft, müssen sich entsprechend die Ermittlungen verlagern. Also haben die Länder und der Bund von einer Software-Firma, DigiTask (1), Programme gekauft, die die Ausspähung von Computern erlauben – alles natürlich in dem vom Gesetzgeber gesetzten Rahmen.
Eingeschmuggelte "Beweise"
Mitglieder vom Chaos-Computer-Club haben ausgerechnet in der gutbürgerlichen Frankfurter Allgemeinen Zeitung darauf aufmerksam gemacht, dass die staatlichen Behörden nicht wissen, was sie tun – wenn man auch ihnen gegenüber die strafrechtlich relevante Unschuldsvermutung gelten lassen will. Denn die Programme von DigiTask spähen nicht nur die Kommunikationen wie über Skype aus – das wäre noch vom Gesetz gedeckt -, sondern lesen im gesamten Computer wie in einem offenen Buch. Jeder Klick des Nutzers, jede besuchte Website, jede Mail ist für die Behörden abruf- und einsehbar.(2)
Auch dieser Skandal lässt sich steigern. 2. Stufe: Die Spionagesoftware ermöglicht es auch, eventuell eingebaute Kameras und Mikrofone bei den Computern zur Überwachung der sie umgebenden Räume zu nutzen. Gab es mal eine Diskussion über die Zulässigkeit des Lauschangriffs? - Selten so gelacht. Dritte Stufe: Die von DigiTask gelieferte Software ist so dilettantisch gestrickt, dass sie leicht gehackt und von Dritten benutzt werden kann. Dazu bietet sie noch eine weitere fantastische Möglichkeit. Denn mit ihrer Hilfe lassen sich Inhalte auf die jeweiligen Computer übertragen, von denen der Nutzer nichts weiss, aber die sich wunderbar als Beweismittel gegen ihn verwenden lassen. Oder als Mittel zur Erpressung.
Skandale - zugedeckt durch Bilder
Das alles klingt so abwegig, dass man es für die Ausgeburt kranker Phantasien halten könnte. Aber alles das ist eine Realität - allerdings nur für eine vergleichsweise gut informierte Minderheit. Die erfährt davon in den anspruchsvolleren Zeitungen oder einschlägigen Internetforen. Und es sind nur die seriöseren Zeitungen, die die Politiker zu ernsthaften Stellungnahmen veranlassen. Dort widersprechen ihnen auch die Kritiker.
In den eigentlichen Massenmedien gibt es bebilderte Berichte. Da sieht man zum Beispiel Bilder von einer spektakulären Explosion in Zwickau, Bilder im Zusammenhang mit dem weitgehend aufgeklärten Mord an einer Polizistin im Jahr 2007, Bilder von Waffenfunden und von der Gedenkfeier im Bundestag. Bilder, hinter denen die eigentlichen Skandale nahezu unsichtbar werden.
Flink im Zwielicht
Eigentlich müsste ein Aufschrei durch das Land gehen. Eigentlich müssten Politiker und die ihnen zugeordneten Behördenvertreter gefragt werden, ob sich der Staat nun endgültig im Rechtsbruch eingerichtet hat. Aber bewahre – natürlich hat er das nicht. Was kann denn der Staat dafür, dass sich die von ihm eingesetzten V-Leute verselbständigen? Was kann er dafür, dass sie ein Eigenleben führen und kein Interesse daran haben können, ihren Vorgesetzten Informationen zu geben, die in der Konsequenz ihrem Treiben ein Ende machen würden? Oder wie Nils Minkmar schreibt: „Die grossen, durch niemanden kontrollierten Apparate schaffen sich den Gegenstand, der ihre Existenz rechtfertigt, irgendwann selbst: als dürften Drogenfahnder auch mit Mohnsamen umgehen.“ (3)
Und was die Spionagesoftware angeht: Alle Experten sagen, dass diese nur beurteilt werden könne, wenn der Hersteller den Experten den Quellcode offenbart. Bis heute aber verfügen die Behörden, die diese Software gekauft haben und einsetzen, darüber noch nicht. Verhandlungen darüber seien im Gange, wird versichert. Und es werde auch an die Entwicklung einer eigenen Durchsuchungssoftware gearbeitet, aber das sei sehr teuer und langwierig. Sollen wir wirklich glauben, dass sich der Staat als Kunde gegenüber einer Softwarefirma nicht durchsetzen kann? Immer wieder fällt auf: Im Graubereich sind die Behörden flink, wenn auch nicht effizient. Wird aber das Licht der Legalität eingeschaltet, verschwinden die Verantwortlichen wie Küchenschaben.
(1) Vergleiche dazu den Eintrag über DigiTask in der Wikipedia. Er liest sich wie ein Steckbrief.
(2) Ausführliche Beitrag von Frank Rieger, „Anatomie eines digitalen Ungeziefers“, in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung vom 9. Oktober 2011
(3) Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung vom 20. November 2011