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Ventilklausel

Sprach-Akrobatik [82]

25. April 2013
Journal21
Ventilklausel – eine menschenverachtende Metapher hat sich etabliert.

Im Text des Freizügigkeitsabkommens (FZA) der Schweiz mit der EU (am 21. Juni 1999 noch mit der EG abgeschlossen) kommt das Wort «Ventilklausel» nicht vor. Auf der Website der Bundesverwaltung zur Europapolitik der Schweiz erscheint es im Abschnitt «Personenfreizügigkeit» lediglich in Klammern. Der Absatz lautet:

Das FZA führt schrittweise die Grundregeln der Personenfreizügigkeit zwischen der Schweiz und der Europäischen Union (EU) ein. Es legt Übergangsfristen fest, in denen die Zuwanderung eingeschränkt werden kann. Während den Übergangsfristen können Inländervorrang und vorgängige Kontrollen der Lohn- und Arbeitsbedingungen aufrecht erhalten werden, ausserdem kann die Zahl der Aufenthaltsbewilligungen beschränkt werden (Kontingente). In einer späteren Phase kann zudem nach Ablauf der Kontingentsregelung bei einer überdurchschnittliche Zuwanderung die Zahl der Aufenthaltsbewilligungen zeitweilig beschränkt werden (Ventilklausel).

Der Begriff «Ventilklausel» ist eine jener politischen Metaphern, die es erleichtern, komplizierte Regelungen im diplomatischen und vor allem journalistischen Tagesgeschäft zu handhaben. Solche Verknappungen und Veranschaulichungen sind nötig, und oftmals gelingen hierfür frappante Sprachschöpfungen. So wurde das Währungssystem der EG vor der Einführung des Euro mit einem exemplarisch bildhaften Wort als «Währungsschlange» bezeichnet. Weniger geglückt ist hingegen die terminologische EU-Kreation «Rettungsschirm». Selbst wenn man zugestehen wollte, dass die damit benannten Verfahren tatsächlich «retten», bleibt doch unklar, welche konkrete Bildvorstellung hinter der Metapher steckt.

Um Unterschied dazu ist das Wort «Ventilklausel» durchaus anschaulich. Allerdings nicht zu seinem Vorteil! Es ruft das Bild der Schweiz als eines luftdichten Behälters hervor, der mit einem Ventil versehen ist, damit er bei Überdruck – sprich: zu vielen ausländischen Einwohnern – nicht platzt. Mit dieser Metaphorik sind wir bei einer politischen Sprache, die Zuwanderer je nachdem zur «Masse», zur «Flut» oder eben zum bedrohlichen Überdruck erzeugenden Zustrom apostrophiert.

Wenn jetzt europäische Länder gegen die «Anrufung der Ventilklausel» durch die Schweiz protestieren, spielt dabei der abwertende Gehalt dieses Begriffs wahrscheinlich auch eine Rolle. Wo immer Menschen durch sprachliche Gedankenlosigkeit zur unerwünschten bedrohlichen Masse erklärt werden, sollten die Warnlampen angehen. «Ventilklausel» wurde schon 2009 zum «Unwort des Jahres» gekürt. Genützt hat es nichts; es hat heute einen quasi-offiziellen Status. (Urs Meier)

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