Direkt zum Inhalt

Hauptnavigation

  • Politik
  • Kultur
  • Wirtschaft
  • Gesellschaft
  • Medien
  • Über uns
close
Sprach-Akrobatik

Sperrmüll

19. Februar 2021
Stephan Wehowsky
Wohin mit alten Sachen? Es wäre schön, wenn sich Interessenten fänden. Wenn nicht, taucht ein böses Wort auf.

Viele Dinge werden im Laufe der Zeit unbrauchbar. Also wirft man sie weg. Aber es gibt treue Begleiter, deren Nutzen im Grunde nie vergeht. Möbel gehören dazu. Manche Möbel sind mit einem über mehrere Stationen gewandert. Aber eines Tages gibt man Wohnräume auf oder bezieht andere, und nun reicht der Platz nicht mehr. Wohin mit den alten Möbelstücken, wenn sie nicht gerade Antiquitäten sind und sich auch keine Sammelstelle mehr finden lässt? Plötzlich dämmert der Begriff: Sperrmüll. Eine Sperrmüllabfuhr muss her!

Dieses neue Wort für lieb gewordene Sachen ist durchaus schockierend. Findet doch mit der Umwortung schlagartig eine Umwertung statt. Die langjährigen Begleiter werden von einem Moment zum anderen zu Müll, nicht weil die alten Sessel plötzlich durchgesessen wären oder die Regale ihre Tragfähigkeit eingebüsst hätten. Sie sind nicht von sich aus zu Müll geworden, sondern sie werden deshalb zu Müll erklärt, weil niemand mehr da ist, der noch etwas mit ihnen anfangen kann.

Es gibt ganz sicher sehr viele Menschen, die darin nicht das geringste Problem sehen. Sie denken und empfinden über den Nutzwert nicht hinaus. Entsprechend funktional ist die Bedeutung der Worte: Ein Sessel ist so lange ein Sessel, wie Leute darauf sitzen wollen. Ist diese Zeit vorbei, haben wir es mit Müll zu tun.

Überhaupt kann man ins Grübeln kommen: Sitze ich über Jahre hinweg auf einem Sessel oder bloss auf noch nicht deklariertem Sperrmüll? Natürlich soll man immer das Ende bedenken, nicht zuletzt in Bezug auf das eigene Leben. Aber wer ständig ans Ende denkt, führt eine traurige Existenz. Und es wäre absolut deprimierend, sich bei jeder Neuanschaffung schon den Moment vorzustellen, in dem das gute Stück zerkleinert in irgendeinem Müllcontainer landet.

Aber sind Gebrauchsmöbel nicht doch mehr als ihr Gebrauch? Der Regisseur Wim Wenders hat einmal (1983 in Gila Bend, Arizona) mit grosser Sorgfalt Sessel in der Lounge eines längst aufgegeben Hotels fotografiert. Zu diesem Bild bemerkte er:

Ich wüsste gerne
wie lange schon
kein Mensch mehr
in diesen Sesseln gesessen hat.
Sie schienen uns nicht sonderlich zu vermissen,
sondern waren
untereinander
tief ins Gespräch vertieft.
 

Letzte Artikel

Howard Zinns Vermächtnis

Heiko Flottau
12. August 2022

Russland schwer getroffen

Daniel Woker
12. August 2022

Marina Owsjannikowa

12. August 2022

Schrille Töne in der Ägäis

Daniel Funk
11. August 2022

Mauern, soweit das Auge reicht

Fabrizio Brentini
11. August 2022

«Dramatische Eskalation»?

Heiner Hug
10. August 2022
Zurück zur Startseite
Journal 21 Logo

Journal 21
Journalistischer Mehrwert

Fußzeile

  • Kontakt
  • Datenschutz
  • Impressum
  • Newsletter
To top

© Journal21, 2021. Alle Rechte vorbehalten. Erstellt mit PRIMER - powered by Drupal.