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Sprach-Akrobatik

Sogenannt

10. Juli 2015
Stephan Wehowsky
Dieses Wort ist absolut toxisch.

Wenn man etwas entwerten, lächerlich machen oder gleich ganz in den Boden rammen möchte, dann muss man nur „sogenannt“ davor setzen. Damit ist das entscheidende Signal gesendet: Das, was dir etwas wert ist, löst bei mir nur Hohn und Verachtung aus.

„Bitte fahren Sie ihr sogenanntes Auto von meiner Garageneinfahrt weg.“ - Das klingt allemal vernichtender, als wenn man seinen Ärger zeigen und etwa „Karre“ sagen würde.

Das Wort „sogenannt“ eignet sich auch für übelste Attacken, die völlig unerwartet aus dem Hinterhalt kommen: „Sie sind herzlich eingeladen und ihre sogenannte Gattin natürlich auch.“ Eine solche - sogenannte - „Einladung“ wäre nichts anderes als der Eingang zur Hölle quälender Zweifel und Grübeleien. Was stimmt nicht mit der Gemahlin?

Àpropos peinliche Zweideutigkeiten: Dominique Strauss-Kahn liebte gewisse Partys mit Teilnehmerinnen, die für ihre Anwesenheit und sonstiges bezahlt wurden. Er behauptete, er habe gemeint, dass es sich dabei um Sekretärinnen gehandelt habe. Hätte er von „sogenannten Sekretärinnen“ gesprochen, hätte er wenigstens die Lacher auf seiner Seite gehabt.

„Sogenannt“ signalisiert, dass ein Begriff benutzt wird, der der Sache überhaupt nicht angemessen ist. „Was soll diese sogenannte Reparatur kosten?“ - Da weiss der Handwerker, wie hoch seine Dienstleistung geschätzt wird. Durch „sogenannt“ besitzt die Sprache ein unerschöpfliches Ironiepotential, sie wird zur Ironiebombe. Damit kann man alles und jedes in ein bizarres Licht tauchen beziehungsweise in den Orkus jagen: „Könnten Sie mir bitte verraten, wo ich Ihre sogenannte Doktorarbeit finde?“

Kommt man von einem „sogenannten Erlebnisurlaub“ nach Hause, dann hatte man kaum einen Urlaub, dafür umso mehr schlechte Erlebnisse. Und wenn man von gewissen Leuten auf keinen Fall eingeladen werden will, muss man nur sagen: „Könnten Sie mir nicht einmal ihre sogenannte Wohnung zeigen?“

Aber Vorsicht! Es ist davon abzuraten, einen Hundebesitzer aufzufordern, seinen „sogenannten Hund“ an die Leine zu nehmen. Kassiert man dafür einen Hundebiss, kann das Herrchen von einem „sogenannten Biss“ reden, denn ein „sogenannter Hund“ beisst nicht. Der Biss wäre pure Einbildung.

Nachtrag: Inzwischen hat mich Prof. Bernt Spiegel darauf aufmerksam gemacht, dass das Wort "sogenannt" in einem ganz sachlichen Sinn ohne jede abwertende Bedeutung gebraucht wird, nämlich bei Instruktionen oder der Lehre speziell im technischen Bereich. Da heisst es dann: "Dieses ist das sogenannte X-Teil." Das Wort "sogenannt" markiert dann die Tatsache, dass man sich einen bestimmten Begriff einprägen soll.

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