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Kino

Seelenschwestern

1. August 2025
Michael Lang
September & July
Pascale Kann als September, Mia Tharia als July

Im subtilen Mystery-Drama «September & July», dem Regiedebüt der preisgekrönten französischen Schauspielerin Ariane Labed (41), geht es um die Wirren von Adoleszenz und Selbstfindung sowie die Identitätssuche zweier Schwestern. Und um ihre Beziehung zur Mutter.

Die indischstämmige Sheela ist Kunst-Fotografin und alleinerziehende Mutter zweier Töchter: September ist sechzehn, selbstbewusst, forsch, neugierig. July ist nur zehn Monate jünger, deutlich kindhafter, scheu, schnell überfordert. Die Girls sind auf verspielte Weise verbunden, eng verbunden. Zuweilen kommunizieren die beiden mit imitierten Tierlauten, sie züchten Würmer, essen nichts Rotes. Charakterlich indessen sind sie grundverschieden. So verleitet September ihre Schwester zu riskanten Mutproben und nötigt sie immer wieder zu seltsamen Versprechen, etwa auf die Frage: «Würdest du auch sterben wollen, wenn ich sterbe?»

«September & July» ist das ungewöhnliche Regiedebüt der preisgekrönten französisch-griechischen Theater- und Filmschauspielerin Ariane Labed, die auch das Skript verfasst hat. Der Film basiert frei auf dem 2020 erschienenen lesenswerten Bestseller-Roman «Sisters» (deutsche Ausgabe: «Die Schwestern», 2024) der Britin Daisy Johnson, einer Autorin, die mit Horror-, Mystery- und Psychodrama-Granden wie Stephen King oder Shirley Jackson verglichen wird.

Hänseleien und Mobbing

Erster Schauplatz des Mystery-Dramas von Ariane Labed ist England, wo die Girls zur Schule gehen. Dort ecken sie mit ihrer Eigenwilligkeit oft an, wobei es im harten Leistungsklima unter den Pubertierenden öfters zu Stressreaktionen mit Hänseleien oder Mobbing kommt. Was der zurückhaltenden July mehr zu schaffen macht als September, die im öffentlichen Raum ihre Dominanz mit Raffinesse gegen alle einsetzt, die ihre Schwester quälen. Mutter Sheela, die von Depressionen gebeutelt wird, geht immer wieder auf Distanz zu ihren Töchtern und lässt ihnen viele Freiheiten. Zu viele. 

Erst nach einem Vorfall im schulischen Umfeld, der fatale Folgen nach sich zieht, kommt es zu einer unmittelbaren Reaktion, einem abrupten Schauplatzwechsel: Sheela reist mit September und July per Auto mit leichtem Gepäck an die irische Küste. Dort bezieht sie mit den Töchtern das unbewohnte, aber mit Mobiliar und Memorabilien vollgestopfte Haus der Eltern ihres britischen Ex-Partners und Kindsvaters. Realiter taucht er im Film nie auf, aber es wird ab und an von ihm gesprochen – und es ist wenig Gutes.

Dramatische Metamorphose

Mit dem Ortswechsel beginnt ein tiefgreifender Wandel der Beziehungen. Zum einen in jener der Schwestern zueinander, zum anderen in jener zur aufblühenden Mama, die ihre Lebensgeister reaktiviert: Im Dorfpub angelt sie sich einen gleichaltrigen Mann und nimmt ihn für einen One-Night-Stand nach Hause – was den Girls nicht entgeht und ihre erotische Neugierde hervorruft. Bald werden sie von jungen Leuten zu einer nächtlichen Strandparty mit viel Bier eingeladen. Man kommt sich näher und July spürt, dass man ihr in diesem neuen Kreis interessiert und empathisch begegnet. 

Wichtige Szenen wie diese werden ohne jeden voyeuristischen Firlefanz inszeniert und vom französischen Kameramann Balthazar Lab authentisch visualisiert: Vorwiegend mit Totalen, Halbtotalen und nur wenigen Nahaufnahmen entsteht eine unverstellte und zugleich etwas distanzierte Ambiance – wie auf der Theaterbühne, wo die Figuren auf- und abtreten können. So entsteht ein Rahmen, in dem sich die Protagonistinnen Pascale Kann in ihrer ersten Filmrolle als September, Mia Tharia als July und Rakhee Thakrar als Mutter Sheela emotional stimmig einbringen.

September & July
Pascale Kann als September, Rakhee Thakrar als Mutter Sheela, Mia Tharia als July

Auch hinter der Kamera ist exzellentes Personal zugange. Etwa Ariane Lahebs Ehemann, der fünffach für einen Oscar nominierte griechische Starregisseur Yorgos Lanthimos. Dann die deutsche Cutterin Bettina Böhler, die zum Beispiel für Christian Petzold im Filmbijou «Roter Himmel» (2023) tätig war. Die subtile Soundgestaltung verantwortete der britische Komponist und Tonmeister Johnnie Burn, der für seine Arbeit für Jonathan Glazers Weltkriegsdrama «The Zone of Interest» (2024) mit einem Oscar prämiert wurde.

Filmerlebnis mit Echowirkung 

Welchen Verlauf Ariane Labed ihrer Filmerzählung konkret verleiht, soll hier nicht verraten werden. Nur so viel: Ausgehend von einem schauerlichen, schicksalhaften Ereignis wird mit flashartigen Szenen, zwischen Realität und Fantasie lavierend, signalisiert, in welche Richtung sich das Miteinander des Trios entwickelt. Die ab und an etwas sprunghaft anmutende Ablaufdramaturgie verlangt dem Publikum dabei einiges an Konzentration ab.

Die begabte Autorin schafft es, ihren im Kern zuweilen von bleischwerer Düsternis umwehten Plot mit ironisierenden Pointen aufzuhellen. Über das anrührend Schwesterliche hinaus verweist ihr Regie-Erstling auf Themen wie die Gefühlswirren der Adolesz sowie der Selbstfindung und Identitätssuche. Mit diesem weit gespannten Hintergrund bietet «September & July» ein Filmerlebnis mit Echowirkung.

Spielzeiten und -orte: https://www.movies.ch/de/film/septembersays/

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