
Der amerikanische Präsident propagiert die Idee, den Gazastreifen leerzuräumen und ganz neu aufzubauen. Wie das funktionieren soll, bleibt rätselhaft. Die Ablehnung der Palästinenser und der nahöstlichen Regierungen ausser jener Israels ficht ihn nicht an.
Donald Trump ist ausser Rand und Band: Erst wollte er «nur» den Panama-Kanal, danach Grönland und Kanada, jetzt aber auch noch den Gazastreifen. Letzteres, wohlverstanden, nicht im Sinne einer Eroberung, sondern einer Wohltat zugunsten der 2,2 Millionen Gaza-Palästinenser, denen der Verbleib in ihrer «Schutthalde» nicht länger zugemutet werden soll und die es verdient hätten, in einem anderen Land, vorzugsweise in Ägypten oder Jordanien, ein neues Leben zu beginnen. Also müsse nun «aufgeräumt» und dann neu angefangen werden, meint er.
Seine Vision verkündete er bei einem Auftritt vor den Medien in Washington an der Seite von Benjamin Netanjahu. Der lächelte bei Trumps Ausführungen erst etwas gezwungen, dann aber stimmte er freudig zu. Denn das, was der Präsident der Vereinigten Staaten sagte, schien dazu angetan, alle Sorgen Israels um seine Zukunft beiseitezuräumen. Dies umso mehr, als Trump klar und deutlich sagte, dass diese künftige «Riviera» mit ihren Shoppingmalls und Trump-Towers nicht länger von Palästinensern, sondern von Menschen aus irgendwelchen anderen Weltgegenden bewohnt sein werde.
Ein Hirngespinst
Man muss sich diese als Utopie getarnte Vision einmal im Detail vorstellen: Erst müsste irgendwo im weiten, angeblich menschenleeren Arabien Raum für den Bau von Retortenstädten gefunden werden. Wer baut sie, wo sollen sie entstehen, wer zahlt dafür? Trump und seine Entourage haben schon angedeutet, dass Amerika da auf die «reichen Araber» zählt. Dann müssten die USA ziemlich schnell so um die hunderttausend Soldaten in den Gazastreifen schicken, um der dort noch in Zelten oder Ruinen hausenden Bevölkerung klar zu machen, dass Widerstand nicht geduldet werde und dass sie demnächst mit Flugzeugen oder Bussen ausgeschafft werden soll.
Die Hamas-Aktivisten oder -Terroristen sind dann, gemäss Trumps Vorstellungen, auf rätselhafte Weise verschwunden (diese Aufgabe sollte wohl erst noch Israel erledigen, dessen Streitkräfte dieses Ziel allerdings nach 16 Monaten Krieg noch immer nicht erreicht haben), und die noch in Gaza ausharrenden 2,2 Millionen Menschen wären, auf ebenso rätselhafte Weise, plötzlich glücklich, deportiert zu werden. Dass bei einer solchen «Operation» Familien auseinandergerissen und soziale Strukturen zerstört würden, scheint, aus der Trump-Perspektive betrachtet, nebensächlich. Ebenso nebensächlich wie die Tatsache, dass kein arabisches Land bei all dem mitspielen will – Ägypten hat bereits klar Nein gesagt, ebenso Jordanien.
Diesem Nein schlossen sich auch die Regierungen von nicht direkt tangierten Staaten an: Saudi-Arabien, die Emirate, Qatar. Macht nichts, muss man nicht ernst nehmen, gab Donald Trump bereits zu verstehen. Ägypten und Jordanien erhalten ja von den USA seit langer Zeit Geld im Umfang von je ca. 1,3 Milliarden Dollar pro Jahr; sie müssten sich also einem «Deal» fügen. Und die Saudis, so meint der US-amerikanische Präsident, die werden sich schliesslich auch noch verführen lassen durch grossartige Versprechen einer goldenen Zukunft dank eines durch die USA vermittelten Friedensvertrags mit Israel.
Doch die 2,2 Millionen Palästinenser des zertrümmerten Gaza-Streifens betrachten die ihnen in Aussicht gestellte Umsiedlung ins Nirgendwo als potentielle Vertreibung und die von Trump angesprochenen Länder in Nahost erkennen in Trumps Utopie eine Dystopie, also ein Untergangsszenario. Das Palästinenserproblem werde durch dieses Szenario zu einem Problem für die gesamte Region, sagen die arabischen Regierungen unisono und bleiben beharrlich dabei: Das muss Israel gemeinsam mit den Palästinensern lösen, am besten durch die Bildung von zwei Staaten.
Als Umsiedlung kaschierte Vertreibung
Die aktuelle Wirklichkeit aber sieht so aus: Israel und die Hamas müssen sich entscheiden, ob sie die jetzige, auf sechs Wochen befristete Waffenruhe verlängern und provisorisch gemachte Zusagen erfüllen wollen. Hamas müsste in dieser nächsten Phase alle beim Überfall vom 7. Oktober 2023 entführten Geiseln freilassen und Israel seine Truppen vollständig aus dem Gazastreifen zurückziehen.
Beide Seiten, Israel noch mehr als die Hamas, tun sich mit der Idee der Realisierung dieser Versprechen bereits jetzt schwer. Trumps Vision streut zusätzlich Sand ins Getriebe. Denn Netanjahu – mehr noch die radikal rechtsgerichteten Kräfte in Israel (die Siedler plus Minister wie Smotrich und Ben Gvir und deren Parteigänger) – können darin eine Unterstützung ihrer eigenen Pläne erkennen, nämlich: Lösung des Palästinenserproblems durch eine als Umsiedlung kaschierte Vertreibung. Und den Hamas-Terroristen signalisiert der Trump-Plan: Auch wenn ihr derzeit, bei jeder Freilassung von israelischen Geiseln und nach 16 Monaten Krieg, immer noch in der Lage seid, euch als militärische Kraft im Gazastreifen zu präsentieren – eine Zukunft habt ihr nicht, im Gegenteil. Euch droht, über kurz oder lang, die Vernichtung.
Weshalb also sollten sie, Israel auf der einen wie Hamas auf der anderen Seite, noch ein Interesse daran haben, den beschwerlichen Weg der Suche nach einer pragmatischen Lösung weiterzugehen?