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Musée Cantonal des Beaux-Arts Lausanne

«Résister, encore»

3. März 2022
Niklaus Oberholzer
Isolation als Widerstand
Selbst gewählte Isolation als Widerstand: Aus dem Film „Such a Morning“ (2017) des Inders Amar Kanwar.

«Résister, encore» – «Widerstand leisten, noch und noch»: So titelt Bernard Fibicher seine Ausstellung in Lausanne. Ist Kunst grundsätzlich Widerstand? Der Krieg gegen die Ukraine gibt dem Unternehmen ungewollt eine dingliche Aktualität. Das rührt hart an die Grenze und geht heftig unter die Haut: Die Werke der mexikanischen Künstlerin Teresa Margolles (*1963) sind kaum zu ertragen. Sie gelten den düstersten und dunkelsten Seiten des Lebens. Sie gelten dem Thema Tod – oder deutlicher: dem gewaltsamen Tod, dem Mord.

Die Künstlerin breitet auf Leuchttischen Stoffe mit Blutflecken von in Guatemala ermordeten Frauen aus. Sie liess einheimische Frauen diese Tücher mit bunten traditionellen Motiven besticken. Sie sind, ins gleissende Licht gerückt, flammender Protest gegen Femizid, Unterdrückung und Vergewaltigung und unüberhörbarer Aufruf zum Widerstand. Das ist aber auch der Versuch, den Schrecken zu verarbeiten, um mit ihm leben zu können, weil es ein anderes Leben nicht gibt.

Eine Frage bleibt

Margolles ist gnadenlos. Sie will ihre Aussage weder mildern noch ästhetisieren. Sie  will den Besucherinnen und Besuchern des Lausanner Kunstmuseums in kaum zu überbietender Drastik vor Augen führen, was sie bewegt und gegen was Widerstand zu leisten ist. Auch Bernard Fibicher, Museumsdirektor und Kurator der Ausstellung «Résister, encore», will das Unerträgliche nicht erträglicher machen. Rührt er, rührt Teresa Margolles an ein Tabu? Verletzt, was das Museum tut, Gefühle? Ist es pietätlos? Nein. Sich die Augen zu verschliessen hilft niemandem. Doch eine Frage bleibt: Teresa Margolles ist längst weltbekannt und präsent auf internationalen Grossveranstaltungen. Bedeutende Galerien bieten ihre Werke an. Wenn Teresa Margolles mit diesen Werken in die Mühle eines hochgeputschten und hochfinanzierten Kunsthandels gerät, ist die Grenze überschritten. Das unlösbare Dilemma: Ohne die Kanäle des Handels blieben ihre Werke stumm.

Teresa Margolles’ Kunst ist Widerstand, unüberhörbar. Ist Kunst immer Widerstand? Sicher beziehen viele Künstlerinnen und Künstler, denen es um Existenzielles geht, ihre Energie aus einer Haltung des Widerstandes. Widerstand sei ein konstituierender Bestandteil der Kunst, schreibt denn auch Bernard Fibicher, der mit «Résister, encore» die Gegenwartskunst auf Widerstandshaltungen befragen will, wie sie gegenwärtig in der ganzen Gesellschaft zunehmend an Bedeutung gewinnen: Widerstand gegen neoliberalen Kapitalismus, politische Autoritäten generell, Polizeigewalt, Homophobie, Korruption, Globalisierung. Fibichers Befund ist differenziert: Er reicht von lautem Aufschrei über an Zwischentönen reiche Reflexion und bissige Satire bis zum Rückzug in Schweigen und Abgeschiedenheit.

Teresa Margolles (Mexiko): Opening Paths to Social Justice, Ausschnitt (2012–2015).
Teresa Margolles (Mexiko): Opening Paths to Social Justice, Ausschnitt (2012–2015).

Aufschrei  und Poesie

Ein Aufschrei ist die Videoinstallation der Inderin Nalini Malani (*1946), welche in schrillen Zeichnungen die Geschichte eines Mädchens erzählt, das vergewaltigt und ermordet wurde und dessen Schreie niemand hörte. An poetischen Zwischentönen reich ist die Arbeit der Südkoreanerin Kimsooja (*1957). Sie zeigt ein Fahrrad mit Anhänger, auf dem sich grosse bunte Stoffbündel türmen. Die Künstlerin bringt auf diese Weise das sich in viele politische Dimensionen ausweitende Thema von Migration und Wanderschaft ins Spiel: In solche Bündel verpacken die traditionellen Koreaner ihre Siebensachen, wenn sie von Ort zu Ort ziehen. Doch das Fahrrad kippt nach hinten, als hätten die «Crossblocks» des Genfers Fabrice Gygi (*1965) die Wanderung gestoppt. Die an Panzersperren gemahnenden Skulpturen aus Stahl durchmessen – als  Kriegswarnung – in der Diagonale den grossen Ausstellungsraum im zweiten Geschoss, an dessen Wänden Miriam Cahns (*1949 Basel) dramatische und bitterböse Malereien von einer unmenschlichen Welt voller Gewalt und Diskriminierung  berichten.

Vorne: Fabrice Gygi (Genf): Crossblocks, (2001). Hinten: Kimsooja (Südkorea): Bottari Trcycle (2008)
Vorne: Fabrice Gygi (Genf): Crossblocks, (2001). Hinten: Kimsooja (Südkorea): Bottari Trcycle (2008)

Im ersten Geschoss begegnen wir Félix Vallotton (1865–1925), wie ihn die meisten wohl nicht kennen: 1915/16, bevor er als offizieller Kriegsberichterstatter für Frankreich an die Front ging, schuf er die Holzschnitt-Folge «C‘est la Guerre!». Nicht eigenes Erleben, sondern die böse Ahnung des Schreckens setzte er in den sechs Blättern in virtuos gestaltete Bilder um. Schmerz signalisiert Sigalit Landau (*1969 Jerusalem) mit ihrem Video: Stacheldraht steht für Gefangenschaft und Unfreiheit. Die Künstlerin formt das aggressive Material zum Hula-Hoop-Ring, den sie um ihren nackten Körper kreisen lässt. Im Hintergrund brandet das Meer – als hoffnungsvolles Zeichen des Entkommens in die Freiheit? Um Freiheit geht es Amar Kanwar (*1964 New Delhi), wenn er sich in seinem ruhig fliessenden poetischen Video einem Paar widmet, das sich bewusst von einer lauten Welt absetzt und in der Isolation nach Freiheit und Besinnung sucht.

Sigalit Landau (Jerusalem): Barbed Hula, Video einer Performance (2001).
Sigalit Landau (Jerusalem): Barbed Hula, Video einer Performance (2001)

Persönliche Themenausstellung

«Résister, encore» ist eine thematische Ausstellung, die verschiedene Formen einer von politischem, aber auch von grundsätzlichem Widerstand genährten Kunst vereint. Sie gewinnt durch die weltpolitischen Ereignisse eine schmerzliche Aktualität, überzeugt aber unabhängig davon durch ihre Stringenz. Eine Qualität des Unternehmens ist: Der Fächer der Positionen, den Bernard Fibicher öffnet, ist weit und erschliesst ganz verschiedene Zugänge zum schwierigen und belastenden Thema. Wie bei Themenausstellungen üblich, werden wir aber auch hier mit der persönlichen Akzentsetzungen des Kurators konfrontiert: Die Künstlerliste ist abhängig von seinen eigenen Kunst-Erfahrungen. Nach Schlüssigkeit oder gar nach «Richtigkeit» zu fragen, ist  müssig, da je nach Standpunkt auch andere Werke und andere  Künstler vorstellbar sind. Nicht müssig ist es aber, Überzeugungskraft der einzelnen Werke einzufordern. Dass es da, je nach Wahrnehmung und vor allem je nach Erwartungen der Besucherinnen und Besucher, Schwankungen geben mag, liegt auf der Hand, ebenso, dass sich nicht alle Werke in gleichem Masse erschliessen. Die Saaltexte suchen nach Möglichkeit, die nötigen Hintergrundinformationen zu liefern.

Neben den erwähnten Künstlerinnen und Künstlern begegnen wir Werken von Banu Cennetoglu (Türkei), Michel François (Belgien), Philip Guston (USA), Thomas Hirschhorn (Schweiz), William Kentridge (Südafrika) und Zanele Muholi (Südafrika).

Bernard Fibicher tritt ab

Seit 2007 leitet Bernard Fibicher das Musée Cantonal des Beaux Arts in Lausanne. Mit der Ausstellung  «Résister, encore» verabschiedet er sich, um Mitte Jahr in Pension zu gehen. In seine Amtszeit fällt der 2019  erfolgte Umzug des Museums vom Palais de Rumine in den grosszügigen Neubau in der «Platforme10» beim Bahnhof, wo bald auch das Museum für Fotografie (Musée de l‘Elysée) und das mudac (Musée de Design et d’Arts appliqués contemporains) ihre Tore öffnen werden. Frühere Stationen von Fibichers Wirken waren das Kunsthaus Zürich, das Kunstmuseum Sitten und das Kunstmuseum Bern. Während sieben Jahren leitete er die Kunsthalle Bern, wo er 2004 die erste institutionelle Schweizer Ausstellung mit Werken des Chinesen Ai Weiwei zeigte.

Bernard Fibicher widmete sich in Lausanne sowohl internationaler als auch Westschweizer Kunst, der Kunst der Vergangenheit als auch neuen Strömungen. Einige Beispiele Westschweizer Kunst früherer Zeiten: François Bocion, Charles Gleyere, Alice Bailly, Félix Vallotton, Aloïse Corbaz. Einige Beispiele Westschweizer Kunst der Gegenwart: Jean Otth, René Bauermeister, Albert-Edgar Yersin, Anne Rochat. An internationaler Gegenwartskunst zeigte das Museum unter seiner Direktion unter anderen Christian Boltanski, Kader Attia, Giuseppe Penone, Alex Katz. In bester Erinnerung sind eine Retrospektive Piero Manzoni oder die Präsentation von Ölmalereien August Strindbergs. Beide Ausstellungen fanden noch im Palais de Rumine statt. Von diesem  Museumsstandort verabschiedete er sich 2017/18 mit einer  fulminanten Schau Ai Weiweis. Im neuen Haus erreichten Ausstellungen über die Wiener Moderne und über  Maurice Denis ein breites Publikum.

Der Nachfolger Juri Steiner

Auf den gebürtigen Oberwalliser Bernard Fibicher folgt am 1. Juli der 1969 geborene Zürcher Juri Steiner, der auf eine vielseitige Karriere im Dienste der Kulturvermittlung in der Schweiz zurückblickt. Er engagierte sich an der Expo 02, leitete das Zentrum Paul Klee in Bern, betreute wichtige Ausstellungen im Landesmuseum Zürich, im Kunstmuseum Chur oder im Centre Dürrenmatt in Neuenburg. Im Auftrag der Stadt Zürich realisierte er die Wiederbelebung des Cabaret Voltaire. 2005 war er Ko-Kurator des Schweizer Pavillons der Expo in Japan.

Musée Cantonal des Beaux-Arts Lausanne. Bis 15. Mai. Publikation mit Essays verschiedener Autoren. 176 Seiten. 25 Franken.

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