
Auf dem Roten Platz in Moskau hat am Freitag, dem 9. Mai, eine grosse Militärparade zum Gedenken an den Sieg über Hitlerdeutschland stattgefunden. Am Tag zuvor hatte der ukrainische Präsident Selenskyj auf einem per Video verbreiteten Spaziergang durch Kiew seine Gedanken über das Ende des Weltkrieges 1945 und die Aktualität des Kampfes gegen die russischen Invasoren formuliert. Der Kontrast zwischen diesen beiden Aufführungen hätte nicht grösser sein können.
Der 9. Mai wird in Moskau und anderen russischen Städten jedes Jahr mit grossem Pomp zum Gedenken an den Sieg über Hitler-Deutschland gefeiert. An diesem Tag hatte 1945 der deutsche Generalfeldmarschall Keitel im Hauptquartier der Roten Armee in Karlshorst bei Berlin die bedingungslose Kapitulation unterzeichnet. In Reims an der Westfront hatte dieser Kapitulationsakt bereits einen Tag früher, am 8. Mai, stattgefunden. Bei früheren derartigen Siegesfeiern in Moskau waren namentlich in den ersten Jahren nach der Auflösung der Sowjetunion häufig auch prominente Vertreter aus westlichen Ländern, die ja auch Verbündete im Kampf gegen Hitler-Deutschland waren, an diesen Veranstaltungen anwesend. Doch seit dem russischen Überfall auf die Ukraine im Februar 2022 wird die Erinnerung an die damaligen Gemeinsamkeit nicht mehr zelebriert.
Putin ging es am Freitag mit der grossen Militärfeier zum achtzigsten Jahrestag des Weltkriegsendes offensichtlich darum, gegenüber dem eigenen Volk und der Welt demonstrativ vorzuführen, dass Russland trotz des andauernden Angriffskrieges gegen das ukrainische Nachbarland heute politisch durchaus nicht isoliert ist. Diese Demonstration ist ihm bei dieser Jubiläumsveranstaltung in bemerkenswertem Masse gelungen. Neben dem chinesischen Staats- und Parteichef Xi Jinping waren auf der Tribüne des Roten Platzes eine längere Reihe weiterer Staatsoberhäupter wie der brasilianische Präsident Lula da Silva, der ägyptische Machthaber as-Sisi, der serbische Präsident Vučić oder der slowakische Ministerpräsident Fico, letzterer offenbar der einzige hochrangige Vertreter eines EU-Landes. Der indische Regierungschef Modi hingegen scheint die zuvor geplante Reise nach Moskau abgesagt zu haben.
Selenskyjs Aufzeichnungen beim Gang durch Kiew
In ganz anderem Stil hat Wolodimir Selenskyj, Putins Gegenspieler im laufenden russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine, an das Ende des Zweiten Weltkrieges erinnert. Selenskyjs Büro hat am Donnerstag ein Video veröffentlicht, in dem man den ukrainischen Präsidenten ganz allein durch die belebten Strassen von Kiew spazieren sieht. Er spricht dabei überer seine Gedanken zur Bedeutung des 8. Mai für die Ukraine und deren Zukunft. Anders als Russland feiert die Ukraine inzwischen das Ende des Zweiten Weltkrieges wie im Westen bereits am 8. Mai, weil an diesem Tag in Reims an der Westfront die deutsche Kapitulation unterzeichnet wurde.
Selenskyj spricht davon, dass es auch in fast allen ukrainischen Familien Angehörige gibt, die im Zweiten Weltkrieg umgekommen sind oder gegen die Hitler-Armeen gekämpft haben. Auch sein eigener Grossvater habe damals an der Front gedient. In früheren Jahren seien die Veteranen jeweils zusammengekommen und sie seien sich einig gewesen im gemeinsamen Wunsch, dass es nie wieder Krieg geben werde. In Moskau aber werde jetzt der Krieg aufs Neue gefeiert. Dort finde am 9. Mai eine «Parade des Zynismus» statt.
Es lohnt sich, diesen Gang des ukrainischen Präsidenten durch die Hauptstadt Kiew und seine dazu geäusserten Überlegungen mit den Bildern von der pompösen Parade zu vergleichen, die am Freitag in Moskau über die Bühne gegangen ist.
Hier der Link mit dem Selenskyj-Video und der Text seiner Rede in englischer Sprache. Das Video erscheint via Youtube am Ende des Textes: