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Künstliche Intelligenz

Prompten statt schreiben

20. Juli 2025
Eduard Kaeser
Prompten statt schreiben

Stammt der Text von dir? So lautet oder wird wahrscheinlich schon bald die Standardfrage einer neuen Ära des Schreibens lauten. Der Textgenerator – der General Pretrained Transformer (GPT) – hat sich binnen kürzester Zeit zum künstlichen literarischen Konkurrenten des Menschen entwickelt, und er befindet sich wohlgemerkt im Babystadium. 

Bisher war er eine Voraussagemaschine von Texten. Nun lernt er, «verständig» auf bestimmte Anfragen oder Instruktionen – auf «Prompts» – zu reagieren. Eine neue Kompetenz gewinnt an Bedeutung: das «Prompt-Engineering». Man «treibt» den Chatbot mit gezielten präzisen Eingaben in eine gewünschte Richtung. 

Tertiärer Analphabetismus

Für den Schriftsteller Clemens Setz lassen sich deshalb Schreiben und Prompten tendenziell nicht mehr unterscheiden.[1] Er lobt eine «neue Aufrichtigkeit», die nicht so tut, als wäre der Mensch allein Autor der Texte. Vielmehr repräsentiere das Prompten eine neue Kulturtechnik, in der Mensch und KI-Assistent eine Symbiose eingehen. «Zukünftige Generationen könnten sich kopfschüttelnd wundern, wie die frühere Menschheit überhaupt je irgendetwas Authentisches und Aufrichtiges auszudrücken imstande war, wenn sie doch gerade in der Situation der Schrifterzeugung immer so mutterseelenallein war, von niemandem betreut als vom eigenen Gehirn.» Setz sieht einen «tertiären Analphabetismus» aufkommen. Der tertiäre Analphabet kann selbst keine Texte verfassen. Und auch die Überprüfung der vom Chatbot generierten Texte ist für ihn unmöglich. Er kann nur «extrem präzise wünschen», sprich: prompten.

Die Ausschaltung dess Autors

Solche Kulturdiagnosen folgen einem gängigen Narrativ: Neuerungen ersetzen alte Techniken. Ein anderer österreichischer Schriftsteller, Alfred Polgar, sagte in den 1920er Jahren mit erstaunlicher Radikalität voraus, dass die Schreibmaschine nicht nur Finger und Hände ihres Nutzers entbehrlich macht, sondern im letzten Effekt den Nutzer selbst: «Die Entwicklung muss hier, wie bei jeder Maschine, dahin streben, die notwendige menschliche Mitarbeit immer mehr und mehr einzuschränken. Der Tag, an dem es gelungen sein wird, den Schriftsteller ganz auszuschalten und die Schreibmaschine unmittelbar in Tätigkeit zu setzen, wird das grosse Zeitalter neuer Dichtkunst einleiten.» 

Die neue Kompetenz: übergenaues Wünschen

Ich weiss nicht, ob Setz auch von einer neuen Dichtkunst träumt. Sein tertiärer Analphabet tut sich jedenfalls in einer neuen Kulturtechnik hervor. Er «lernt fast ausschliesslich eine Sache (…): das Wünschen». Ihm bleibt die letzte Kompetenz, nämlich das «übergenaue (…) erwachsene Selbstkenntnis erfordernde Formulieren dessen, was man gerne haben möchte». Also: Ich möchte gerne einen Text von 10’000 Zeichen über Roadkill. Oder: Ich möchte gerne eine Zusammenfassung meines Essays in 2’000 Zeichen und in Englisch. Der KI-Assistent liefert das in Sekundenschnelle. Der tertäre Analphabet kann, «wenn die Wunscherfüllung geliefert wird, nicht mehr persönlich nachprüfen, ob der Wunsch korrekt verstanden wurde, das kann dann nur das Leben selbst entscheiden». Das Leben selbst: Das ist die akzeptierte Seminararbeit, die bestandene Prüfung, das erfolgreiche Bewerbungsschreiben. Man muss nicht mehr verstehen, wie sie zustandegekommen sind, Hauptsache, man reüssiert. 

Schreiben ist eine Symbiose von Mensch und Schreibzeug

Am ehesten goutiert man die Ausführungen von Setz als fiktiv-satirische Extrapolation einer durchaus bestehenden Tendenz. Auch so bleiben sie nerdig verblasen. Denn erstens ist der schreibende Mensch nie «mutterseelenallein» mit seinem Gehirn. Tatsächlich ist auch das Schreiben mit der Feder bereits ein symbiotischer Akt von Mensch und Werkzeug. «Unser Schreibzeug arbeitet mit an unseren Gedanken», erkannte schon Nietzsche. Und all die Werkzeuge und Geräte, die der Mensch mit sich herumträgt und mit denen er sich umgibt – dazu gehört nota bene auch das Buch –, sind ja, so liesse sich sagen, Extensionen seines Gehirns, in dem Sinne, dass das Gehirn seine hochflexible Struktur dem jeweiligen Gerätegebrauch anpasst. 

Zweitens hat die «tertiäre Analphabetisierung» etwas Paradoxes. Prompten ist das «übergenaue (…) erwachsene Selbstkenntnis erfordernde Formulieren dessen, was man gerne haben möchte». Aber wer präzise prompten kann, kann formulieren, denken, lesen, abstrahieren – ist also gerade kein «Analphabet». 

Die «neue Aufrichtigkeit» heisst Schummeln

Man muss Setz durchaus konzedieren: 2022 liess OpenAI ChatGPT auf den Technikkonsumenten los, und innerhalb von drei Jahren hat sich dieses Ding zu einem kulturellen «Game Changer» entwickelt. Schummeln ist ein grosses Problem an Hochschulen. Professoren berichten von einem dramatischen Wachstum KI-generierter Texte. Pädagogen und Psychologen suchen gegen das Schummeln vorzugehen. Für Setz eine hoffnungslose Massnahme. Denn Schummeln – so sein gedanklicher Salto mortale – ist die neue Aufrichtigkeit. «Absolut jede Art von Lernen ist dann tendenziell ‘Cheating’, oder, anders formuliert, geschieht in Gesellschaft des KI-Assistenten.» 

Wie schnell sich die KI entwickelt, lässt sich anhand einer 2014 publizierten Arbeit der Psychologin Pam Mueller und des Psychologen Daniel Oppenheimer abschätzen. Der Artikel trägt den vielsagenden Titel «Der Stift ist mächtiger als die Tastatur».[2] Ich zitiere aus dem Abstract: «Sich auf dem Laptop, statt handschriftlich, Notizen zu machen gehört immer mehr zum Usus der Studierenden (…) In drei Versuchen fanden wir heraus, dass Studierende in begrifflichen Testfragen schlechter abschnitten, wenn sie einen Laptop statt einen Schreibstift benutzten. Es kann durchaus vorteilhaft sein, schneller und mehr Notizen zu machen; aber die Tendenz, mit dem Laptop die Vorlesung Wort für Wort zu registrieren, statt sie in eigener Sprache wiederzugeben, wirkt sich nachteilig auf das Lernen aus.»

Dieser Befund erscheint obsolet. Heute ist die Tastatur mächtiger als die Schrift. Und zwar deshalb, weil die neuen Generationen von smarten Schreibgeräten in den neuen Generationen von Schreibenden gar nicht erst das Bedürfnis aufkommen lassen, etwas in eigener Sprache wiederzugeben. Das wäre ohnehin «unaufrichtig», würde Setz sagen. 

Ein neuartiges Schreibsubjekt aus Autor und Algorithmus

Mag sein. Aber die Frage stellt sich drittens, ob die Schreibassistenten dem Schreiben, statt es zu ersetzen, nicht vielleicht eine neue, zeitadaptierte Bedeutung verleihen. Paläoanthro­pologie, Evolutionsbiologie, Neurologie und Kognitionspsychologie weisen uns längst schon auf das Zusammenwirken von Hand und Hirn hin. Und aus diesem Zusammenwirken hat sich so etwas wie ein «Schreibhirn» entwickelt. Eine  neuronale Struktur, die der Schreibaktivität entspricht. Man spricht von einer «breit gestreuten Hirnkonnektivität» durch Schreiben.[3]

Inwieweit diese Struktur sich durch die neue Kulturtechnik des Promptens verändert, bleibt abzuwarten. Die entscheidende Frage betrifft das Gleichgewicht zwischen Kulturtechniken. Die Schrift zum Beispiel hat das Gespräch nicht ersetzt. Vielmehr hat sich zwischen Reden und Schreiben ein dynamisches kulturelles Gleichgewicht von Ausdrucksmöglichkeiten gebildet. Man kann dies heute im Netz beobachten. Video- und Audioformate haben zur Verbreitung mündlicher Kommunikation im digitalen Medium beigetragen. Man schreibt nach wie vor. Aber Chatten, Simsen, Twittern tragen durch ihre Kürze, Direktheit und Expressivität Züge der Oralität. «Sekundäre Oralität» hat sie der Literaturwissenschaftler Walter Ong genannt. 

Die «Ich-Werdung» des Geräts

Lässt sich nicht Ähnliches vom Schreiben und Prompten erwarten? Nicht ein Verlernen, sondern ein Wiedererlernen des Schreibens im Zusammenspiel mit dem Textgenerator, Re-Skilling statt De-Skilling: sekundäre Literalität? Man lässt schreiben und pflegt zugleich das Schreiben. So wie der Algorithmus meine «Idiosynkrasien» des Schreibens lernt, lerne ich seine Schreibtricks. Wenn Mensch und GPT eine Symbiose eingehen, bedeutet dies nicht zwingend den «Tod des Autors». Warum nicht die Geburt eines neuartigen «Schreibsubjekts» aus Autor und Algorithmus, das die alten Kompetenzen durchaus weiter kultiviert? Also die Frage der Kompetenzverteilung.

Ein Aspekt verdient dabei grössere Beachtung. Wenn eine Person den ChatGPT schreiben lässt und meint, selbst zu schreiben, dann nimmt sie das Gerät als Teil ihrer selbst wahr, verinnerlicht sie es. Das führt zu einer «Ich-Werdung» des Geräts. Oder umgekehrt zu einer Gerätewerdung der Person.

Darin zeichnet sich der Prozess einer allgemeineren Symbiose von Mensch und Maschine ab, in der sich der Mensch immer mehr der Maschine anpasst. Was dies für sein Selbstverständnis bedeutet, muss in einem umfassenderen Kontext diskutiert werden als bloss in jenem des Schreibens und Lesens – es ist der Kontext des Menschbleibens in einer Welt der autonomen Artefakte. 

[1] https://www.derstandard.at/story/3000000275725/schriftsteller-clemens-j-setz-chatgpt-und-seine-folgen

[2] https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/24760141/ 

[3]https://www.frontiersin.org/journals/psychology/articles/10.3389/fpsyg.2023.1219945/full

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