Direkt zum Inhalt
  • Politik
  • Kultur
  • Wirtschaft
  • Gesellschaft
  • Medien
  • Über uns
close
Durchsetzungsinitiative

Proklamierung des dauerhaften Notstandes

20. Januar 2016
Catalin Dorian Florescu
Alle Menschen, auch Täter, haben eine Würde. An diesem Fundament darf nicht gerüttelt werden.

Jeder Mensch ist ein Einzelfall. Erst als solcher bekommt er seine Würde und kann seine Würde verteidigen. So frevelhaft das klingt, auch Menschen, die kleinere oder doch grosse Verbrechen begangen haben, haben eine Würde. Auch Täter haben eine. So wie die Opfer auch, so wie ich, so wie Sie.

Grösste Herausforderung

An diesem Fundament darf nicht gerüttelt werden, es zu verteidigen ist die Aufgabe des demokratischen Staates und einer freien Justiz. Die Justiz anzuketten und Menschen ohne eine klare und faire Einzelfallprüfung abzuschieben, ignoriert das und setzt den demokratischen Staat in die Nähe eines autoritären.

Die Aufgabe, diese Würde in Schutz zu nehmen, hat nicht nur damit zu tun, dass man den Anderen verteidigt. Wenn man zulässt, dass die Würde des Mitmenschen gemindert wird, mindert man seine eigene. Ja, auch dann, wenn es um Menschen geht, die Schlimmes begangen haben; ich weiss, es ist eine der grössten Herausforderungen für unser Einfühlungsvermögen.

Imaginierte Idealgesellschaft

Und es gibt einen zweiten Punkt: Populisten aller Couleur und zu allen Zeiten lieben die Vorstellung eines reinen, sauberen Volkskörpers. Alles Schmutzige, Störende, Unpassende soll entfernt, herausgeschnitten werden. Dann wird alles gut. Sie sind besessen davon. Zur Not sollen mehr Kontrolle, mehr Polizei, mehr Disziplinierung dazu helfen. (Als Psychologe weiss ich: Wer mit solchen Vorstellungen in eine Therapie kommt, leidet unter Zwangsgedanken.)

Aber sie werden sich nie damit zufrieden geben, sie werden nie aufhören, der Populismus überlebt nur dank der Proklamierung des dauerhaften Notstandes. Immer ist irgendetwas da, was entfernt, getilgt werden muss. Momentan sind die Schweizer Populisten mit dem Rand der Gesellschaft beschäftigt, das lieben sie: Ausländer, Kriminelle. Doch sie werden nie loslassen, bis ihre imaginierte Idealgesellschaft, eine saubere und reine, realisiert ist. Auch wenn dann nur noch ihre vermeintlich weissen Westen übriggeblieben sind.

 

Catalin Dorian Florescu, 1967 in Timisoara, Rumänien, geboren, lebt nach Aufenthalten in Italien und den USA seit 1982 in der Schweiz, seit 2001 in Zürich. Studium der Psychologie und Psychopathologie an der Universität Zürich. Am 10. Februar erscheint im C. H. Beck Verlag sein sechster Roman: "Der Mann, der das Glück bringt". 

Letzte Artikel

Der Papst und der Patriarch von Istanbul in Nizäa – Nur der Kaiser fehlte

Erwin Koller 4. Dezember 2025

EU berechenbarer als USA

Martin Gollmer 4. Dezember 2025

Dröhnendes Schweigen um Venezuela

Erich Gysling 1. Dezember 2025

Spiegel der Gesellschaft im Wandel

Werner Seitz 1. Dezember 2025

Bücher zu Weihnachten

1. Dezember 2025

Nichts Dringlicheres als die Rente?

Stephan Wehowsky 1. Dezember 2025

Newsletter abonnieren

Abonnieren Sie den kostenlosen Newsletter!

Abonnieren Sie den kostenlosen Newsletter!

Zurück zur Startseite
Journal 21 Logo

Journal 21
Journalistischer Mehrwert

  • Kontakt
  • Datenschutz
  • Impressum
  • Newsletter
To top

© Journal21, 2021. Alle Rechte vorbehalten. Erstellt mit PRIMER - powered by Drupal.