Direkt zum Inhalt
  • Politik
  • Kultur
  • Wirtschaft
  • Gesellschaft
  • Medien
  • Über uns
close
Buch

Plädoyer für eine Renaissance der Schule

9. Juli 2022
Carl Bossard
Anker, Pestalozzi in Stans
Albert Anker, Pestalozzi in Stans, 1870

Sich auf Wesentliches besinnen. Das ist der Auftrag der Volksschule. Ob sie sich heute nicht ins fachliche Vielerlei verliert? Ein kluges Bilder-Buch erinnert an das Kerngeschehen des Unterrichts und an das, was eine humane Bildung sein könnte.

 

Links ein präzises Bild, rechts ein konziser Text. Und das immer zu grundlegenden Themen aus dem Unterricht und damit zu pädagogischen Grundfragen. So entstehen 67 eindrückliche «Bilder von Bildung». [1] Es sind impressionistische und gedankliche Bausteine einer humanen Bildung. Geschrieben hat das schmucke Buch der Hochschullehrer Jochen Krautz, Professor für Kunstpädagogik an der Universität Wuppertal.

Bildung lebt von Resonanzen

Wer den Unterricht analysiert, entdeckt ein pädagogisches Dreieck. Genau da hinein zoomt die lesenswerte Publikation. Sie zielt aufs Eigentliche jeder Schule: den Dreiklang zwischen Lehrerin/Ausbildner – Schülerin/Schüler – Unterrichtsinhalt. In diesem Dreieck vollziehen sich die individuellen und sozialen Lern- und Bildungsprozesse. Sie leben von Resonanzen. Der Soziologe Hartmut Rosa spricht darum vom Resonanzraum. [2] Das «Wechselspiel mit Mitmenschen und Mitwelt», wie Krautz verdeutlicht. Hier ereignet sich der Wesenskern von Schule und Unterricht, das Α und Ω des pädagogischen Alltags, die Grundbildung als Basis für alles weitere Lernen.

Vom Aufbau der kulturellen Basiskompetenzen

Es sind die Mikroprozesse des Lernens: Dazu gehören das Aufbauen mit dem Verstehen, das Konsolidieren mit dem Festigen und Üben, sei es von Wissen oder Können, sowie das Anwenden des Gelernten – und das Zusammenspiel dieser Teilprozesse mit all den vielfältigen, filigranen Verknüpfungen im aktivierten Gedächtnis. Diese Lernvorgänge sind für jedes einzelne Kind eminent wichtig.

Doch selbst gute Schüler, intelligente Schülerinnen weisen am Ende der Primarschule zunehmend Lücken in den Grundfertigkeiten auf. Das zeigt die Lehr- und Lernforschung der ETH Zürich. Darum boomen private (Übertritts-)Vorbereitungskurse ans Gymnasium. Oft müssen in den Lernstudios zuerst die Grundlagen erarbeitet werden. Dazu zählen das Einmaleins und schriftliche Rechenoperationen sowie Basics des kohärenten Schreibens und der korrekten Orthographie.

Wieder auf das eigentliche Ziel fokussieren

Doch von diesem Kerngeschehen der Bildung ist heute nur noch selten die Rede. Vieles andere ist wichtiger geworden. Die ökonomisch und politisch motivierten Bildungsreformen der letzten 30 Jahre haben das pädagogische Denken und Handeln aus der Schule verdrängt, konstatiert Krautz. In Vergessenheit geriet, was das eigentliche Ziel und die Aufgabe der Schule mit Blick auf die Person der Kinder und Jugendlichen wäre – dies mit klarem und fokussiertem Blick auf die elementaren Lernziele des Unterrichts.

Die Schule hat sich mancherorts im fachlichen Vielerlei verloren. Was nützen beispielsweise zwei Fremdsprachen im Primarschulunterricht, wenn die Muttersprache dabei zu kurz kommt – und ein Viertel der 15-Jährigen hierzulande nicht imstande ist, einem einfachen Text alltagsrelevante Informationen zu entnehmen? Konkret: Wenn junge Menschen nach der obligatorischen Schulzeit das Geschriebene zwar entziffern können, das Gelesene aber nicht im Kontext verstehen und in autonomes Handeln umsetzen können.

Wenn das Organisatorische das Pädagogische dominiert

Gegen dieses Verdrängen und Vergessen des Kerngeschehens und der Grundfertigkeiten richten sich Krautz’ pädagogische Reflexionen. Es ist eine (Rück-)Besinnung auf die eigentlichen Grundlagen der Schule und die Elementarien des Lehrens und Lernens. Es ist ein Plädoyer «Für die Renaissance der Schule», wie es sich der Autor im Untertitel erhofft. Heute seien wir so weit, dass diese kritischen Punkte teilweise gar nicht mehr verstanden würden, stellt der Autor fest und fügt bei: «Die Wirklichkeit der Schule hat sich an die neuen Paradigmen angepasst», ohne deren pädagogischen Gesamtwert zu diskutieren.

Mit anderen Worten: Das Organisatorische dominiert vielerorts das Pädagogische. Wichtig beispielsweise sind der jahrgangsübergreifende, altersdurchmischte Unterricht geworden, das selbstorientierte Lernen, die Gruppenarbeit, die individuellen Arbeitsblätter, die Differenzierung des Lernmaterials. [3] Zurückgedrängt wurden die Bedeutung der Lehrperson und ihr Unterricht – ein Unterricht, bei dem Lehrpersonen die Aktivitäten und damit den Lernprozess ihrer Schülerinnen und Schuler steuern und strukturieren. Dieser Unterricht erweist sich gemäss dem Lernpsychologen Franz E. Weinert als besonders effizient. Krautz erinnert darum an die Erkenntnis der empirischen Unterrichtsforschung: Kinder und Jugendliche führen und mit ihnen Ziele erreichen, das ist nicht primär ein technisch-organisatorisches Problem, es ist eine menschliche Aufgabe. Gefordert ist die humane Energie von pädagogischer Leadership. Was sich zwischen Menschen abspielt, passiert nicht zuerst von Hirn zu Hirn, sondern von Auge zu Auge, von Ohr zu Ohr, von Sinn zu Sinn. Also körperlich und seelisch. Ich muss emotional berührt sein.

Das ganze Kaleidoskop eines guten Unterrichts

Darum kommen der Klassenunterricht und die Gemeinschaft zur Sprache und ebenso das Vorbild. Da wird das «Verstehen lehren» erhellt oder das «Herausfordern» beleuchtet, da wird an das unerlässliche Üben erinnert und das wertvolle «Zeigen und Nachahmen» wachgerufen, da tauchen der Wert des vitalen Präsent-Seins und das Ideal der Freiheit auf – dies im Kontext mit Kants Kernfrage «Wie kultiviere ich Freiheit bei dem Zwange» (der obligatorischen Schule)? Es ist das ganze Kaleidoskop guten, lernwirksamen Unterrichts – leicht verständlich geschrieben, essayistisch formuliert und auf Elementares verdichtet.

Die «Bilder von Bildung» besinnen sich auf die Grundlagen der Schule. Sie erinnern daran, was Pädagogik eigentlich bedeutet und warum das Wirken in der Schule für viele Lehrerinnen und Lehrer so erfüllend ist. Das zu vergegenwärtigen lohnt sich – gerade in Zeiten des drängenden Lehrermangels.

[1] Jochen Krautz (2022): Bilder von Bildung. Für eine Renaissance der Schule. München: Claudius Verlag. 150 S.

[2] Hartmut Rosa (2016): Resonanz. Eine Soziologie der Weltbeziehung. Frankfurt am Main: Suhrkamp, S. 402ff.

[3] Vgl. Alex Hofstetter (2022): Die Antwort auf Heterogenität, in: profil. Das Magazin für das Lehren und Lernen 2/2022, S. 29.

Letzte Artikel

Lasten der Geschichte und dräuende Apokalypse

Patrick Straumann 19. Mai 2025

Amerikas «ICH-MIR-MEIN»-Präsident

Ignaz Staub 19. Mai 2025

Rechtsruck – und keine tragfähige Mehrheit

Thomas Fischer 19. Mai 2025

Rutscht Polen ins rechtspopulistische Lager?

Heiner Hug 19. Mai 2025

Rot ist nicht Rot ist nicht Rot

Eduard Kaeser 18. Mai 2025

Das Kontrastive auf kleinstem Raum

Carl Bossard 18. Mai 2025

Newsletter abonnieren

Abonnieren Sie den kostenlosen Newsletter!

Abonnieren Sie den kostenlosen Newsletter!

Zurück zur Startseite
Journal 21 Logo

Journal 21
Journalistischer Mehrwert

  • Kontakt
  • Datenschutz
  • Impressum
  • Newsletter
To top

© Journal21, 2021. Alle Rechte vorbehalten. Erstellt mit PRIMER - powered by Drupal.