Darf man einem Papst die Leviten lesen? Die Belgier taten es, und zwar gründlich. Papst Franziskus reagierte sichtlich bewegt. Bei seinem Besuch im Schloss Laeken in Brüssel griff der belgische Ministerpräsidenten den Papst ungewöhnlich scharf an. Es geht um die mangelnde Aufarbeitung von sexuellem Missbrauch durch die katholische Kirche.
Die Römer Zeitung «Il Messaggero», die einen guten Kontakt zum Vatikan hat, kommentiert: «Ohrfeige Belgiens für Papst Franziskus. Kein Papst war jemals so brutal und öffentlich von den Vertretern eines Gastlandes angegriffen worden.»
Belgiens Ministerpräsident Alexander De Croo forderte endlich konkrete Schritte zur Aufarbeitung der Missbrauchsskandale. «Worte genügen nicht», sagte der liberale Politiker bei der Begrüssung des Pontifex. «Sie setzen sich für Gerechtigkeit ein. Aber es liegt noch ein langer Weg vor uns», sagte De Croo.
«Die Menschenwürde muss an erster Stelle stehen, nicht die Interessen der Institution», so der Regierungschef. Die Opfer müssten gehört und in den Mittelpunkt gestellt werden, sie hätten ein Recht auf die Wahrheit. «Die Gräueltaten müssen anerkannt werden. Und es muss für Gerechtigkeit gesorgt werden.» Auch Belgiens König Philippe forderte die Kirche in seiner Rede auf, die Bemühungen «entschlossen und unermüdlich» an die Hand zu nehmen.
Der Papst wirkte ob der scharfen und undiplomatischen Worte überrumpelt. Er bezeichnete spontan – und in Abweichung seines vorbereiteten Redetextes – den Missbrauch der Kirche als «Schande». «Die Kirche muss sich schämen und um Vergebung bitten und versuchen, alles zu tun, damit so etwas nicht wieder passiert.
«Das ist unsere Schande und Demütigung», sagte Franziskus sichtlich bewegt.
Das belgische Parlament hat erst letzten Donnerstag einstimmig eine neue Untersuchungskommission zur Pädophilie in der Kirche beschlossen. Bis Januar muss geklärt werden, ob es bei den früheren Ermittlungen Unregelmässigkeiten gab, die angeblich aufgrund des Drucks der Bischöfe, darunter ein mächtiger Kardinalwähler von Papst Franziskus beim Konklave 2013, Gottfried Danneels, schlecht durchgeführt wurden. Er selbst brachte ein Opfer dazu, sich nicht zu melden, um keinen öffentlichen Skandal zu verursachen, indem er der alten römischen Praxis folgte, dass schmutzige Wäsche zu Hause gewaschen wird.
Im Vorfeld des Besuchs in Belgien wurde der Papst auch von mehreren Medien scharf kritisiert. «Der Papst hat wenig getan», hiess es. «Überall wurde vertuscht.»
(Journal 21)