Internationale Bahnreisen sind klimafreundlich und liegen im Trend. Aber sind sie auch benutzerfreundlich? Nimmt man die Strecke Zürich–Prag zum Massstab, können leichte Zweifel aufkommen. Ausser man ist Bahnromantiker.
Es gab ein Zeitfenster in den 1990er-Jahren, da verkehrte zwischen Zürich und Prag ein Direktzug. Ein Eurocity, der den Namen «Albert Einstein» trug und die Nummern 166/167 auf den Zuglaufschildern hatte. Zu seinen besten Zeiten fuhr er in östlicher Richtung sogar schon ab Interlaken und in westlicher bis nach Bern. Zürich verliess er morgens um halb zehn Richtung Sankt Gallen, weiter ging es über Lindau, München und Regensburg nach Nordosten in den Bayerischen Wald hinein und dann aus dem Böhmerwald wieder heraus. Und da war man auch schon bald am Ziel. Die Reise dauerte knapp elf Stunden.
Dreissig Jahre später – alles spricht davon, wie wichtig es sei für den Klimaschutz, mit dem Zug zu reisen und nicht mit dem Flugzeug – dauert die Reise immer noch knapp elf Stunden. Im besseren Fall. Obwohl allein schon die Strecke Zürich–München inzwischen rund eine Stunde schneller geworden ist. Doch die Direktverbindung gibt es nicht mehr; man muss in München umsteigen. Und weil der Fahrplan so aufgebaut ist, dass der im Zweistundentakt verkehrende Zug München–Prag immer etwa zwanzig Minuten vor der Ankunft des ebenfalls im Zweistundentakt verkehrenden Zugs aus Zürich abfährt, entsteht ein grosses zeitliches Loch. In beiden Reiserichtungen übrigens. «Oh ‹Albert Einstein›, wo bist du nur geblieben?» mag man da seufzen.
Nichts für schwache Nerven
Also suchen geübte Fahrplanjongleure, ob es nicht vielleicht doch eine schnellere Variante gäbe. Und siehe da, das Online-Reiseportal spuckt eine solche aus. Zwar nicht wesentlich kürzer, aber immerhin um etwa eine halbe Stunde. Und damit die schnellste Zugverbindung zwischen Zürich und Prag, die im Jahr 2025 angeboten wird.
Allerdings ist sie nicht wirklich etwas für Reisende mit grossem Gepäck oder schwachen Nerven. Denn es gilt drei- oder sogar viermal umzusteigen, und das mit Übergangszeiten, die zwischen fünf und zwanzig Minuten betragen. Die Umstiege sind an so exotischen Orten wie Plattling, Bayerisch Eisenstein oder Klatovy, von deren Existenz man vor der Konsultation des Fahrplans noch nicht einmal eine leichte Ahnung hatte.
Eisenbahnromantiker lecken sich die Finger
Inzwischen ist ja bekannt, dass es mit Anschlüssen auf dem Gebiet der Deutschen Bahn so eine Sache ist, um es freundlich auszudrücken. Oder böse gesagt mit dem Spruch, der da lautet, was der Unterschied sei zwischen der Deutschen Bahn und dem Schachspiel: Es gebe keinen. Man könne bei beiden nie sicher sein, was als nächster Zug komme.
Dass heute die komplizierteste Zugreise von Zürich nach Prag zugleich auch die schnellste ist, obwohl sie teilweise über recht obskure Nebenstrecken führt, ist ein einigermassen bemerkenswertes Faktum und nicht das beste Zeugnis für die Bahn als zeiteffizientes Transportmittel. Dennoch gibt es eine Kategorie von Reisenden, die sich die Finger lecken werden: Eisenbahnromantiker. In Zeiten von TGV, ICE und Frecciarossa bekommt man hier ein Bahnerlebnis, das auf andere Art besonders ist.
Erbaut 1878
Das gilt namentlich für die Strecke zwischen Plattling und Klatovy, wo es über das Mittelgebirge des Böhmerwalds geht. Nicht ein Intercity steht am Perron in Plattling, sondern ein gutmütig vor sich hinbrummender Dieseltriebwagen mit der Aufschrift «Waldbahn». Er macht seinem Namen alle Ehre, denn sobald kurz nach Plattling die Donau überquert ist, geht es tatsächlich immer tiefer in den Wald hinein.
Die Waldbahn fährt bis Bayerisch Eisenstein. Dort steht ein überdimensioniert wirkender, symmetrisch aufgebauter Bahnhof mit zwei grossen identischen Gebäuden, die durch ein niedrigeres Zwischenstück verbunden sind. Erbaut wurde er 1878, und mittendurch geht eine Grenze. Heute trennt diese die Bundesrepublik Deutschland und Tschechien. Zwischen 1948 und 1989 waren es der freie Westen und der kommunistische Osten gewesen, die hier aufeinander stiessen, in der Zwischenkriegszeit Deutschland und die neu entstandene Tschechoslowakei, und noch früher berührten sich hier das Deutsche Kaiserreich und die habsburgische Doppelmonarchie.
Glorioses Bahnhofbuffet
Wenn der Dieseltriebwagen der Waldbahn ankommt, gilt es eilig umzusteigen in den schon bereitstehenden Zug der Tschechischen Bahn, der am gleichen Bahnsteig steht, aber etwa fünfzig Schritte entfernt und damit bereits jenseits der Grenze wartet. Zweimal am Tag ist es nicht ein Triebwagen nach Klatovy, dem nächsten grösseren Ort, sondern eine urtümlich anmutende Diesellokomotive, die Kurswagen bis nach Prag zieht. Die Komposition arbeitet sich keuchend hoch zum Scheiteltunnel unter dem Spitzberg, der tschechisch Špičák heisst, und gleitet dann gemächlich auf der anderen Seite durch böhmisch Hain und Flur hinunter. Vor dem Fenster zieht die ganze Pracht des Böhmerwalds vorbei mit moosüberwachsenen Felsen, dunklen Tannen, Pilzen am Bahndamm und hin und wieder weiten Ausblicken auf Wiesen und Weiden an den Bergabhängen. Es ist ohne Zweifel eine der schönsten Bahnstrecken Tschechiens.
Was die grenzüberschreitenden Fernreisenden nicht ahnen: Dass es sich vielleicht gelohnt hätte, in Eisenstein den knappen Anschluss zu verpassen. Denn das gloriose Bahnhofbuffet atmet wie kaum ein anderes Element auf dieser Strecke vergangene Bahnromantik.
Einer Strecke übrigens, die bei ihrer Eröffnung vor knapp hundertfünfzig Jahren für die Rolle der schnellsten Verbindung zwischen München und Pilsen ausersehen war. Dieses Versprechen konnte sie wegen steilen Rampen und engen Kurven namentlich auf der böhmischen Seite bisher jedoch nie wirklich einlösen. Jetzt ist es soweit.