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Schauspielhaus Zürich

Norwegisch-kalt bis ägyptisch-heiss

10. Januar 2017
Annette Freitag
«Labyrinth des Scheinbaren», sichtbar gemacht von Isabelle Krötsch
«Labyrinth des Scheinbaren», sichtbar gemacht von Isabelle Krötsch
Ibsens Peer Gynt, das «dramatisches Gedicht», mit Live-Musik und spontan gezeichneten und an die Wand projizierten Skizzen.

Eiskalt weht der Wind an diesem Nachmittag durch die Eisgasse in Zürich … Dann: Kanonengasse,  Militärstrasse, schliesslich Kaserne … Das klingt alles nicht sehr anheimelnd. Aber genau dort liegt das Probelokal des Schauspielhauses.

Ächzend geht die Holztür auf: drinnen ein Militärlagerraum, warmes Licht, zarte Musik, ein Schauspieler, der seine Rolle übt. Es geht um Peer Gynt, Henrik Ibsens «dramatisches Gedicht», wie er es nannte. Ein Epos über das Auf und Ab des Lebens, über Wahrheit und Lüge, über Wirklichkeit und Projektion. Keine leichte Aufgabe, die sich die vier Künstler da gestellt haben. Sie bezeichnen sich als «Kollektiv» und das besteht aus dem Schauspieler Hans Kremer, der Geigerin Esther Schöpf, dem Pianisten und Akkordeonspieler Nobert Groh und Isabelle Krötsch. Sie leitet die Probe und zeichnet dazu.

Laut-Malereien nennt sie, was sie macht. Denn sie begleitet Text und Musik mit spontanen Skizzen, die während des Spiels entstehen und auf die Wand projiziert werden. Faszinierend ist das. Denn es sind nicht einfach Illustrationen, sondern die Zeichnungen spielen sozusagen eine ebenso gleichberechtigte Rolle wie die Musik.

«Wer bist du?» «Was bist du?» «Wo bist du?» Fragt Hans Kremer (Bild) sich das selbst? Oder ist es Peer Gynt? Oder meint er die Musiker? Oder die Zeichnerin? Oder meint er mich, die Zuschauerin an diesem Nachmittag …? Egal. Jeder ist angesprochen. Jeder und jede, ganz persönlich. Auf der Projektionsfläche: Hans Kremers Gesicht. Gross, ernst und schwarz-weiss. Die Kamera bleibt ganz nah auf ihm. Wegblicken geht nicht. Weghören sowieso nicht. Dazu kommt ein dumpfes, leises, rhythmisches Geräusch von den Musikern. Wie ein Herzschlag klingt es.

Schichten und Ge-Schichten

Kaum hat man sich darauf eingelassen, wird unterbrochen. Es ist ja noch eine Probe und das mit dem Spontan-Zeichnen, das muss auch noch geübt werden. Hans Kremer fasst einen Tisch und kippt ihn um. Jetzt ist Peer Gynts Schlitten daraus geworden, später ein Bett. Isabelle Krötsch tunkt ihren Pinsel ins Wasser, setzt etwas Farbe drauf und malt parallell zum Text ein paar Linien, verwischt sie und im Handumdrehen ist ein Pferd entstanden, das mitsamt dem Reiter davonprescht. Dann nur ein paar wenige Töne aus Solveigs Lied von Edvard Grieg, gesummt von der Geigerin, und die Melancholie der Szene ist fast schon beklemmend.

Als «konzertant» bezeichnet Hans Kremer diese Art von Aufführung, die alles andere ist als die legendäre Inszenierung von Peter Stein vor 45 Jahren, in der Bruno Ganz noch den Peer Gynt spielte. Auf der damals von Botho Strauss und Peter Stein entwickelten Fassung beruht auch dieser experimentelle Abend. «Diese Aufführung damals hat mich letztlich dazu gebracht, Schauspieler zu werden», sinniert Hans Kremer rückblickend. Und als er in jungen Jahren dem Regisseur und Theaterleiter Jürgen Flimm von Köln ans Thalia-Theater nach Hamburg folgte, war dort «Peer Gynt» seine erste Rolle. Seither hat Peer Gynt ihn nicht mehr losgelassen. «Ich erzähle gern Geschichten», sagt er. «Mit möglichst wenig Drumherum an Ausstattung.» Stattdessen soll es eine Hommage an die Kraft der Vorstellung sein und an die Magie des Erzählens. Peer Gynts Zwiebelmonolog soll dies verdeutlichen. Peer Gynt vergleicht sich darin mit einer Zwiebel, die viele Schichten habe, aber keinen Kern. «Aus diesen verschiedenen Schichten werden Ge-Schichten …», sagt Kremer. «Es sind auch Schichten meines eigenen Theaterlebens, mal norwegisch-kalt, mal ägyptisch-heiss.»

Musik-Theater-Kunst-Stück

Während Peer Gynt sich oft selbst etwas vormacht und zum Beispiel die Hitze in der Wüste und die sengende Sonne als romantische Idylle und friedliches Landleben ansieht, um nicht daran zu Grunde zu gehen, verstellen die Vier vom Kollektiv sich nicht. «Wir erzählen unsere Geschichten hier in einer offenen Werkstatt, wo jeder sehen kann, was wir machen», sagt Isabelle Krötsch, «und gleichzeitig erzeugen wir eine ganze Welt in der Phantasie der Zuschauer. Hoffentlich …»

Wichtig ist es der Gruppe, dass Musik, Text und Bild sich in gleichberechtigter Weise ineinander verweben, eine Einheit bilden. Musik soll also nicht einfach «Begleitung» sein, sondern manchmal sogar den Text ersetzen. Dabei erlebt der Zuschauer ein Musik-Theater-Kunst-Stück en miniature. Die beiden Musiker Esther Schöpf und Norbert Groh haben neben eigenen Improvisationen und einer Auswahl an Werken anderer Komponisten wie Johann Sebastian Bach, Antonin Dvořák und Claude Debussy auch die Bühnenmusik von Edward Grieg für Violine und Klavier eingerichtet. Dies ergibt ein ganz besonderes und eigenständiges Musikkaleidoskop.

Elemente des Lebens

Wichtig ist ihnen auch, dass es das Skizzenhafte behält, das diese Art der Aufführung so lebendig macht. «Ich liebe solche szenischen Skizzen», sagt Hans Kremer, «das Unausgeführte, das Spontane, das man so hinwischt. Der Vogel, den der Zuschauer sieht und der eigentlich nur ein Strich ist. Die Skizze, die Werkstatt, der Vorgang, der sich immer weiterentwickelt und gleichzeitig offen bleiben darf. Das ist doch etwas sehr Humanes: Der eine ist nicht definitiv so und der andere anders. Ist er wirklich so? Und ist der andere wirklich anders?

«Peer Gynts Traum» – auf Papier festgehalten von Isabelle Krötsch
«Peer Gynts Traum» – auf Papier festgehalten von Isabelle Krötsch

Es könnte doch alles auch umgekehrt sein. Auch bei Peer Gynt. Und in diese Werkstatt darf man bei uns hineinschauen.» Das klingt vielleicht kompliziert, ist aber luftig leicht. Isabelle Krötsch: «Es hat alle Elemente des Lebens und das gefällt uns ja daran: dass man den Eindruck hat, es ist aktuell und gleichzeitig bleibt es unterhaltsam und poetisch.» Wieder erklingen ein paar leise Töne vom Klavier her, die Geige schmiegt sich ihnen an. Hans Kremer balanciert zwischen Peer Gynts Gedanken und seinen eigenen Erfahrungen. Isabelle Krötsch nimmt ein neues Blatt Papier und setzt den Pinsel an. Und auf wundersame Weise verschmilzt nun alles zu einer theatralischen Einheit. Dann ist die Probe für diesen Nachmittag beendet.

Nach den herzerwärmenden Stunden, Worten, Klängen und Bildern in der wohlig-warmen Kaserne geht es wieder hinaus. Inzwischen ist es dunkel geworden und es beginnt zu schneien. Eiskalt ist es immer noch in der Kanonengasse, der Militärstrasse und der Eisgasse.

HENRIK IBSEN: PEER.GYNT
Eine szenische Lesung mit Live-Musik und Live-Zeichnung                            
Schauspielhaus Zürich
Premiere: Freitag, 13.01.2017, Pfauen/Kammer

Mehr Infos: www.peer.gynt.ch

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