Dieses Jahr hatten die Salzburger Festspiele – zumindest in einer Produktion – eine ganz besondere Klangfarbe. Und das Publikum hat die Ohren gespitzt. Die Zürcher Schauspielerin überzeugt in der Rolle des Nörglers in «Die letzten Tage der Menschheit».
Mehr als tausend Rollen hat das Stück und eine Spieldauer von rund zehn Abenden. Unaufführbar sei es, bemerkte schon der Autor höchstpersönlich, und es ist dies kein Geringerer als Karl Kraus. «Die letzten Tage der Menschheit», geschrieben vor mehr als hundert Jahren, war – zum Glück in gekürzter Form – eine der Hauptproduktionen der diesjährigen Salzburger Festspiele. Mehr noch: Es war das Stück der Stunde, seit immer mehr Krisen und kriegerische Auseinandersetzungen unsere Welt prägen. So wie damals, als Karl Kraus über die labile Weltlage schrieb. Und was er schrieb, klingt fast, als wär’s ein Stück von heute.
«Am Anfang war das Wort. Am Ende steht die Phrase», notierte Karl Kraus im Vorwort zu seinem Stück. Und für sich selbst hat er auch gleich eine Rolle mit hineingeschrieben: den «Nörgler», einen alten Griesgram, der das ungute Weltgeschehen beobachtet und vor allem nörgelnd kommentiert.
Der Nörgler ist eine «Sie»
In der Salzburger Fassung sass der «Nörgler» zunächst stumm links vorn am Bühnenrand: Kein alter Mann, sondern eine junge Frau. Sie hört zu, was insbesondere Michael Maertens und auch die fünf anderen Personen auf der Bühne grossspurig von sich geben. Sie beobachtet, was da schief läuft in der Welt. Und nach geraumer Zeit öffnet auch sie ihren Mund, und sagt, was sie zu sagen hat in stark schweizerisch gefärbter Sprache. «Schwyzerdütsch» nennen das die Deutschen im Publikum.
Falsch. «Es ist das sogenannte Schweizer Hochdeutsch oder wie auch immer man das nennen will», sagt die Zürcher Schauspielerin Elisa Plüss, die den Nörgler spielt. «Der Schweizer Akzent in dieser Aufführung hat mehrere Komponenten», erklärt sie. «Aber ich glaube nicht, dass er die beobachtende, neutrale Position der Schweiz ins Stück bringen soll. Wobei, vielleicht ist da ein bisschen was dran», meint sie mit einem selbstironischen Lächeln. Und was die Sprache betrifft: Genau diesen Akzent hat sie sich von Anfang an abgewöhnt, seit sie als junge Frau in Zürich und im Wiener Burgtheater auftrat, noch bevor sie ihr Schauspielstudium im Salzburger Mozarteum antrat.
Dass sie nun in «Die letzten Tagen der Menschheit» dennoch Schweizer Hochdeutsch spricht, geht auf den tschechischen Regisseur Dušan David Pařízek zurück. Sie kennt ihn, seit sie mit ihm vor zehn Jahren am Zürcher Schauspielhaus in Klaus Manns Stück «Mephisto» zusammengearbeitet hat. «Er nimmt gern die Dialekte auf, die von Ensemble-Mitgliedern gesprochen werden. In diesem Sinne fand er es interessant, dass der Nörgler kein alter Mann, sondern eine junge Frau ist, die schweizerisch spricht. Am Anfang hat mich das einige Überwindung gekostet und ich musste beim Spielen um die Sprache ringen. Dann habe ich es aber total spannend gefunden. Interessanterweise sagen viele Leute im Publikum, dass sie sehr genau zuhören, weil die Sprache so ungewöhnlich ist.»
Ratsuche bei Peter von Matt
Und weil sie selbst zunächst auch mit der Sprache gekämpft hat, suchte sie Rat in einem Buch von Peter von Matt. «Da habe ich ein Kapitel über die Schweizer Sprache gefunden, das mir sehr gefallen hat. Da heisst es, dass man das Schwyzerdütsch ein Leben lang weiterentwickelt und je nach Lebenssituation verändert. Das habe ich als sehr befreiend empfunden, weil ich mich manchmal gefragt habe, ob ich auf der Bühne authentisch spreche. Peter von Matt hat mir durch sein Buch die Zweifel genommen. Vorher dachte ich, das geht gar nicht. Ich habe mich ganz unprofessionell dabei gefühlt. Dann hat es angefangen, mir Spass zu machen. Bei der Leseprobe zu den ‘Letzten Tagen der Menschheit’ hatte ich die Texte noch auf Hochdeutsch gelesen. Dann habe ich auf Schweizer Färbung umgestellt und alle ringsherum spitzten die Ohren und ich dachte: Ok, da ist was dran.»
Dadurch, dass die nörgelnde Person schweizerisch spreche, stehe sie auch ein paar Meter im Abseits und verfolge das Geschehen aus einer gewissen Distanz, die manches klarer erscheinen lasse, sagt sie. Zumal schon bei Karl Kraus die Sprache der Nörgler-Texte anders sei als beim übrigen Personal im Stück. Eher reflektierend und analysierend, während die übrigen Personen in ihren Texten eher subjektiv denken und handeln und situativ spielen.
«Nach der Lektüre von Peter von Matt dachte ich: Cool, ich kann ganz spielerisch mit meinem Deutsch umgehen. Und da hat mir dann auch meine schweizerisch nörgelnde Rolle gefallen. Ich habe das Gefühl, ein bisschen weniger zu ‘schauspielern’ als sonst. Ich finde die Texte spannend und möchte mich dafür einsetzen, dass man sie versteht. Ich möchte sie lebendig gestalten, damit man einen Menschen spürt und nicht nur einen Text. Denn die Texte sind zum Teil sehr theoretisch. Aber jetzt habe ich einen sehr emotionalen Zugang gefunden. Es ist ein spannender Weg zum Thema Sprache.»
Sprachliche Herausforderung
Für Elisa Plüss war diese Sprache bis jetzt völlig unüblich. «Entweder habe ich in einem Stück richtigen Dialekt gesprochen oder Hochdeutsch. Aber nicht diese Mittelform. In den ‘Letzten Tagen der Menschheit’ habe ich mich schliesslich daran gewöhnt und es spannend gefunden: Eine junge Frau, die in einer Sprache redet, die sonst alte Männer sprechen, und dann noch ein bisschen schwerfällig eingefärbt in Schweizerdeutsch. Eine Beobachterfigur, fast schon ein wenig verbissen, die den Kriegsbefürwortenden im Stück entgegensteht.»
Insgesamt ist es eine lange und kräftezehrende Aufführung. «Es ist herausfordernd, so lang auf der Bühne zu stehen,» sagt Elisa Plüss, «aber es interessiert mich. Am anstrengendsten sind eigentlich Stücke, die einen nicht herausfordern. Ich freue mich, dass ich eine Rolle wie den Nörgler habe. Und dass ich Texte von Karl Kraus sprechen darf. Und dass ich mich auf der Bühne explizit für den Frieden und gegen Gewalt aussprechen darf. Ich empfinde das als sehr sinnvoll in dieser tollen, geschärften Sprache. Es sind zum Teil sehr komplexe Sätze und es ist definitiv anstrengend. Aber man wird nicht Schauspielerin, wenn man sich solchen Herausforderungen nicht stellen will.»
Und auch wenn die Salzburger Festspiele inzwischen zu Ende sind, so gehen «Die letzten Tage der Menschheit» für Elisa Plüss und das gesamte Ensemble weiter. Von nun an auf der Bühne des Wiener Burgtheaters, wo die Inszenierung gleich jetzt zu Beginn der Spielzeit weitergeht. Damit schliesst sich der Kreis: Denn noch bevor die ganze Inszenierung in der grossen Halle auf der Perner Insel gezeigt wurde, fanden die Proben bereits im Burgtheater statt. Ab sofort stehen «Die letzten Tage der Menschheit» dort auf dem Spielplan. «Ich bin gespannt, wie es dann in Wien ankommt», sagt Elisa Plüss, die schon seit längerem zum festen Ensemble des Burgtheaters gehört.