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Grönland

Neues Selbstbewusstsein

18. Juni 2025
Rudolf Hermann
Rudolf Hermann
Vivian Motzfeldt
Vivian Motzfeldt, grönlandische Aussenministerin, hat im Mai für das dänische Königreich den Vorsitz des Arktischen Rates übernommen. (Keystone/EPA, Mads Claus Rasmussen)

Einen eigenen Staat hat Grönland (noch) nicht, und doch präsidiert es seit Mitte Mai eine bedeutende multilaterale Organisation: den Arktischen Rat, das wichtigste zwischenstaatliche Forum der Arktis-Anrainer. Die grönländische Aussenministerin Vivian Motzfeldt repräsentiert dort das Dänische Königreich, das im Frühling turnusgemäss den Vorsitz des Gremiums von Norwegen übernommen hat.  

Das bedeutet nicht nur Prestige für Grönland, sondern signalisiert auch einen neuen Kurs Kopenhagens im Umgang mit der einstigen Kolonie: Wenn Grönland der Teil des Königreichs ist, der Dänemark zu einem arktischen Staat macht, dann soll Nuuk mehr Mitsprache und Repräsentation in arktischen Belangen erhalten, sowohl auf symbolischer als auch praktischer Ebene. Solches Denken war bisher in den Kopenhagener Korridoren der Macht nicht zu beobachten. 

Für Grönland stellt der Arktische Rat eine bedeutsame aussenpolitische Bühne dar: Am Tisch sitzen die zwei Grossmächte USA und Russland, ferner das Nachbarland Kanada, mit dem man auf der Basis der zirkumpolaren indigenen Völker verbunden ist, und weiter die fünf Staaten der europäischen Arktis: Norwegen, Finnland, Schweden, Dänemark und Island. Für ein Gebiet wie Grönland, das als autonome Region gerade im Begriff ist, seine Fühler auf dem globalen diplomatischen Parkett auszustrecken, ist das eine hochinteressante Kombination. 

Der Arktische Rat auf schwierigem Terrain 

Das gilt auch unter den schwierigen Umständen, unter denen der Arktische Rat derzeit arbeiten muss. Durch Russlands Überfall auf die Ukraine laufen viele Bereiche früherer Kooperation auf Sparflamme – wenn sie überhaupt noch laufen. Das gilt etwa für die wissenschaftliche Zusammenarbeit im für die Arktis äusserst wichtigen Bereich des Klimawandels. Für gewisse Unruhe sorgten zuletzt indes auch die USA. Einerseits mit Präsident Trumps unverhohlener Ambition, Grönland zu «übernehmen», andrerseits mit der Abwendung des Weissen Hauses von einer aktiven Klimapolitik.  

Als Schwerpunkt seines zweijährigen Vorsitzes im Arktischen Rat definierte Dänemark die nachhaltige Entwicklung des arktischen Raums und der Lebensbedingungen der dortigen Bevölkerung. Im Klartext: Der Fokus liegt auf Klimaschutz, Biodiversität, den Ozeanen und den indigenen Völkern. 

Das ist angesichts der herrschenden politischen Umstände allerdings keine einfache Agenda. Eine Forscherin des renommierten norwegischen Fridtjof-Nansen-Instituts sagte, was etwa Klimapolitik und die Rechte von Indigenen angehe, seien die USA ein komplizierter Partner geworden. Dass bei der Stabübergabe von Norwegen an Dänemark Mitte Mai überhaupt eine von allen acht Rats-Mitgliedstaaten akzeptierte Erklärung zum Programm verabschiedet werden konnte, wurde deshalb bereits als Erfolg verbucht. 

Neue Töne aus Kopenhagen 

Ungeachtet der zu erwartenden Schwierigkeiten in der politischen Kleinarbeit ist die Tatsache, dass die Regierung in Kopenhagen den Chefsessel im Rat nicht für sich selbst beanspruchte, sondern ihn der grönländischen Aussenministerin zugestand, Ausdruck einer bemerkenswerten Wandlung des Verhältnisses zwischen Mutterland und ehemaliger Kolonie. Diese drückt sich auch darin aus, dass neuerdings mit Kenneth Høegh ein grönländischer Karrierediplomat im dänischen Aussenministerium die Funktion des Botschafters für arktische Belange bekleidet.  

Ganz von selbst ist diese Wandlung nicht zustande gekommen. Der Druck, der durch Trumps Verlangen nach Kontrolle über Grönland entstanden ist, hat Dänemark klargemacht, dass es Grönland mehr auf Augenhöhe begegnen muss als bisher. 

Dänemarks Staatsführung hat realisiert, dass die Möglichkeit, Grönland zu verlieren, nicht mehr nur theoretischer Natur ist. Zwar hat diese Möglichkeit schon lange bestanden: Im Autonomiestatut, das für Grönland seit 2009 in Kraft ist, ist das Recht auf einen Austritt aus dem Königreich explizit verankert. Diesen Passus führen grönländische Politiker praktisch aller Couleur denn auch schon seit Jahren im Mund. Auf praktischer Ebene war ein Austritt – oder auch nur die konkrete Annährung an einen Austritt – jedoch bisher nicht absehbar.  

Und zwar, weil es der grossen, aber nur spärlich besiedelten Insel nicht zuletzt an Wirtschaftskraft für diesen Schritt fehlt. Man hängt am Tropf Dänemarks, das mit der sogenannten Blocksubvention für rund die Hälfte der öffentlichen Ausgaben aufkommt. Böse Zungen pflegen zu behaupten, die Subvention sei allerdings nicht Ausdruck eines genuinen Interesses Kopenhagens für die frühere Kolonie, sondern lediglich der Preis, den man zu zahlen bereit sei, um durch Grönland ein arktischer Staat zu sein und damit am Tisch der Grossmächte sitzen zu können, wenn es um die Nordpolregion geht. 

Politik der Sachzwänge 

Ganz unwahr dürfte dies nicht sein. Grönland macht zwar mit seinen 2,2 Millionen Quadratkilometern 98 Prozent der Fläche des Dänischen Königreichs aus, doch seine rund 57’000 Einwohner stellen nur ein Prozent der Bevölkerung dar. Sie leben zudem weit entfernt vom Mutterland und unter sehr anderen Bedingungen. 

Nun hat Dänemark allerdings gemerkt, dass es für den Zusammenhalt des Königreichs, dem neben Grönland auch die Färöer als teilautonomes Gebiet angehören, nicht nur finanzieller Zuwendungen bedarf, sondern auch politischer und gesellschaftlicher Wertschätzung. In Grönland wiederum ist die Erkenntnis gereift, dass die Forderung nach Unabhängigkeit zwar schnell geäussert ist, ihre Umsetzung aber umso komplizierter wird, je mehr man sich dem Ziel zu nähern versucht. Auch wächst das Bewusstsein, dass es ohne einen grösseren Partner, an den man sich anlehnen kann, schwierig werden wird.  

Bei diesem Partner muss es sich nicht notwendigerweise um Dänemark handeln – auch die USA könnten eine Option sein. Doch mit seinem unsensiblen Vorgehen hat Trump den Grönländerinnen und Grönländern sehr schnell die Augen dafür geöffnet, dass Respekt für die eigenen Anliegen doch eher aus Dänemark zu erwarten sei, trotz der komplizierten gemeinsamen Geschichte. So ist es nicht überraschend, dass die seit Frühjahr amtierende grönländische Regierung erklärt hat, das langfristige Ziel der Unabhängigkeit bleibe zwar bestehen. Doch bis es erreicht sei, werde man die Kontakte zu Kopenhagen eher vertiefen als abbauen. 

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