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Iran

Nach dem Krieg

26. Juni 2025
Reinhard Schulze
Iran Trauer
Die Wunden des Krieges sind tief. Beisetzung des iranischen Soldaten Mahan Setareh am 26. Juni 2025, der bei einem israelischen Luftschlag sein Leben verlor. (Keystone/EPA/Abedin Taherkenareh)

Die internationalen Fluggesellschaften scheinen optimistisch zu sein, dass die Waffenruhe, die zwischen der israelischen Regierung und dem iranischen Regime verabredet wurde, vorerst hält, und nutzen die Luftverkehrswege über den Irak wieder intensiv. Der Iran hat eine partielle Öffnung seines Luftraums verfügt und die israelische Fluggesellschaft El Al nimmt bereits Buchungen entgegen.

Doch ob die Voraussetzungen für eine dauerhafte Waffenruhe gegeben sind, weiss niemand. Allerdings mehren sich die Anzeichen, dass sowohl Israel als auch der Iran durch einzelne Militärschläge versucht sein könnten, die Bedingungen für eine dauerhafte Waffenruhe ihren Interessen anzupassen beziehungsweise zu ihren Gunsten zu verändern. Das würde bedeuten, dass sich die Waffenruhe erst nach und nach durchsetzen würde. Eine ähnliche Situation gab es bereits im Krieg zwischen den israelischen Streitkräften und der libanesischen Hisbollah. Nun wird viel davon abhängen, wie die israelische Regierung die Ergebnisse der Angriffe der vergangenen Tage bewertet und ob das iranische Regime die faktische Aussetzung der Zusammenarbeit mit der Internationalen Atomenergieagentur und die mögliche Kündigung des Atomwaffensperrvertrags von 1967, den der Iran 1970 unterzeichnet hat, als ausreichende Drohgebärde präsentieren kann. Entscheidend ist auch hier, wie sich der Machtkampf innerhalb des iranischen Regimes weiterentwickelt und ob sich die radikalen Fraktionen der Revolutionsgarden politisch durchsetzen können.

Zwischen Nordkorea und Russland

Realistisch gesehen können wir derzeit nur von einem Schwebezustand zwischen kaltem und heissem Krieg zwischen dem Iran und Israel ausgehen. Wohin das Pendel letztlich ausschlagen wird, hängt massgeblich von der innenpolitischen Entwicklung im Iran und von den strategischen Planungen Israels ab. Es sind Szenarien denkbar, in denen sich in Bezug auf das Atomprogramm eine Art rudimentäre Politik der Verständigung entwickelt. Dies könnte dazu führen, dass der Iran sein Atomprogramm tatsächlich und nachprüfbar beendet und im Gegenzug international gewährleistete Sicherheitsgarantien erhält. Diese Option entspräche den Interessen der iranischen Regierung unter Peseschkian. Andernfalls bleibt der Kriegszustand latent. Dies entspräche dem Ansinnen der radikalen Fraktionen innerhalb der Revolutionsgarden, die durch den Krieg gegen die Hisbollah, den Sturz des Assad-Regimes und die Entflechtung der irakischen schiitischen Milizen ihr strategisches Vorfeld verloren haben und diesen Positionsverlust durch eine offensive, ideologisch abgesicherte Strategie auszugleichen suchen. Die Option «Nordkorea» dürfte bei ihnen noch nicht vom Tisch sein: Demnach sollten die Revolutionsgarden unversehens mit einer durch einen Atomtest bestätigten Atombewaffnung aufwarten und so ein Abschreckungspotenzial schaffen, das eine Sicherheitsgarantie umfasst, ähnlich der, die sich Nordkorea verschafft hat. Anders gemässigte Fraktionen und die mit ihnen verbündeten Teile der Regierung: Sie könnten mit der Idee spielen, die Sicherheitsgarantien durch eine atomare Abschreckung seitens Russlands einzufordern, also den Iran unter den russischen Atomschirm zu stellen. Russland könnte das damit begründen, dass der Iran entscheidend ist für die russischen Sicherheitsinteressen.

Bleibende Verfeindschaftung

Doch noch sind all diese Annahmen hochspekulativ. Das betrifft auch die israelische Politik. Premier Netanjahu feiert sich als Retter der Nation und verkündet, alle Kriegsziele seien vollumfänglich erreicht. Es wird sich zeigen, ob er dem israelischen Militär Anweisungen geben wird, hier noch etwas nachzubessern. Der Schwebezustand ist so Teil der Exitstrategie, mit der Israel wie der Iran die Kriegsfolgen bewältigen wollen. Eine politische Strategie ist dabei nicht erkennbar. Dies würde dem Muster entsprechen, das jahrzehntelang den Nahen Osten beherrschte, und den Interessen der Revolutionsgarden dienen. Eines hat der Waffenstillstand jedoch verändert: Erstmals seit Jahrzehnten ist es wieder zu einer vertragsähnlichen, öffentlichen Verabredung zwischen dem Iran und Israel gekommen. 

Von einer weitergehenden Friedensordnung ist der Nahe Osten noch meilenweit entfernt. Den USA wird es nicht gelingen, in kurzer Zeit eine friedensfähige Nachkriegsordnung im Nahen Osten durchzusetzen. Frieden würde den Verzicht auf Feindschaft bedeuten und somit eine fundamentale Kehrtwende in der politischen Landschaft des Nahen Ostens darstellen. Zwischen Syrien und Israel beziehungsweise dem Libanon und Israel besteht schliesslich immer noch nur ein Waffenstillstand. Trump träumt davon, im Nahen Osten eine Politik durchzusetzen, die die Interessen der einzelnen Staaten mit denen grosser Wirtschaftsunternehmen gleichsetzt. Er glaubt, dass über «Deals» genannte Vertragsabschlüsse ähnlich wie in der Wirtschaft operiert werden könne. Der Nahe Osten verweigert sich jedoch aus historischen Gründen einer solchen Politik. Ein längerfristiger Frieden setzt auch einen Frieden zwischen Israel und dem Iran voraus. Doch eine israelisch-iranische Aussöhnung wäre nur möglich, wenn sich beide Länder aus den Verstrickungen der Verfeindung befreien würden. Dies könnte nur durch einen Politikwechsel in Israel und einen Sturz der Ordnung der Islamischen Republik Iran geschehen.

Sicher haben die USA und Israel einen wichtigen Erfolg errungen. Doch erst wenn sie ihren militärischen Erfolg in eine konstruktive Politik übersetzen und zum Beispiel eine aktive Politik in Bezug auf die Zukunft der palästinensischen Gebiete und die palästinensische Staatsbildung verfolgen würden, wären sie Gewinner. Dann böte sich die Möglichkeit, den neuen Nahe Osten tatsächlich in einen Friedensraum zu verwandeln und die vergangenen Kriege und damit auch ihre Erfolge mit diesem Ziel zu verknüpfen.

Hoffnungen des Regimes

Doch der Krieg kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich das iranische Regime mit den sich nun wieder angekündigten Atomverhandlungen mit den USA eine Atempause verschafft hat. Trotz der Zerstörungen in den Atomanlagen von Natanz, Fordo und Isfahan sowie den empfindlichen Luftschlägen gegen die iranischen Raketen- und Luftabwehrstellungen kann das Regime behaupten, dass die Lage wieder dem Vorkriegszustand entspräche, als es den Wiedereinstieg in die Atomverhandlungen, allerdings unter Ausschluss der Thematisierung des Raketenprogramms, angeboten hatte. Trumps Ankündigung, eine Lockerung der Sanktionen und des Embargos der iranischen Erdölexporte wäre denkbar, um einen «Wiederaufbau der iranischen Wirtschaft» zu ermöglichen, deutet an, dass die USA ein Interesse daran haben, die Legitimität der iranischen Regierung gegen die Machtansprüche der Revolutionsgarden zu stärken. Dies könnte dazu führen, dass das nationalkonservative reformistische Programm von Präsident Peseschkian einen unverhofften Zugewinn erhielte, ausgelöst durch eine greifbare Verbesserung der Wirtschaftslage. Damit würde Trump in den Machtkampf im Iran eingreifen. Auf verschlungenen Wegen könnte so zwar verhindert werden, dass die verdeckte Diktatur der Revolutionsgarden in eine offene Diktatur umschlägt und dass die Garden zu einer offensiven Kriegspolitik zurückfinden. Doch zugleich bedeutete dies die Stabilisierung der Ordnung der Islamischen Republik. Eine Strategie, wie sich die internationale Politik diesem Dilemma entziehen könnte, ist nicht erkennbar. 

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