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Kommentar 21

Muhammed wird ausgeschafft

27. Oktober 2016
Reinhard Meier
Reinhard Meier
Muhammed sitzt im Zürcher Flughafengefängnis. Anfang November soll er nach Italien ausgeschafft werden. Das macht ein schlechtes Gewissen.

Seit gut einem Jahr steht unsere Familie in losem Kontakt mit Muhammed T. Er ist ungefähr 25-jährig und stammt aus Sierra Leone, einem der ärmsten Länder Westafrikas. Seine Eltern sind umgekommen, offenbar im Zusammenhang mit dem Bürgerkrieg, der in den neunziger Jahren in diesem Land wütete. Einige Jahre lang hat sich Muhammed in verschiedenen afrikanischen Ländern durchgeschlagen, zuletzt in Libyen als Bauarbeiter. Als dort das Chaos überhandnahm,  kam er mit einem Flüchtlingsboot nach Italien, von dort via Deutschland in die Schweiz.

Sein Asylantrag in der Schweiz ist abgelehnt worden. Man erklärte ihm, er solle nach Italien zurückkehren. Gemäss Dublin-Abkommen müsste er im europäischen Ankunftsland den Asylantrag stellen. Muhammed blieb stattdessen als „Sans-Papiers“ in der Schweiz, weil er hier bessere Möglichkeiten sah, sich über Wasser zu halten als im von Flüchtlingen überfüllten Italien. Er wohnte provisorisch an verschiedenen Orten, von einigen Bürgern erhielt er Unterstützung und er verdiente etwas Geld durch Gelegenheitsarbeiten. Auf Englisch konnte man sich mit ihm ganz gut verständigen, er spricht auch Französisch und Arabisch und afrikanische Dialekte.  

Vor etwa zwei Wochen ist Muhammed  von der Polizei festgenommen worden. Und diesmal liess man es nicht bei der Aufforderung bewenden, auf eigene Faust das Land zu verlassen. Er wird also nach Italien ausgeflogen. Das entspricht den Vereinbarungen des Schengen-Dublin-Vertrages. Die Schweizer Behörden loben inzwischen die gute Zusammenarbeit mit Italien in diesem Bereich. Allein bis Ende August sind  in diesem Jahr 900 Migranten in unser Nachbarland zurückgeschafft worden.

Dennoch macht der Fall Muhammed T. ein schlechtes Gewissen. Täglich berichten die Medien von der Ankunft zahlreicher neuer Bootsflüchtlinge in Italien. Laut offiziellen Angaben sind 2016  bis Anfang Oktober 153'000 Bootsmigranten im Mittelmeer aus ihren prekären Booten nach Italien gebracht worden. Etwa 3'800 Personen sind 2016 gemäss UNHCR bei der gefährlichen Fahrt ertrunken.

Und nun schickt also die wohlhabende Schweiz in diesem Jahr um die tausend abgelehnte Asylbewerber in unser südliches Nachbarland zurück, wo oft täglich mehrere  tausend neue Flüchtlinge aufgenommen werden. Wie gesagt, nach den Dublin-Verträgen ist das alles korrekt. Aber moralisch betrachtet kommt man sich als gutversorgter Schweizer Bürger doch eher schäbig vor – nicht nur gegenüber Muhammed. Selbst wenn man sich darüber im Klaren ist, dass ausser den Terribles Simplificateurs niemand eine Patentlösung für diese Flüchtlingskrise anzubieten hat.

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