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Urteil der ersten Instanz

Mubarak-Urteil: Politisch opportun

2. Juni 2012
Arnold Hottinger
Von Arnold Hottinger Das Urteil auf lebenslängliches Gefängnis, das über Hosni Mubarak gefällt wurde, ist nicht endgültig. Sein Verteidiger, Farid Deeb, hat bereits erklärt, er werde beim Kassationsgericht Berufung einlegen.

Hosni Mubarak bei der Verkündung des Urteils (Foto: Keystone/AP)
Hosni Mubarak bei der Verkündung des Urteils (Foto: Keystone/AP)

Farid Deeb ist ein in Ägypten berühmter Verteidiger. Seine Spezialität sind hochbrisante Fälle, in denen das Todesurteil unvermeidlich scheint. Es gelingt ihm immer wieder, bei den Richtern Zweifel an der Anklage zu säen. So wird dann statt der Todesstrafe nur eine Gefängnisstrafen ausgesprochen.

Schuldig für fehlenden Schutz, nicht für Tötung

Mit Mubarak wurde sein Polizeiminister Adly zu lebenslänglicher Haft verurteilt. In beiden Fällen wurden die Angeklagten nicht wegen „Verschwörung“ verurteilt, also nicht für die Tötung von 850 Personen. Es wird ihnen nur noch vorgeworfen, die 850 nicht genügend geschützt zu haben. Das ist keine „Verschwörung“, sondern eine „Verfehlung“. Bei den 850 Personen handelt es sich um Demonstranten, die in den Wochen zwischen dem 25. Januar 2011 bis zum Rücktritt Mubaraks am 11. Februar auf den Strassen Ägyptens ihr Leben verloren. Später sind noch einige Hundert Demonstranten mehr ums Leben gekommen. Prozesse für die dafür Verantwortlichen gibt es nur gegen einige angeklagte Polizeibeamte und Offiziere niedrigen Ranges. Viele von ihnen sind bereits frei gesprochen worden.

Verjährte Korruptionsanklagen

Die zwei Söhne Hosni Mubaraks und er selbst wurden von Vorwürfen der Bereicherung durch Korruption frei gesprochen. Im Falle des Ex-Präsidenten, weil die Tatbestände verjährt seien.

Viele Familienmitglieder der Opfer, von denen manche bei allen Gerichtssitzungen vor dem Gerichtsgebäude demonstrierten und dort oft mit den ebenfalls demonstrierenden Anhängern Mubaraks zusammenstiessen, finden das Gefängnisurteil ungenügend. Sie fordern weiter den Tod des früheren Staatschefs.

Freispruch für die Einsatzleiter der Polizei

Viel Zorn erregte, dass die wichtigsten sechs Untergebenen des Innenministers, lauter Polizeioffiziere im Rang von Generälen und Generalleutnants, alle frei gesprochen worden sind.

Die frei gesprochenen Polizeigeneräle waren die direkten Verantwortlichen dafür, was in den kritischen Tagen auf der Strasse geschah. Doch die Beweise, die gegen sie vorgebracht wurden, waren nach dem Urteil des Richters ungenügend. Man weiss, dass es Episoden während der Gerichtsverhandlungen gab, in denen Belastungszeugen ihre Zeugenaussagen gegen die Polizeikommandanten zurücknahmen. Wahrscheinlich waren sie zuvor eingeschüchtert worden. Die angeklagten Polizeioffiziere haben Kollegen, die noch Polizeikräfte kommandieren und in vielen Fällen mit ihnen solidarisch sind. Sie sind auch Berufskollegen der herrschenden Militärführung (SCAF). Die Zeugen der Anklage selbst gehörten meist ebenfalls der Polizei an. Wenn es Einschüchterungen gegegen hat, dürften diese von der Polizei selbst organisiert worden sein.

Immunität für Polizeigeneräle?

Jedenfalls hinterliessen diese Freisprüche der eigentlichen Täter bei der versuchten Repression der Demonstranten bei vielen Ägyptern den Eindruck, dass ihre Polizei noch immer die alte sei. Über den ganzen Prozess hin ist es den angeklagten Tätern der Polizei offensichtlich gelungen, die offizielle Fiktion aufrecht zu erhalten, nach welcher die Totschläger und Mörder der Polizei nichts mit dieser zu tun hätten, obwohl sie von ihr bezahlt, ausgerüstet und eingesetzt werden. Im ägyptischen Parlament war ein Vorstoss zur Säuberung des Innenministeriums und seiner führenden Polizeigeneräle unternommen worden. Doch er war wie alle Initiativen des neu gewählten Parlaments von den herrschenden Militärs mit dem Hinweis abgewürgt worden, sie, die Offiziere, erliessen die Gesetze, nicht das Parlament - bis die Militärführung nach der Wahl eines neuen Präsidenten zurücktrete.

Überführung Mubaraks ins Gefängnis von Tora

Um zu demonstrieren, dass es mit dem Gefängnisurteil ernst gemeint sei, ordnete der Richter an, Hosni Mubarak sei nun ins Gefängnis von Tora einzuliefern. Bisher war er im Militärspital von Kairo festgehalten worden. Adly befindet sich schon in Tora. Doch ist zu bezweifeln, dass den beiden Verurteilten in Tora die gleiche Behandlung zuteil wird, wie sie gewöhnlich Verurteilte erhalten. Wahrscheinlich gibt es auch dort Sonderbehandlungen für hoch gestellte und reiche Gefangene.

Die Sicherheitslage nicht belastet

Das Urteil erfolgte, während das Ringen um den Ausstich in der Präsidentschaftswahl seinem Höhepunkt zustrebt. Es fiel so aus, dass es die Sicherheitslage nicht noch weiter belastet. Sowohl ein Freispruch wie auch ein Todesurteil hätten die Gefahr von Zusammenstössen unter den ohnehin in entgegengesetzte Lager gespalteten Ägyptern gewaltig gesteigert.

Schafik lobt die Richter

So wie der Richtspruch ausfiel, haben beide Seiten im Ringen um die Präsidentschaft sofort versucht, aus dem Urteil Gewinn zu ziehen. Dies war schwieriger für Ahmed Schafik, den letzten Ministerpräsidenten Mubaraks, von dem alle Ägypter wissen, dass er einst in sein Facebook geschrieben hatte, der Präsdient sei sein Vorbild. Doch er tat sein Bestes, indem er erklärte, das Urteil zeige, dass niemand über die Justiz erhaben sei, und es beweise auch, dass "kein Präsidentschaftskkandidat das bisherige Herrschaftssystem erneuern kann, das zu Ende gegangen ist".

Morsi für ein strengeres Urteil

Für den Muslimbruder Mohamed Morsi, einen alten Gegner Hosni Mubaraks, war es leichter. Er erklärte, das Urteil müsse revidiert werden. Die Staatsanwälte hätten ihrer Pflicht nicht genügt und nur ungenügende und unentschlossene Belastungszeugen zitiert. Er verspreche, den Opfern werde Gerechtigkeit zuteil werden. Er sagte damit nicht direkt, aber doch implizit, dass er das Todesurteil für einzig angemessen erachte und das Urteil auf lebenslängliches Gefängnis als ungenügend ansehe.

Die Präsidentenwahl wird entscheiden

In der Praxis wird Mubaraks weitere Schicksal sehr stark davon abhängen, wer die Präsidentenwahlen gewinnt. Schafik als Präsident würde wohl diskret dafür sorgen, dass dessen Berufung günstig ausgeht; Morsi wahrscheinlich dafür, dass neue und schlüssigere Anklagen vorgebracht werden.

Wichtiger noch als die Fragen dieses Prozesses dürften jedoch die Probleme der Säuberung und der Reform der gesamten ägyptischen Gerichtsbarkeit und des ägyptischen Innenministeriums werden. Dass Morsi als Präsident, gestützt auf die Parlamentsmehrheit der Partei der Bruderschaft, eine solche Reform herbeiführen könnte, ist viel wahrscheinlicher, als dass Schafik, gestützt auf seine Bundesgenossen aus dem alten Regime und aus der Armee, eine solche Reform auch nur anzupacken gedächte.

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