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Spanien

Mit Volldampf in die Rezession

24. Januar 2012
René Zeyer
Es braucht kein volkswirtschaftliches Wissen, um zu erkennen: Einen Hungernden auf Diät zu setzen, ist wohl das falsche Rezept zu seiner Gesundung.

Wenn ein Wirtschaftsunternehmen nicht mal mehr Kredite bekommt, um die Zinsen von früheren Krediten zu begleichen, ist es Zeit, den Stecker rauszuziehen. Wenn ein Finanzinstitut sein minimales Eigenkapital verzockt hat, ebenfalls. Im besten Fall gibt es dann eine geordnete Insolvenz. Wenn das Geschäftsmodell irgendwie Sinn macht, werden die Scherben weggeräumt, die Gläubiger rasiert, und auf ein Neues. Bei Staaten ist das etwas anders.

Eigentlich ist es der klassische Fall eines Aufmerksamkeitsdefizits. Mit voller Energie konzentrieren sich die Eurokraten auf das wirtschaftliche Leichtgewicht Griechenland. Die Hellenen spielen die Trumpfkarte jedes Schuldners aus: "Seid ihr nicht lieb zu uns, können wir auch anders." Ihre privaten Gläubiger weisen zu recht darauf hin, dass es so etwas wie einen «freiwilligen» Schuldenverzicht nicht geben kann. Und Brüssel verkündet: "Wenn ihr euch nicht zu Tode spart, stellen wir die lebenserhaltenden Maschinen ab." Als ob das nicht des Unsinns genug wäre, geht eine Notiz fast unter: Spanien rasselt in eine dramatische Rezession.

Horror-Zahlen

Eine geplatzte Immobilienblase, die ganze Landstriche mit leerstehenden Bauruinen überzogen hat. Eine Gesamtarbeitslosigkeit, die sich der 25-Prozent-Marke nähern wird, dazu eine Jugendarbeitslosigkeit nahe 50 Prozent, immer nach nicht sehr vertrauenswürdigen offiziellen Zahlen. Und nun die Ankündigung der spanischen Notenbank, dass für 2012 ein weiterer Niedergang der Konjunktur um 1,5 Prozent erwartet wird.

Tiefe Rezession. Die Zinsen für zehnjährige Staatsanleihen kratzen an der 6-Prozent-Marke. Eine letzte Zahl: Das untere Fünftel der einkommensschwächsten Haushalte muss mehr als 40 Prozent der Einnahmen für Schuldentilgung aufwenden (im Schuldenland USA sind es nur 20 Prozent). Als "Zugabe" soll sich Spanien mit momentan 73,8 Milliarden Euro am Rettungsschirm Europäischer Stabilitätsmechanismus (ESM) beteiligen. Also der Ertrinkende soll seinen Rettungsring selber zahlen. Und im Jahr 2012 werden spanische Staatsanleihen für mehr als 115 Milliarden Euro fällig, so viel wie nie zuvor. Da tröstet auch nicht wirklich, dass Italien 260 Milliarden refinanzieren muss.

Und die guten Nachrichten?

Die «offiziellen» Staatsschulden betragen nur etwas mehr als 60 Prozent des Bruttoinlandprodukts, das Haushaltsdefizit, die Neuverschuldung, soll auf 4,4 Prozent des BIP gedrückt werden. Zählt man allerdings die impliziten Schulden dazu, also bezifferbare Sozialversprechen wie Renten, liegt nach seriösen Untersuchungen die Gesamtschuld bei 548 Prozent des BIP. Dazu braucht es sehr viel Optimismus, an die Senkung des Defizits von 8,1 Prozent auf fast die Hälfte zu glauben. Neben Olivenöl und Tourismus fällt Spanien auch nicht durch innovative Zukunftstechnologie oder exportierbare Produkte auf. Und wie ein Verhungernder frische Kräfte sammelt, wenn man ihn auf Diät setzt, soll uns mal ein Eurokrat erklären.

Staaten können, wie jede Wirtschaftsentität, Pleite gehen. Nur sind die Auswirkungen viel dramatischer, als wenn beispielsweise eine UBS falliert. Also sollte man das vermeiden. Wie retten sich wankende Staaten vor dem Bankrott? Durch Wirtschaftswachstum. Was ist Wirtschaftswachstum? Investitionen, steigende Produktion und Nachfrage. Und auf der wichtigen psychologischen Ebene Optimismus und Vertrauen in die Zukunft. All diese Begriffe kommen einem bei Spanien nicht spontan in den Sinn. Was ist also der Unterschied zwischen Spanien und Griechenland? Im Prinzip gibt es keinen. Ausser: Spanien ist die viertgrösste Volkswirtschaft im EU-Raum. Griechenland ist also ein Feuerchen, das im Prinzip mit einem Eimer Wasser gelöscht werden könnte. Bei Spanien reicht nicht mal ein Wasserflugzeug.

Wiederbelebung - und die Folgen?

Alle Massnahmen der Eurokraten zur Bekämpfung der Eurokrise haben bislang eins gemeinsam: zu wenig, zu langsam, zu spät. Um in einem medizinischen Bild zu bleiben: Spanien braucht keine Infusion in homöopathischen Dosen, sondern einen Defibrillator. Im Gang vor der Intensivstation liegen bereits Italien und Frankreich. Wie sieht ein wirtschaftlicher Schocker aus, der Herzrhythmusstörungen beheben kann? Er besteht aus einer festgelegten Zinsobergrenze plus weit geöffnete Geldschleusen plus Schuldgarantien. Alles Massnahmen, die die Europäische Zentralbank ergreifen könnte. Auch gegen den Willen der deutschen Bundeskanzlerin Merkel.

Das Totschlagargument gegen alle diese Massnahmen lautet: Um Himmels willen, und die folgende Inflation? Das ist leicht widerlegbar. Zunächst pragmatisch: Nachdem das Aufpumpen der internationalen Geldmärkte im Billionenbereich nach der Finanzkrise I nicht zu einer galoppierenden Inflation geführt hat, wieso sollte das jetzt der Fall sein? Und dann grundsätzlich: Wenn alle anderen Varianten offensichtlich noch viel schlimmer sind, wieso sollte dann nicht die am wenigsten schlimme gewählt werden? Das ist nun wirklich alternativlos.

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