
Otto Dix und Adolf Dietrich, zwei markante Vertreter der Neuen Sachlichkeit, sind im Schaffhauser «Museum zu Allerheiligen» in einer packenden Ausstellung zu sehen. Jeder in seiner Art entgeht der Versuchung, die Idylle des Untersees zu verklären.
Dietrich, geboren 1877, gestorben 1957, und Dix, geboren 1891, gestorben 1969, waren Vertreter der sich nach dem Ersten Weltkrieg vom Expressionismus abgrenzenden Neuen Sachlichkeit und lebten während eines Vierteljahrhunderts sozusagen auf Sichtdistanz am Untersee, dem südwestlichen Arm des Bodensees. Damit enden die Gemeinsamkeiten. Ob sich die beiden jemals persönlich begegneten und sich gar austauschten, ist nicht belegbar.
Adolf Dietrich hielt sich, abgesehen von einigen Reisen, immer in seinem thurgauischen Geburtsdorf Berlingen auf, verdiente seinen Unterhalt als Maschinensticker und Waldarbeiter und fand als Autodidakt zum Malen und Zeichnen. Ab 1924 – auf die Fünfzig zugehend – konnte er von seiner Kunst leben, vor allem dank des ihn fördernden Kunsthändlers Herbert Tannenbaum.
Gänzlich anders die Biografie von Otto Dix. Aus der thüringischen Stadt Gera und ebenfalls einer Arbeiterfamilie stammend, musisch interessiert und nicht arm, absolvierte er eine Lehre als Dekorationsmaler und studierte in Dresden an der Kunstgewerbeschule und, nach der Rückkehr von der Front, an der Akademie der bildenden Künste.
Dix arbeitete freischaffend in Düsseldorf und Berlin und als Professor an der Kunstakademie in Dresden. Von den Nazis zum «Entarteten» erniedrigt, musste er sein Lehramt aufgeben und sich 1933 an den Untersee zurückziehen, zunächst nach Randegg, dann ins eigene Haus nach Hemmenhofen. Mit seiner Frau – und einer Geliebten in Dresden.
Neben allen klaren biografischen Unterschieden verbindet Dix und Dietrich noch eine Gemeinsamkeit: Sie waren herausragende Künstler mit resonanzstarken Ausstellungen in reputierten Museen und Galerien und errangen in der Kunstgeschichte ihren wichtigen Platz.
Nun also in «Allerheiligen» der Zugezogene aus der grossen Welt in der kleinen Welt des Einheimischen, sich übers Wasser und über eine Landesgrenze hinweg auf vier Kilometer nahe, indessen künstlerisch voneinander unabhängig.
Dietrich schenkte seinem Dorf und seiner Umgebung malend bleibende Schönheit, eine einfache, berührende Schönheit, und mit den Porträts seinen Verwandten und Nachbarn, Handwerker und Bauern, bleibende Würde, eine schlichte und gleichwohl stolze. Seine Arbeiten zeigen Landschaften, Vögel, Insekten, Gärten, einzelne Pflanzen. Es sind realistische Abbilder, die Ruhe ausstrahlen, kompositorisch perfekt, mit einem poetischen Glanz. Ohne jede Überhöhung, nur überschwänglich liebevoll und mit der mahnenden Wirkung, Menschen und Natur zu respektieren. Nicht bloss deren Vergänglichkeit ist zu bedenken, sondern überdies die Möglichkeit der Zerstörung. Die sehende Sorge um diese Welt, das könnte die Botschaft Dietrichs sein.
In Hemmenhofen auf der Halbinsel Höri am Untersee war Dix fremd. Nicht wegen der gemeinhin als «Garten Eden» bezeichneten Landschaft wollte er dorthin, sondern aus Gründen der ihn drangsalierenden nationalsozialistischen Politik. Er malte Angst, Bedrückung und Horror in seine Bilder hinein.
Nach 33 Jahren im Süden Deutschlands bilanzierte Dix seine Erfahrung mit den Worten: «Ein schönes Paradies. Zum Kotzen schön. Ich müsste in die Grossstadt! Ich stehe vor der Landschaft wie eine Kuh.» Trotz dieses Vergleichs entstanden Werke höchster Meisterschaft – stets im fahlen Morgen- oder Abendlicht, mal mit Raben, dem Symbol für den Tod, mal mit Falken, zwar gleichnishaft für die Sonne, aber bei Dix unter grauen Wolken.
Es ist das Verdienst der Ausstellung, zwei Künstler in aussagekräftiger Weise zusammenzubringen und die Besuchenden mit der Entdeckung zu konfrontieren, wie facettenreich und tiefgründig die Untersee-Region ist. Spannender jedenfalls als die gängige touristische Werbung und die radfahrende Schnell-Erkundung weit übertreffend.
Museum zu Allerheiligen, Schaffhausen:
«Otto Dix – Adolf Dietrich – Zwei Maler am Bodensee»
bis 17. August 2025
Kuratiert von Andreas Rüfenacht, der auch einen die Ausstellung ergänzenden Kunstband herausgab. Diesem ist das Dix-Zitat entnommen.