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Politik und Gesellschaft

Kooperation statt Kampf

27. Oktober 2021
Christoph Zollinger
Christoph Zollinger

Politische Ladenhüter sind zählebig. Jene Kreise, die Unfrieden säen, sind es auch. Sie haben nie kapiert, dass Kooperationen zu Win-win-Situationen führen können, endloser Kampf dagegen zu Blockaden und Stillstand. Aus Mangel an echten Problemen und auf der Suche nach populären Reizwörtern sind die Scharfmacher der Partei fündig geworden. Sie haben einen Angriff auf die Städte inszeniert.

Wieder einmal stellen politisch interessierte Kreise in unserem Land fest, dass eine politische Partei nicht müde wird, ihre verrosteten Kampfmaschinen aus der Remise zu fahren. Seit rund 40 Jahren erleben wir, dass unermüdliche Kämpfer aus altem Schrot und Korn ihre Lebensaufgabe darin sehen, die Schweiz in zwei unversöhnliche Hälften zu spalten.

Spalter der Nation

Alles begann im letzten Jahrhundert (Jahrtausend) mit dem Referendum gegen das EWR-Abkommen – die flächendeckend verbreiteten Untergangsparolen der Gegner hatten damals zur Folge gehabt, dass die Hälfte (50,3 Prozent) der Stimmberechtigten die Idee einer zukunftsweisenden, konstruktiven Zusammenarbeit mit der EU abgelehnt hatte.

Seither sind Jahre ins Land gegangen und noch immer sind die Spalter der Nation ihrer Devise treu ergeben: kämpfen statt kooperieren, Unfrieden stiften statt Konsens herstellen, verharren statt bewegen, blockieren statt lösen. Aus Mangel an echten Problemen und auf der Suche nach populären Reizwörtern sind die versierten Scharfmacher der Partei – nach Rücksprache mit dem Urvater im Hintergrund – fündig geworden. Sie haben einen Angriff auf die Städte inszeniert und damit eine fiktive Situation medial aufgebaut – ein so genanntes Medienkonstrukt. Ein Szenario, auf das die Branche grossmehrheitlich hereingefallen ist. Jetzt ist ein neuer helvetischer Graben (Stadt gegen Land) sichtbar, als Symbol der Trennung, inszeniert von der ewigen Opposition, im unverkennbaren Verhaftetsein in der Vergangenheit. 

Ganzheitlich oder gegensätzlich

Doch wir leben in einer Zeit, in der neue Werte alte zu überlagern beginnen, weil diese dem Druck des Wandels und der menschlichen Einsicht nicht mehr gewachsen sind. Am augenfälligsten dürfte jene Tatsache sein, dass wir in westlichen Demokratien seit rund 75 Jahren zur Beilegung von Differenzen Kooperationen anstreben. Früher – und dies während Jahrhunderten – gab es nur eine Option: Kampf, ja Krieg – auch in unserem Land.

Ganzheitlich hat gegensätzlich Denken abgelöst. Vermehrt realisieren wir, dass die Bestrebungen, nicht nur Teile, sondern das Ganze einer Problematik anzusehen, lösungsorientiert und friedensfördernd wirken können. Es ist das neue Denken. Zum Beispiel:

Ganzheitlich (neu)                                                Gegensätzlich (alt)

sowohl als auch                                                    entweder / oder

offen                                                                      begrenzt

integrierend                                                           polarisierend

lösungsorientiert                                                    Linke gegen Rechte

Verantwortung                                                        Machtgehabe

Lösung / Konsens                                                  Diktatur / Ultimatum

Erfreulicherweise machen sich diese neuen Trends in der Kommunalpolitik sichtbar. Viele junge Menschen, die sich in der Dorfpolitik engagieren, reichen einander die Hände – über die parteipolitischen Grenzen hinweg. Oder: Still und leise ist der Anteil der Parteilosen in Gemeindeexekutiven auf über 50 Prozent angewachsen. Für sie gibt es keine parteipolitischen Verhaltensparolen – was zählt, ist das optimale Ergebnis für ihre Gemeinde.

Die missbrauchten Freiheitstrychler

Trycheln ist ein schweizerdeutsches Wort für «Vieh-/Kuhglocken, -schellen». Trycheln als Tätigkeit bezeichnet einen Brauch, der in verschiedenen Erscheinungsformen im nördlichen Alpenraum zu finden ist. Es ist eine alte Tradition, die wir z. B. aus dem Haslital, aus Einsiedeln, Weggis oder dem Ägerital kennen. Das schaurig-schöne Dröhnen einer Truppe von im Gleichschritt («Zwischenschritt») daher marschierenden Männern dringt durch Mark und Bein. Die faszinierende Wirkung auf die Zuschauenden ist magisch.

Diese Wirkung machen sich neuerdings jene Kreise zunutze, die «gegen» eine gewisse Entwicklung, gegen unbeliebte Obrigkeiten, gegen abgehobene Eliten oder neuerdings – besonders plump – gegen die bösen Städter sind. Sie sind gegen den EU-Rahmenvertrag, gegen freiheitsraubende Corona-Massnahmen, gegen den diktatorischen Bundesrat, gegen weltfremde Richter oder «die linken Schmarotzer» in den Städten.

Gegen diese einfältigen politischen Mobilisationsversuche sollten wir immun sein. Sonst riskieren wir, dass nächstens an Schwingfesten neben Fahnenschwingern Aktive in den Kutten der Freiheitstrychler zusammengreifen.  

Der herbeigeredete Stadt-Land-Graben

Nicht zum ersten Mal folgt eine clever lancierte Story dem immer gleichen Szenario: «Dass sich der Stadt-Land-Gegensatz in den vergangenen Jahren vertieft hat, steht ausser Frage», lesen wir in der «Sonntags-Zeitung». Am nächsten Tag schreiben ein Dutzend Journalisten diese Aussage ab und nach einer Woche beherrscht das landbewegende Thema die ganze helvetische Medienwelt. Das Schockierende daran: Etwas wird (aus verdeckten Gründen) behauptet, herbeigeredet und – weil viele Journalisten ihren Einfluss für besonders wichtig halten – breitgewalzt, auch wenn es lächerlich banal ist. So «macht» man Schlagzeilen.

Natürlich gibt es Unterschiede zwischen ländlichen Gegenden und städtischen Zentren. Dass dort die SVP primär ihre Gefolgschaft pflegt und hier die SP ihre Velokunden hofiert, ist alles andere als neu. Kein Grund zur Aufregung. Neu hingegen ist der inszenierte Gegensatz zwischen den «Unverstandenen» auf dem Land und den «Schmarotzern» in den Städten. Solche Storys erfinden verunsicherte Parteistrategen, die krampfhaft bemüht sind, für die nächsten Wahlen gesellschaftsspaltende Themen zur Eigenbewirtschaftung aufzubauen. Doch Schweizerinnen und Schweizer sind nicht blöd – sie durchschauen mehrheitlich solche Tricks. Es ist also davon auszugehen, dass auch 2022 echte, ehrliche Argumente die Wahlen entscheiden werden.

Die vor dem Höhenfeuer die Nationalhymne singen

Eher amüsant wirkte die Szene auf dem Hügel über Morschach in der Innerschweiz im Juni 2021, als Vertreter der Schweizerischen Partei des Volkes sich eingefunden hatten, um die vom Bundesrat abgebrochenen Verhandlungen über das Rahmenabkommen mit der EU zu feiern. Inbrünstig sangen sie die Nationalhymne. R. K. von der WW – einer der eifrigen Festredner – begrüsste die Trychler euphorisch und bezeichnete sie als letzte Verteidigungslinie der Schweiz. Wo ist der Feind, mögen sich einige Anwesende gefragt haben. Auch Dr. C. B. – wer sonst? – betrat das Rednerpult, polterte gekonnt und fuchtelte beschwörend mit beiden Armen. R. K. wird das mit dem Händefuchteln erst noch lernen müssen.

Zu feiern gab es allerdings wenig. Die EU-Staaten sind uns nicht feindlich gesinnt. Eher tragen sie zum Wohlstand der Schweiz bei, vor allem unsere KMU exportieren für Milliarden in diese verlässlichen Handelspartner.  

Vorbild Agora statt Arena

Kontroverse Meinungen können sich im interessanten Dialog widerspiegeln oder im sinnlosen Disput enden. Ob Lösungen angestrebt werden oder nur der Sieg über den Gegner gesucht wird, zeigt sich in unterschiedlichen Denkmustern involvierter Menschen.

Die Agora, der Marktplatz der alten Griechen und gleichzeitig Schauplatz dialogischer Kultur, diente einst als Plattform der Demokratie. Dieser Kultplatz war eine gesellschaftliche Institution, ihm kam eine herausragende Rolle für das geordnete Zusammenleben einer Gemeinschaft zu. In unserer modernen Zeit fehlt die Zeit (Armutszeugnis) für lösungssuchende Diskussionen.

Stattdessen hat das Fernsehen SRF1 die Sendung «Arena» eingeführt, um vor Hunderttausenden von Zuschauern zu demonstrieren, wie divergierende Standpunkte verbissen verteidigt und politische Gegner lächerlich gemacht werden. Das Wort «Arena» wurde absichtlich gewählt. Es ist entlehnt aus dem lateinischen «[h]arena» und bedeutet letztlich Sand (Sandbahn), Kampfplatz im Amphitheater. Arena verspricht Kampf. Der Gegner muss besiegt werden, diese Devise ist uralt. Sie basiert auf einem Menschenbild aus vorchristlicher Zeit, das mittlerweile auch durch neurobiologische Forschung widerlegt ist.

Wie wäre es, den aggressiven Kampf und offenen Disput von der Arena zu verbannen und stattdessen die Meinungsverschiedenheiten auf der Agora im Sinne eines kooperativen, zivilisierten Dialogs weiterzuentwickeln? Dieser Grundsatzentscheid müsste wohl von Nathalie Wappler abgesegnet werden?

Es könnte ja sein, dass dies den Anfang einer modernen politischen Entwicklung signalisieren würde – ein erster Schritt zur Überwindung jahrzehntealter helvetischer Blockaden und mittelalterlicher Grabenkämpfe.

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