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Kommentar 21

Klima und Gesellschaft

10. Februar 2020
Stephan Wehowsky
Bedrohungsanalysen gibt es genug. Wir brauchen Lösungswege.

Im kommenden Jahr soll der sechste „Sachstandsbericht“ des Weltklimarates IPCC veröffentlicht werden. Weltweit experimentieren 49 Gruppen mit etwa einhundert Klimamodellen. Diese Modelle müssen jetzt aktualisiert, entsprechend überarbeitet und überprüft werden. Die Kriterien sind hart. Die Wissenschaftler müssen beweisen, dass ihre Modelle, wenn man sie zurückrechnet, auf die Messwerte führen würden, die man aus der Vergangenheit bereits kennt.

Einer der wichtigsten aktuellen Streitpunkte bei der Bewertung der Klimamodelle besteht in der Frage, mit welcher Geschwindigkeit sich das Klima um wie viele Grad erwärmt. Nicht wenige Forscher sind inzwischen der Meinung, dass wir uns bis zum Ende dieses Jahrhunderts eher auf 5 Grad als auf jene 2 Grad zubewegen, die im Pariser Klimaschutzabkommen angepeilt sind.

Die Frage, welches Klimamodell mehr oder weniger genau ist, lenkt allerdings von wichtigeren Problemen ab. Denn wir bräuchten Theorien und Modelle, aus denen hervorgeht, wie sich die Gesellschaft auf die bedrohlichen Klimaveränderungen einstellen kann. Bislang beobachten wir nur, dass trotz aller guten Absichten, Warnungen und Beschwörungen die Emissionen von Treibhausgasen angestiegen sind. Eine deutliche Trendwende macht sich nicht bemerkbar.

Ist unsere Gesellschaft der Herausforderung der Klimakrise gewachsen? Schon 1986 hat der Soziologe Niklas Luhmann diese Frage untersucht und ist zu pessimistischen Einschätzungen gekommen. Es ist eben nicht so, dass die Einsicht in die ökologische Gefährdung einen Ruck in der Gesellschaft auslöste, aus dem dann ein wirksames Umsteuern erfolgte.

Klimawissenschaftler können die Klimakatastrophe immer genauer analysieren. Wir bräuchten aber auch Wissenschaftler, die Auswege weisen. Es ist wie mit der Titanic: Es genügt nicht, die drohende Kollision mit dem Eisberg zu erkennen. Wir brauchen auch eine Crew, die die Kollision verhindert.

Zwar gibt es einzelne Ökonomen, die sich mit der Frage beschäftigen, ob die kapitalistische Wirtschaftsordnung zu dem notwendigen Wandel fähig ist. Einige sind da ganz zuversichtlich. Aber es fehlen Sozial- und Politikwissenschaftler, die Modelle des gesellschaftlichen Wandels entwickeln und sich nicht nur in Deklamationen erschöpfen.

Dieser eklatante Mangel führt zur Orientierungslosigkeit des Einzelnen. Denn er erfährt nicht, wie er, wenn er es denn anstrebt, einen Beitrag zum Umsteuern leisten kann. Mittlerweile sollte jedem klar sein, dass die häufigere Nutzung des eigenen Fahrrads den Planeten ebenso wenig retten wird wie der Verzicht auf diese oder jene Flugreise. Wenn nicht das nihilistische Gefühl aufkommen soll, dass das eigene Tun und Lassen sowieso egal sind, brauchen wir gesellschaftliche Handlungsmodelle, in die auch der Einzelne einbezogen ist. Sonst bleibt es bei Demonstrationen und Deklamationen.

Aus der Klimawissenschaft muss die entscheidende gesellschaftliche Handlungswissenschaft hervorgehen.
 

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