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Huthi-Konfikt

Kamikaze am Tor der Tränen

16. April 2025
Erich Gysling
Erich Gysling
Prozession, Sanaa
Huthi-Truppen an einer Beisetzungsprozession in Sanaa im März für einen Offizier, der durch einen amerikanischen Raketenangriff umgekommen sein soll. (Foto: Keystone/AP Photo)

Die jemenitischen Huthi (etwa 12 Millionen von einer Gesamtbevölkerung des Landes von rund 38 Millionen) kann man entweder als prinzipienfest oder als stur bezeichnen. Sie sind, das beweisen die fortdauernden Raketenangriffe auf Ziele in Israel und die Attacken auf Schiffe um die Meeresenge des Bab al-Mandab (Tor der Tränen) im Roten Meer, auf jeden Fall davon überzeugt, dass sie, auch dank Unterstützung durch Iran, eines Tages siegen werden.

Das heisst, so die Zielsetzung: Ganz Jemen beherrschen, alle ausländischen Mächte aus der Region vertreiben und Israel zur Beendigung des Kriegs im Gaza-Streifen zwingen können. Und der Weltmacht Amerika drohen sie mit einem «nie» endenden Krieg – was Donald Trump zu einer Gegendrohung motivierte, der Entfachung eines «Höllenfeuers». Seinen Worten liess er bald Taten folgen: Fast jede Nacht bombardieren nun US-Flugzeuge (sie starten jeweils von einem der beiden amerikanischen Flugzeugträger im Roten Meer aus) Ziele der Huthi in Jemen. Was im Klartext heisst: Da herrscht jetzt ein veritabler Krieg, und ein Ende ist nicht abzusehen.

Verwirrende Hintergründe

Wer die Hintergründe des Konflikts verstehen will, muss sich erst einmal mit ein paar Begriffen herumschlagen: Die Huthi sind eine Miliz, die sich aus der Bevölkerungsgruppe der Zaiditen rekrutiert. Die Zaiditen ihrerseits sind, was die Religion betrifft, Schiiten, gehören innerhalb dieser Gruppierung aber zu einer anderen Richtung als die iranischen Schiiten. Ihren Namen, also Huthi, führen sie auf einen religiösen und politischen Führer, Hussein Badreddin al-Huthi, zurück. Um die Verwirrung noch abzurunden, nennen sie selbst ihre Miliz nicht Huthi, sondern Ansar-Allah (Helfer Gottes).

Was treibt die Huthi respektive die jemenitischen Zaiditen an? Ist es die Religion, oder ist es, wie sie selbst erklären, die Solidarität mit den 1700 km entfernt mit Israel im Konflikt stehenden Palästinensern?

In früheren Zeiten, also etwa bis zum Ende der neunziger Jahre, hatten es die zaiditischen Stammesführer relativ einfach, wenn sie an die Hilfsbereitschaft des «reichen Westens» appellierten. Viele Clanchefs residierten hoch auf den Hügeln des Gebirgslandes um Sanaa und bis nördlich von Saada. Manche von ihnen spezialisierten sich auf die Entführung von Ausländern. Hatten sie einmal ein paar von ihnen in Gewahrsam, erpressten sie die indirekt betroffenen westlichen Regierungen, und prompt wurden sie belohnt.

Erpressung durch Entführungen  

Durch Gelder der Entwicklungshilfe finanziert, baute man dem jeweiligen Chef-Entführer eine neue Strasse, steil hinauf bis zum Gipfel. Dann wurden die entführten Geiseln frei gelassen. Und da das alles für die jeweiligen Nachbarn, auf der nächsten Hügelspitze, so provokativ sichtbar war, entführte man auch dort bei passender Gelegenheit ein paar Ausländer. Normalerweise blieb die «Belohnung» auch jetzt nicht aus – schon gab es Geld für den Bau der nächsten Strasse hinauf zur Spitze.

Als sich die Taktik allmählich totlief, traten die Iraner auf den Plan. Ayatollah Khomeini hatte die islamische Republik ausgerufen und suchte nach Verbündeten. Er wurde einerseits fündig bei den libanesischen Schiiten und begann, aus seiner Sicht folgerichtig, mit der Aufbauhilfe für Hizbollah, und danach «entdeckte» er auch die Zaiditen im Jemen als potentielle Verbündete. Die Partnerschaft zwischen Teheran und den jemenitischen Zaiditen verharrte längere Zeit auf der Ebene «low key», intensivierte sich aber, als die Zaiditen zuerst in den internen Konflikt in Jemen und später auch mit dem reichen Nachbarn Saudiarabien gerieten. Im Verlauf dieser Konflikte verschmolz allmählich der Begriff «Zaidit» mit «Huthi», das heisst, viele Zaiditen unterstellten sich der Machtstruktur des Predigers Hussein al-Huthi. Aus einer Gruppe von so genannten Wüstenkriegern wurde eine politisch-militärische Bewegung, die auf rund 350’000 Kämpfer anwuchs.

Die Aussenwelt traute dieser Truppe jahrelang wenig zu – aber im April 2022 erkannte man: Dank ihrer Prinzipientreue und dank Zähigkeit konnte sie den Feind im inner-jemenitischen Konflikt in die Defensive drängen und den äusseren Feind, Saudiarabien, zu einem Waffenstillstand zwingen. Doch noch immer galten die Huthi im Armenhaus Jemen als unterentwickelte Klienten des iranischen Regimes, das ihnen Waffen, Raketen und Drohnen lieferte. 

Schrumpfende Einnahmen am Suezkanal für Ägypten

Wirklich ernst zu nehmen begann die Aussenwelt die Huthi vom Tag an, da, nach dem Beginn des Gaza-Kriegs zwischen Israel und Hamas (7. Oktober 2023) mit Waffen bestückte Raketen aus der Region um Saana oder Hodeida (der grössten Hafenstadt des Landes) bis ins 1700 Kilometer entfernte Israel flogen und auch erstmals die internationale Schifffahrt im Roten Meer durch die Waffen der «Wüstenkrieger» attackiert wurde. Bis jetzt gab es 145 Angriffe auf Handelsschiffe und 174 gegen US-amerikanische Kriegsschiffe. Die Zahl der Handelsschiffe, die das Rote Meer passieren, ist auf einen Viertel gesunken (die Mehrheit der grossen Reedereien weicht nun über die längere Route rund um den afrikanischen Kontinent aus) und dementsprechend schrumpften auch – das ist wohl eher ein von den Huthi nicht angestrebtes Ziel – die Einnahmen Ägyptens durch den Schiffs-Transit-Verkehr im Suezkanal.

Die massiven Angriffe der US-amerikanischen Streitkräfte der letzten Tage und Nächte forderten mindestens 50 Tote und mehrere hundert Verletzte und verursachten materielle Zerstörungen in vorläufig nicht bekanntem Ausmass. Donald Trump und seine Crew in Washington scheinen überzeugt, dass die Weltmacht USA mit Attacken dieser Art die «Wüstenkrieger» zur Kapitulation oder mindestens zur Einsicht in die Grenzen ihrer Möglichkeiten zwingen können. Die Huthi auf der anderen Seite bleiben stur und schwören die Fortsetzung ihres «Kampfs um Gerechtigkeit» bis zu einem wie auch immer gearteten Ende.

Vertiefte Katastrophe für Jemen 

In Jemen selbst, auch im benachbarten Saudiarabien, aber wächst die Wut über das eigenmächtige Vorgehen der Huthi. Der stellvertretende Aussenminister der international anerkannten jemenitischen Regierung (sie repräsentiert geschätzt zwei Drittel der Jemeniten) sagte: «Die Huthi haben unser Land in eine Katastrophe gestürzt.» Er nannte sie Mörder und Selbstmörder (wir im Westen würden sie salopp wohl als «Kamikaze» bezeichnen) in einem Konflikt, der den ganzen Jemen in noch mehr Elend und Armut stürzen werde. Damit sprach er, indirekt, die katastrophale humanitäre Lage im Land an: Geschätzte zwei Drittel der Menschen leben am Rand oder unterhalb der Armutsgrenze und sind auf internationale Hilfe angewiesen. Dass diese Hilfe nicht mehr ins Land gelangt, ist eine Folge des internen Konflikts, für den sowohl die Regierungseinheiten als auch die Huthi Verantwortung tragen. 

Die international anerkannte Regierung Jemens kündigte am Montag eine Grossoffensive mit Bodentruppen gegen die Huthi an – in Koordination mit den US-Einheiten auf deren Flugzeugträgern im Roten Meer. Einem solchen Zangen-Angriff werden die Huthi wohl nicht lange standhalten können. 

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