Schaut man dieser Tage die italienische Tagesschau, kann man nur staunen. Da feiert sich die Regierung und überschüttet sich mit Lob. Italien gehe es wirtschaftlich besser als den andern grossen EU-Ländern. Das Belpaese, der neue Musterschüler Europas?
Die Wirtschaftspolitik der rechtsgerichteten Regierung von Giorgia Meloni wird in allen Tönen gelobt. In einer Talkrunde sagte ein der Regierung nahestehender Ökonom gar, Italien sei heute so stabil wie die Schweiz. Auch internationale Medien greifen zu erstaunlichen Superlativen. Meloni lässt sich als Saniererin der italienischen Wirtschaft feiern. Frankreich stürzt ab, Deutschland kränkelt – und Italien: der Phönix aus der Asche. So zumindest stellen es Vertreter der italienischen Regierung dar.
Finanzminister Giancarlo Giorgetti wird mit Lob überhäuft. Er habe die Finanzpolitik stabilisiert, brüstet er sich. Giorgetti gehört der rechtspopulistischen «Lega» von Matteo Salvini an, die zusammen mit Melonis «Fratelli d’Italia» und der «Forza Italia» von Aussenminister Antonio Tajani das Land regiert. Lange Jahre stand Italien im Schatten der Grossen in Europa. Jetzt wähnt man sich auf der Überholspur.
Der nächste Absturz scheint programmiert
Auch internationale Ratingagenturen sehen die Entwicklung in Italien eher positiv. Moody’s hat den Ausblick auf «positiv» hochgestuft. Fitch Ratings hebt das bisherige BBB auf ein BBB+ an. Und auch Scope Ratings gibt Italiens Wirtschaftsentwicklung ein «positiv». Hervorgehoben werden vor allem die zur Zeit stabilen politischen Verhältnisse.
Grund genug für die italienische Regierung, sich in Selbstlob zu suhlen. Allerdings: Der nächste Absturz scheint schon programmiert. Die Regierung schmückt sich mit fremden Federn. Vieles wird verdrängt. Und vieles, was heute positiv verläuft, geschah gegen den Willen der Regierung Meloni.
Mario Monti, Mario Draghi
Die sehr zaghafte positive Entwicklung ist nicht das Verdienst von Meloni und Co. Es war die Vorgängerregierung des parteilosen Ökonomen Mario Monti, der die Weichen in die richtige Richtung gestellt hatte. Davon profitiert jetzt die Regierung Meloni. Monti war es, der dem Land einige schmerzhafte wirtschaftliche Reformen verpasste. Reformen gegen die sich Meloni mit allen Mitteln gewehrt hatte – Reformen, die heute dazu beitragen, dass es Italien etwas besser geht.
So hatten Meloni und ihre Verbündeten die von Monti durchgeboxte Rentenreform scharf bekämpft. Diese Reform trägt heute wesentlich zur Gesundung der Wirtschaft bei. Auch von der Politik des Ökonomen Mario Draghi profitiert Meloni noch heute. Ihm, dem einstigen Zentralbanker, gelang es, die Wirtschaft in der Eurozone zu stabilisieren. Unter ihm erlebte Italien ein starkes Wachstum des Bruttoinlandprodukts (BIP) von plus 6,6 Prozent (2021) und 3,7 Prozent (2022). Vor allem gelang es Draghi, das internationale Vertrauen zu Italien wiederherzustellen.
Selbstbeweihräucherung
Betrachtet man allerdings die jetzigen Wirtschaftszahlen im Detail, erstaunt die Selbstbeweihräucherung der Regierung.
- Im Jahresvergleich wuchs das BIP im zweiten Quartal 2025 um bescheidene 0,4 Prozent. Betrachtet man einzig das zweite Quartal und vergleicht es mit dem zweiten Vorjahresquartal, beträgt das Wachstum nur noch 0,1 Prozent.
- Die Verschuldung des Landes beträgt horrende 144,9 Prozent des BIP. Nur Griechenland hat eine noch höhere Staatsverschuldung.
- Die realen Löhne in Italien sind laut einem Bericht der OECD um rund 7,5 Prozent niedriger als Anfang 2021.
- Die italienische Industrieproduktion geht seit Jahren zurück. Im August 2025 sank die Produktion um 2,4 Prozent gegenüber Juli und im Jahresvergleich gar um 2,7 Prozent.
- Im letzten Jahr exportierte Italien für über 70 Milliarden Dollar Güter in die USA. Trumps Zollpolitik hat bereits mehrere italienische Firmen in arge Nöte versetzt. Betroffen sind vor allem Pasta, Olivenöl und Wein. Allein die Umsatzverluste für die Exporte italienischen Weins in die USA könnten über 320 Millionen Euro betragen.
Doch das Schlimmste könnte erst noch kommen. Kein Land profitierte so stark von der EU-Corona-Hilfe wie Italien. Diese Hilfe betrug insgesamt über 194 Milliarden Euro (Zuschüsse und Kredite). Ohne diese Milliarden befände sich Italien heute in einer Rezession. Bisher sind rund 110 Milliarden ausbezahlt worden. Dieses Geld ist es, das Italien einen minimen Wachstumsschub verpasst hat.
Ohne Brüssel: Absturz
Meloni war einst eine scharfe nationalistische EU-Gegnerin mit heftiger Kritik an Deutschland. Den Euro nannte sie ein «fehlkonstruiertes Experiment» und liess kein gutes Haar an der EU. Die Brüsseler Organisation bezeichnete sie als «Bürokratiemonster». Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass das total «verbürokratisierte» Italien von Bürokratiemonster sprach.
Und dieses Monster war es nun, das Italien unter die Arme griff und das Land vor einem schwerwiegenden Absturz bewahrt hat. Meloni spricht heute von einem «pragmatischen Verhältnis» zu Brüssel. Ihre Anti-EU-Rhetorik ist sanfter geworden und teilweise ganz verschwunden. Dennoch pflegen einige ihrer Regierungsmitglieder, so ihr Stellvertreter Matteo Salvini, noch immer enge Beziehungen zu anti-europäischen Rechtsaussenkreisen.
Keine Wirtschaftsreformen
Doch ab dem kommenden Sommer fliesst kein EU-Geld mehr aus Brüssel nach Italien. Dann steht Italien wieder auf eigenen Beinen. Und dann beginnt wohl wieder das grosse Jammern. Die Regierung hat es verpasst, mit dem vielen Geld die dringend notwendigen Strukturreformen durchzuführen. Fast nichts ist geschehen in den Meloni-Jahren: keine einzige namhafte Wirtschaftsreform. Weder der dringend notwendige Bürokratie-Abbau, noch die ebenso dringende Ausmistung der Verwaltung. Anzeichen, dass es ohne die Brüsseler Milliarden aufwärts geht, gibt es nicht.
«Strukturelle Probleme, die geringe Produktivität und die hohe Staatsverschuldung bleiben ungelöst», sagt Marco Leonardi, Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Mailand. In der Regierung von Mario Draghi fungierte er als Wirtschaftsberater. Die von der Regierung getroffenen Massnahmen würden «keinerlei Wachstum schaffen», schreibt er und warnt vor übertriebener Euphorie.
Stolz auf die Regierungschefin
Meloni zieht es offensichtlich vor, in der Welt herumzuturnen, sich in der internationalen Politik zu profilieren und sich von den Grossen dieser Welt hofieren zu lassen, anstatt unpopuläre, schmerzhafte Wirtschaftsreformen im eigenen Land durchzusetzen.
Ihr Glück ist, dass die italienische Opposition nach wie vor zerstritten ist und lahmt. Melonis Fratelli d’Italia sind in Meinungsumfragen nach wie vor klar die stärkste Partei. In einer neuen Befragung haben die «Brüder» (Fratelli) gar noch zugelegt: auf über 31 Prozent Zustimmung. Die Sozilaldemokraten legen nur minim zu, und die Cinque Stelle schrumpfen.
Viele Italiener und Italienerinnen sind stolz, dass ihre Regierungschefin auf internationalem Parkett ein geachteter Star ist. Was für ein Gegensatz zur Berlusconi-Zeit, als der Ministerpräsident zum allgemeinen Polit-Clown mutierte.
Doch dass es Italien wirtschaftlich bald wieder erheblich schlechter gehen könnte – das verdrängt man.