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Buch

Irans Strategie und der Krieg

18. Juni 2025
Erich Gysling
Erich Gysling
Iran Arak
Ein Maxar-Satellitenbild zeigt die Nuklearanlage Arak in Iran, 14. Juni 2025 (veröffentlicht am 18. Juni 2025). (Bild vom 14. Juni 2025, EPA/Maxar Technologies)

Der Politologe Vali Nasr zeichnet das Bild eines isolierten Irans, der sich seit der islamischen Revolution ganz abschottet und gegenüber dem Westen ein tiefes Misstrauen hegt. Trumps Schwanken zwischen Drohungen und Deals führt nicht aus der Blockade heraus.

Dies gleich vorweg: Eine eindeutige Antwort auf die Frage, ob Iran an der Entwicklung einer Atombombe gearbeitet habe (und der von Israel losgetretene Krieg daher, wenn nicht aus der Perspektive des Völkerrechts, dann doch politisch, gerechtfertigt werden könne), gibt Vali Nasr in seinem eben erschienenen Buch «Iran’s Grand Strategy» nicht. Er schildert und analysiert Details zur Denkweise der in Teheran Herrschenden und zum iranischen Atomprogramm mit der Absicht, dem Leser die Bildung einer eigenen Meinung zu ermöglichen. Was er reichlich vermittelt und was das Buch sehr lesenswert macht, ist Hintergrundwissen zu den politischen Mechanismen der Macht in Teheran.

Vali Nasr (geboren 1960 in Teheran, lebt seit 1980 in den USA, arbeitet als Politologe an der Johns Hopkins Universität in Washington) und erkennt als grundlegendes Problem, aus der Perspektive Irans, dass sich das Land schon immer isoliert fühlte: geprägt von der schiitischen Religion inmitten von sunnitischen Nachbarn, sprachlich anders als die arabischen Länder, aber aufgrund einer in die Antike zurückreichenden Zivilisation sich anderen Völkern auch überlegen fühlend.

Die Angst vor westlicher Einflussnahme, vor Chaos und Desintegration beherrschte das Denken der Herrschenden schon im 19. Jahrhundert, verstärkt dann ab 1979 nach der islamischen Revolution. Dem Westen, insbesondere den USA, könne man nie trauen, das habe sich so schon in den fünfziger Jahren beim Sturz Mossadeghs gezeigt. Die Bestätigung für den Grund des Misstrauens kam dann schon kurz nachdem Ayatollah Khomeini die islamische Republik proklamiert hatte, nämlich aufgrund der Unterstützung des Westens für Saddam Hussein während des Kriegs zwischen Irak und Iran (1980–1988). Seinen Gegnern müsse Iran mit einer Vorwärtsstrategie entgegentreten, sagte Khomeini, und das erklärte (ab 1989) auch sein Nachfolger Ali Khamenei. 

Hauptfeind USA

Im Rahmen dieser Strategie baute Iran die sogenannte Achse des Widerstands auf, bestehend aus Milizen in Irak, der Hisbollah in Libanon, den Huthi-Rebellen in Jemen und Hamas bei den Palästinensern – und einem Bündnis mit dem syrischen al-Assad-Regime. Die religiöse, gegen Israel gerichtete Komponente in der iranischen Aussenpolitik wertet Vali Nasr als untergeordnet. Auch der in einer Predigt geäusserten Meinung Khomeinis, der 12. Imam könne erst dann als Erlöser auf die Welt zurückkommen, wenn Jerusalem befreit sei, misst Vali Nasr keine grosse Bedeutung bei. Er vertritt die Meinung, das iranische Regime habe immer primär die USA als Feind erkannt. 

Die Atomforschung war, so schreibt Vali Nasr, zunächst nur einer von vielen Bausteinen innerhalb der Bemühungen der iranischen Führung um Autarkie. Iranische Techniker betrieben zwar, neben der friedlichen Zwecken dienenden Forschung, auch ein Programm, das sich mit der Entwicklung einer A-Waffe befasste, gaben diese Forschung jedoch ab 2003 auf. Wieder aufgenommen wurden die Arbeiten in den Jahren, als Mahmud Ahmadinejad Staatspräsident war (2005–2013) und sich innerhalb der Führung des Staats klare Machtverschiebungen abzuzeichnen begannen. Persönlichkeiten, die das Wesen des Staats religiös begründeten, verloren an Einfluss, während die nationalistisch ausgerichteten Kräfte, vor allem die Revolutionsgarden, an Macht gewannen. 

An Einfluss und Macht gewannen sie auch als Reaktion auf die von Israel immer wiederholten Androhungen eines militärischen Schlags. Das Regime habe keine Alternative zu einer konsequent vorangetriebenen Aufrüstung im Sektor der Raketen, erklärten die Revolutionsgarden. Dies umso mehr, als die USA den Iran durch Sanktionen immer mehr unter Druck setzten und die Wirtschaft des Landes daher in Schieflage geriet.

Vertrag von 2015

Als in den USA Barack Obama zum Präsidenten gewählt wurde, sah Iran einen Hoffnungsschimmer – Washington schien und war bereit, die Sanktionen zu lockern, wenn die Iraner ihr atomares Programm drastisch begrenzen und sich internationalen Kontrollen durch die IAEA unterziehen würden. Man unterzeichnete 2015 einen Vertrag (mit den USA, Grossbritannien, Frankreich und Deutschland plus Russland und China), den Joint Comprehensive Plan of Action. Iran verpflichtete sich unter anderem, die Urananreicherung auf 3,67 Grad zu begrenzen, und wollte auf diese Weise bei den Vertragspartnern Vertrauen gewinnen, dass auf die Entwicklung einer Atombombe verzichten würde. Die Regierungen der Unterzeichner-Staaten glaubten das – und Iran verstiess tatsächlich während der folgenden drei Jahre nie gegen den Vertragstext. Es gab allerdings einen Staat, der dieses Abkommen als unglaubwürdig betrachtete, nämlich Israel, dessen Regierung die USA drängte, aus dem Vertrag auszusteigen. Obama ignorierte das und lockerte, abmachungsgemäss, die Sanktionen gegen Iran. 

Dann wurde Donald Trump Präsident (erste Amtszeit 2017–2021), und jetzt hatte Israel, nach dem Ende der Obama-Ära, einen Verbündeten in den USA. Er zerriss den Atomvertrag und versprach nicht nur, die früheren Sanktionen wieder zu verhängen, sondern durch «maximalen Druck» das iranische Regime in die Knie zu zwingen. 

Für die iranische Führung kam das, so schreibt Vali Nasr, keineswegs unerwartet – sie hatte den Amerikanern schon immer misstraut. Aber in die Knie zwingen liess sich Iran nicht: Die Wirtschaft geriet zwar in Schieflage, aber das Regime fand Mittel und Wege, viele der von den USA verhängten Sanktionen zu umgehen. Iran brüskierte fortan bewusst die internationale Gemeinschaft, indem es die atomare Forschung und die Anreicherung von rund 400 kg Uran auf bis zu 60 Grad intensivierte und das auch offen kommunizierte – und kündigte trotzig an, man werde demnächst in den Anlagen von Natanz und Fordo weitere hunderte von modernen Zentrifugen installieren. 

Strebt Iran die A-Bombe an?

Warum das? Ebnete Iran nun den Weg direkt für die Entwicklung einer Atombombe, oder gab es andere Gründe? Der Autor des Buchs «Iran’s Grand Strategy» beschränkt sich an diesem Punkt auf die Tatsachen, vermeidet Spekulationen und überlässt es dem Leser, eine von zwei Optionen als wahrscheinlicher zu betrachten.

Erste Option: Die Hardliner haben sich tatsächlich so durchgesetzt, dass sie die Entwicklung von Atombomben vorantreiben können. Dafür hätte die sogenannte Breakout-Zeit von jetzt an bis zu einer ersten Bombe nur noch einige Wochen betragen. Die andere Option: Iran wollte die USA so stark unter Druck setzen, dass sie sich wieder zu Verhandlungen durchringen würden, also im Wesentlichen ein Zurück zum JCPOA, das den Iranern eine Urananreicherung von 3,67 Grad erlaubte und Iran im Gegenzug weitgehend von wirtschaftlichen Sanktionen befreit hatte.

Donald Trump ging vor wenigen Wochen auf die entsprechende iranische Offerte ein (er liebt bekanntlich Deals, und ein Deal mit Iran erschien ihm offenkundig als besonders publicity-trächtig). Steve Witkoff, Chef-Verhandler des US-Präsidenten, traf sich fünf Mal mit dem iranischen Aussenminister, um die technischen Details eines neuen Abkommens zu klären. Die sechste Runde fand nicht statt, weil Israel zwei Tage vor dem vereinbarten Datum Iran attackierte und Benjamin Netanjahu den Krieg entfachte – eine aktuelle Entwicklung, die der Buchautor nicht berücksichtigen konnte. 

Völkerrechtlich steht die Entscheidung des israelischen Premiers auf tönernen Füssen, denn einen Präventivkrieg lostreten darf nur ein Staat, der von einem anderen Staat offen bedroht wird. Eine solche direkte Bedrohungslage bestand bis jetzt nicht, auch wenn die iranische Führung, seit der Gründung der islamischen Republik, immer wieder das Ende des jüdischen Staats proklamiert hatte. Netanjahu aber war entschlossen, die amerikanisch-iranischen Verhandlungen zu torpedieren, weil er angeblich davon überzeugt war (und das weiterhin ist), dass Iran durch kein Abkommen von der Bombenentwicklung und vom Willen zur Zerstörung Israels abgehalten werden könne. 

Beweise dafür, dass Iran zielgerichtet auf die Bombe zusteuerte, hat Netanjahu keine vorlegen können – und Vali Nasr, Autor des Buchs «Iran’s Grand Strategy» überlässt es seinen Lesern, sich selbst eine Meinung zu dieser Frage zu bilden. Denn auch er selbst, der aus Iran stammt und sich seit Jahrzehnten mit der Denkweise der Teheraner Führung befasst, kann dazu kein abschliessendes Urteil fällen. 

Vali Nasr: Iran’s Grand Strategy, a Political History. Princeton University Press

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