
Ihren Werken ist hierzulande in Museen nicht häufig zu begegnen. Nun zeigt die Fondation Beyeler in Riehen eine grosse Retrospektive der in den USA lebenden, 1938 geborenen Estin Vija Celmins. Ihr Werk ist von seltener Konzentration und Kompromisslosigkeit.
Das Netz, das die Spinne für ihr den Fliegen und anderen Insekten tödliches Handwerk flicht, ist etwas vom Verletzlichsten, dem wir begegnen können, und gleichzeitig ist es ein Meiserwerk der Natur, wenn es um Statik und Stabilität geht. Vija Celmins nahm sich 1999 das Bild eines so gefährdeten und gleichzeitig starken Gegenstandes für eines ihrer Gemälde vor und zog die Fäden in geduldiger, zeitraubender und hohe Konzentration fordernder Arbeit mit feinstem Kohlestift nach. So entstand eines der mit Gegensätzen spielenden Werke der aus dem Baltikum stammenden, schon seit Jahrzehnten in den USA arbeitenden Künstlerin, die in Einem Paradoxes sichtbar macht: Hier das stets Gefährdete des federleichten Spinnnetzes, dort das für Beute der Spinne Tödliche der List, welche die Spinne ihr Netz ziehen liess.
Wiedersprüche ziehen sich durch das ganze Werk Celmins‘. In den 1960er Jahren schuf die Künstlerin in feinst abgestuften Grautönen Bomber am düsteren Himmel und – mit hohem ästhetischem Empfinden – die Atombomben-Explosion am Bikini-Atoll im Pazifik. 1965 gibt sie in sorgfältigster Wiedergabetechnik, als handle es sich um eine Preziose, der Titelseite des «Time-Magazine» Dauer. Zu sehen sind Bilder der Rassenunruhen, die damals Los Angeles erschütterten: Die Ereignisse sind für Celmins‘ Variante nicht flüchtige News; sie haben sich tief in die neuere Geschichte der USA eingegraben. Die gleiche zeichnerische Virtuosität liess sie 1964 einer Pistole angedeihen, die – gehalten von feiner Hand – eben abgefeuert wurde.
Tanzende Wellen
Diese Werke der 1960er Jahre, alle gemalt oder gezeichnet nach Druck- oder Fotovorlagen, lassen uns die späteren Bilder von Wasseroberflächen oder ihre Blicke in den Sternenhimmel anders sehen. Die sich kräuselnden Wellen, die in ständiger Bewegung zu tanzen scheinen, oder die Blicke in den Sternenhimmel, die den Raum aufbrechen, muten nur in erster kurzer Begegnung harmlos oder gar dekorativ an. Wer sich auf diese Malereien einlässt und der Zeit und der Energie nachspürt, die ihre Herstellung erfordert, taucht nicht nur ein in die Tiefe des Sternenhimmels oder des Meeres, sondern nimmt auch Anteil an der meditativen Ruhe und an der Kraft, ohne die dieses künstlerische Tun nicht möglich wäre.
Zu diesem künstlerischen Tun gehört auch Dreidimensionales – zum Beispiel ein in Bronze gegossener Rosenstil mit aggressiven Dornen, Schiefertafeln, wie man sie früher in der Schule benützte, oder eine Gruppe oder ein Paar Steine, die einen gefundene und im Bach gerundete Steine, die andern nachgebildet, in Bronze gegossen und bemalt, so detailliert und genau, dass man sie nicht von den echten Steinen unterscheiden kann. Celmins dazu: «Das Werk ist gefundene Steine plus wiederhergestellte wieder beschriebene Werke, die scheinbar Steine sind. … Ein Dokument konzentrierten Schauens. Ein Dokument einer langen Beziehung. (…) Das ist ein Werk über das Schauen und das Schaffen. Eine Meditation darüber.»
Viel Grau und Schwarz
Vija Celmins hält sich von Trends und Moden fern. Kurzlebigkeit, Überraschungseffekte und schneller Genuss scheinen nicht ihre Sachen. Es gibt in den Beyeler-Räumen vor allem Grau und Schwarz, selten Beige. Sie fordert von Betrachterinnen und Betrachtern Zeit und auch Verzicht – zum Beispiel auf bunte Farbigkeit. Allerdings finden die Besucher, sofern sie sich darauf einlassen, auch die ganze reiche Skala von Zwischentönen. Es geht der Künstlerin nicht um Inhalte – «Meine Arbeit ist kein Bekenntnis. Nicht genderbewusst. Oder politisch. Oder Ausdruck von etwas ausserhalb seiner selbst – Etwas Erfundenes, Ästhetik … Philosophie …» So die Künstlerin über ihr Schaffen. Nichts lenkt ab. Es geht um das Malen und damit um das ganze Menschsein der Künstlerin, die sagt: «Malen. Wieder erlebt – Geschaffen. All mein Wissen darin. Wie Dichtkunst. Das Unsagbare Nichtsagbare aber Anwesende.» Theodora Vischer und James Lingwood, die Kuratorin und der Kurator, geben dem sparsam präsentierten Werk von Vija Celmins in der Fondation Beyeler viel Ruhe und Raum, um frei zu atmen.
Die Fondation Beyeler zeigt zur Ausstellung den Kurzfilm « Vija» der Filmemacher Bêka & Lemoine. In 30 Minuten zeichnet der Film ein besonderes, aus dem Moment der Begegnung entstandenes Porträt der vitalen Künstlerin, die über ihre lebenslange Praxis nachdenkt und dabei sowohl die Türen ihres Ateliers als auch Schubladen ihres Archivs öffnet. Das Porträt nimmt die Zuschauerinnen und Zuschauer mit auf eine Reise durch die Formen, Bilder und Gedanken, die Vija Celmins’ Sensibilität prägen.
Vija Celmins, Fondation Beyeler, Riehen. Kuratiert von Vischer und James Lingwood. Bis 21. September. Katalog 208 Seiten, Fr. 62.50. Die Zitate von Vija Celmins im Text stammen aus dem Katalog.
Vija Celmins wurde 1938 in Riga (Lettland) geboren. Sie floh 1044 mit ihrer Familie vor dem Einmarsch der Roten Armee nach Deutschland und 1948 weiter nach Indianopolis in den USA. Sie studierte Kunst in Los Angeles und bezog 1963 ein Atelier direkt am Meer in Venice, 1981 übersiedelte sie nach New York. Seither lebt und arbeitet sie in Soho. Sie wurde 2023 mit dem Premio Imperiale ausgezeichnet. Wichtige Ausstellungen in San Francisco, Toronto, New York.