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Buch

«General Guisan ist ein Halunke»

27. Mai 2025
Heiner Hug
Reto Gamma

Ein Hitler-freundlicher Umsturz in der Schweiz. Das war das Ziel einer Gruppe Urner Nazis, die zu Beginn des Zweiten Weltkriegs in der Munitionsfabrik Altdorf ihr Unwesen trieb. Die Fabrik im Schächenwald lieferte während des Krieges tonnenweise Munition an die Deutschen und fütterte so Hitlers Kriegsmaschinerie. Der Historiker Reto Gamma hat die Ereignisse minutiös aufgearbeitet. 

Der «historische Bericht», wie Gamma sein Buch nennt, beginnt mit der 19-jährigen Olga K. aus Hergiswil im Kanton Nidwalden. Die junge Frau suchte Arbeit. Die Arbeitsvermittlung bot ihr eine Stelle im Restaurant «Burg» in Attinghausen bei Altdorf im Kanton Uri an. Als sie ihr Zimmer betrat, sah sie ein Porträt von Hitler an der Wand. Im Restaurant versammelten sich Gäste und begrüssten sich mit «Heil Hitler». Olga gefiel das gar nicht. Zwei Tage nach ihrer Ankunft packte sie die Koffer. 

In der «Burg» dominierte der 28-jährige Hans Imholz, ein Käser. Er bekannte sich offen zu seiner nationalsozialistischen Gesinnung und war der Anführer der Nazi-Gruppe im Schächenwald. Sein Vater war der Wirt der «Burg» und Landgerichtspräsident von Uri. Die Erfolge der Deutschen Wehrmacht in Frankreich beflügelten die Schweizer Nazis, auch jene im Schächenwald. Sie glaubten, die Eroberung der Schweiz durch die Hitler-Truppen sei nur eine Frage kurzer Zeit.

Angst vor Hitlers Einmarsch

Da war im Norden Nazi-Deutschland, das militärisch auf dem Vormarsch war, und im Süden das faschistische Mussolini-Italien, das sich auf die Seite der Deutschen geschlagen hatte. Die Schweizer Bevölkerung war tief verunsichert. Gesteigert wurden die Ängste durch die anpasserische nazi-freundliche Radioansprache des Waadtländer Bundespräsidenten Marcel Pilet-Golaz. Für die Schweiz sei es Zeit, nach vorne zu blicken und am Wiederaufbau der im Umbruch stehenden Welt mitzuarbeiten, sagte Piolet-Golaz. Die Eidgenossen stünden «vor der inneren Wiedergeburt». Sie müssten «den alten Menschen» ablegen.

Der «Schächenwald» war ein begehrter Arbeitsplatz. Die Eidgenössische Munitionsfabrik, der grösste Arbeitgeber im Kanton Uri, produzierte hier Munition für die Schweizer Armee. Während des Krieges arbeiteten 2700 Frauen und Männer hier. 

Handgreifliche Auseinandersetzungen

Immer wieder kam es in der Fabrik zu verbalen und handgreiflichen Auseinandersetzungen zwischen nazifreundlichen und nazifeindlichen Angestellten. Doch Hans Imholz und seine kleine Nazi-Gruppe gehörten zu den Aussenseitern. Die überwiegende Mehrheit der Arbeiter und Arbeiterinnen im Schächenwald war alles andere als Nazi-freundlich. Viele waren gewerkschaftlich organisiert. Hans Imholz gehörte zu den Raufbolden und Agitatoren in der Fabrik. Immer wieder verteilte er Hitler-freundliches Propagandamaterial und war in Schlägereien verwickelt. Deshalb hat ihn die Fabrik entlassen.

Der in Göschenen im Kanton Uri geborene Historiker und Journalist Reto Gamma beschreibt minuziös, wie die Gruppe Kontakte zur Zürcher Nazi-Szene hatte. Einmal mieteten die Urner Hitler-Fanatiker einen Bus und fuhren nach Zürich zu einem Vortrag von Robert Tobler, dem Gründer der Nazi-Partei «Nationale Front». Nach deren Auflösung stand Tobler der nazifreundlichen «Eidgenössischen Sammlung» (ES) vor. 

Nazi-Feinde sollen «geschnappt und in Lager geführt» werden

In Zürich hatten sich die Hitler-Freunde im Restaurant «Speer» in der Sihlpost eingenistet. Alle hier glaubten, dass die Wehrmacht in wenigen Wochen in die Schweiz einmarschieren würde. Die Schweizer Nazis wurden aufgefordert, Listen anzulegen mit Schweizerinnen und Schweizern, die den Hitler-Leuten wohlgesinnt sind – und solchen, die ihnen feindlich entgegentreten. Die feindlich Gesinnten, so hiess es, würden dann «geschnappt und in Lager geführt». 

Das «Speer»-Restaurant war auch Anlaufstelle für Deserteure der Schweizer Armee. Hier sammelten sie sich und gelangten anschliessend bei Schaffhausen auf Schleichwegen nach Deutschland, wo sie dann in die Wehrmacht aufgenommen wurden. Viele, die im Speer angeheuert wurden, kamen an der Ostfront ums Leben.

«Die Juden müssen weg»

Auch die Urner Nazis waren antisemitisch. Die Juden würden die Arbeiter aussaugen. Imholz bezeichnete sie als «Sauchaibe», die «weg» müssten. Der Lohn der Arbeiter sei nur deshalb so gering, weil die Juden das Geld einsackten. An den Zusammenkünften wurden deutsche Soldatenlieder gesungen, so das Horst-Wessel-Lied: «Die Fahne hoch! Die Reihen fest geschlossen! Die SA marschiert mit mutig festem Schritt.» Am Klavier begleitet wurden die Gesänge von Anna Imholz, der Wirtin der «Burg», der Mutter von Hans Imholz.

Als Hans Imholz einmal in Airolo, an der Südseite des Gotthards, eine Gaststube betrat, sah er ein Porträt von General Guisan an der Wand. Er verlangte, dass das Bild des Oberbefehlshabers der Schweizer Armee heruntergerissen würde. Guisan sei ein «Idiot», ein «Sauchaib» und ein «Halunke». Sollten die Deutschen einmarschieren, so Imholz, würde er die Schweiz nicht verteidigen, sondern die Waffen niederlegen. Mehr noch: Er würde den Deutschen die Munitionsfabrik und die Unterkunft der Offiziere zeigen.

Die Skizze der Munitionsfabrik

An Pfingsten 1941 veranstalteten die Nazi-Freunde ein grosses Fest oberhalb von Attinghausen. Viele reisten aus Zürich oder Luzern an. Einige übernachteten in Heuschobern. Sie sangen Lieder «Bomben, Bomben, Bomben auf England». Dabei war auch der evangelische Pfarrer Bär aus Zollikon im Kanton Zürich, ebenfalls ein Nazi. Er verglich in seiner Predigt das Ausgiessen des christlichen Geistes mit der nationalsozialistischen Propaganda. 

Auf deutschen Druck hin fertigten Imholz und der Coiffeur-Gehilfe Josef Wipfli, ebenfalls ein feuriger Nazi-Anhänger, eine detaillierte Skizze der Munitionsfabrik an. Diese Zeichnung wurde dann dem in Zürich wohnenden Deutschen Wilhelm Staiger, dem Anführer der Kampfgruppe «Speer», übergeben. Staiger war es auch gewesen, der verlangt hatte, dass in der Munitionsfabrik ein Flab-Zeitzünder gestohlen werde. 

Die Behörden schlagen zu

Es ist nicht so, dass die Behörden im Kanton Uri untätig gewesen wären – im Gegenteil. Sie waren über die Machenschaften der Urner Nazi-Gruppe bestens informiert. Der Gruppe gehörten etwa 30 aktive Männer an. Längst wurden ihre Aktivitäten überwacht. Schon früh wurde die Bundesanwaltschaft eingeschaltet. 

Am 4. Juni 1941 fanden Hausdurchsuchungen in Uri, Luzern und Zürich statt. Imholz und Wipfli gehörten zu den Festgenommenen. Beide gaben ihre nationalsozialistische Gesinnung sofort zu. «Jawohl, unsere Gruppe plant die Errichtung eines nationalsozialistischen Führerstaats», sagten sie. Das militärische Territorialgericht 3A bezeichnete die Überreichung der Skizze der Munitionsfabrik an die Deutschen als «Landesverrat». Vorgeworfen wurde Imholz auch, dass er die Schweiz nicht verteidigen wollte, sondern dass er ankündigte, bei einem deutschen Einmarsch die Waffe niederzulegen. Verteidigt wurde Imholz von Rechtsanwalt Robert Tobler, dem Gründer der «Nationalen Front», der Schweizer Nazi-Partei. Tobler argumentierte, die Weiterreichung der Skizze sei kein Landesverrat, denn was man dort sehe, sei längst vielen bekannt. 

Todesstrafe Ja oder Nein?

Imholz und Wipfli schrammten an der Todesstrafe vorbei. Der Ankläger sah eine «exemplarische Strafe» vor. Das heisst: die Todesstrafe. Das Gericht bestand aus sieben Richtern, vier Offizieren und drei Soldaten. Schliesslich wurde der Vollzug der Todesstrafe abgelehnt, vor allem wegen des jugendlichen Alters der Angeklagten. Die beiden wurden zu je 15 Jahren Gefängnis verurteilt. Es wären nicht die einzigen gewesen, die zum Tode verurteilt worden waren. 17 Landesverräter wurden während des Zweiten Weltkrieges erschossen.

Johann Imholz, der Vater von Hans Imholz, der Landgerichtspräsident in Uri, wurde mit sofortiger Wirkung suspendiert. Ihm konnte man allerdings nicht nachweisen, dass er ein überzeugter Nazi war wie sein Sohn. Offenbar schaute er einfach weg. Im besten Fall kann man ihm Naivität vorwerfen. Keine Qualifikation für einen Landgerichtspräsidenten. 

Die Schweiz knickt ein

Reto Gamma hat viele Originalakten ausgewertet, die erst nach 1990 zugänglich wurden. Sie betreffen auch die engen und geheimen militärischen Beziehungen zwischen der Schweiz und Deutschland. Diese Zusammenarbeit, so schreibt Reto Gamma, wurde lange Zeit verdrängt und geleugnet. Die Deutschen hatten von der Schweiz immer wieder sofortige Waffenlieferungen verlangt. Deutschland drohte, wenn die Schweiz nicht liefere, würde die Einfuhr von Braunkohle und Stahl gestoppt. Und die Schweiz knickte ein. 

Die Munitionslieferungen an Nazi-Deutschland gingen auf Kosten längst vereinbarter Waffenlieferungen an die Alliierten, vor allem an England. Die Maschinenfabrik Oerlikon von Emil Bührle in Zürich leitete nun einige hundert Geschütze, die für England bestimmt waren, nach Deutschland um. Total bestellte die deutsche Wehrmacht bei Bührle 200 Fliegerabwehrkantonen mit Munition für 200 Millionen Franken. Die Munitionsfabrik im Schächenwald musste für sieben Millionen Franken Munition herstellen. Um diesen Auftrag erfüllen zu können, stellte die Fabrik vom Zwei-Schichtbetrieb auf Drei-Schichtbetrieb um. Die Munition wurde dann via Oerlikon an die Deutschen geliefert. 

«Keine Verletzung der Neutralität»

Die grosse Mehrheit der Arbeiter und Arbeiterinnen im Schächenwald glaubten, mit der Produktion von Waffen würden sie einen Beitrag zur Landesverteidigung der Schweiz leisten. Was sie nicht wussten: Sie arbeitete für die Wehrmacht und ihre Kriegsführung.

Die Kriegstechnische Abteilung in Bern war nicht der Ansicht, dass diese Lieferungen die Neutralität der Schweiz verletzen.  Etwas heuchlerisch argumentierte man, es sei ja nicht der Staat Schweiz, der liefere, sondern eine private Exportfirma. Und in Altdorf hiess es: «Wir liefern ja nicht direkt nach Deutschland, sondern nach Oerlikon.» Klar war: Die schweizerisch-deutsche Zusammenarbeit sollte geheim bleiben. 

Den Schächenwald gab es überall 

Hans Imholz, der zu 15 Jahren verurteilt worden war, sass seine Strafe in der Strafanstalt Regensdorf bei Zürich ab. Er arbeitete in der Gärtnerei und später im Schweinestall. Mehrere Gnadengesuche wurden abgelehnt. Dann, am 29. Mai 1951, nach neuneinhalbjähriger Haft, wurde er entlassen und übernahm in Attinghausen in der «Burg» den Betrieb, den sein Vater ausgeübt hatte. Er starb im August 1984.

Reto Gammas gut dokumentierte und gut bebilderte historische Aufbereitung behandelt zwar vor allem «nur» die Ereignisse im kleinen Kanton Uri. Trotzdem hat die wichtige Recherche gesamtschweizerische Bedeutung. Denn: Den «Schächenwald» gab es überall in der Schweiz. Vielerorts entstanden Nazi-Zellen. Da gäbe es gesamtschweizerisch noch vieles aufzudecken und aufzuarbeiten. Doch das Gespenst der Vergangenheit will man nicht wecken. Reto Gamma hat es anhand von Uri getan. 

Reto Gamma: «Die Nazis vom Schächenwald» Ein historischer Bericht. Alpenrot Verlag, Bern, 2025, 116 Seiten

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