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Humboldt Forum Berlin

Ethnologisches und viele Fragen

19. November 2021 , Humboldt Forum Berlin
Niklaus Oberholzer
Humboldt Forum Buddhas Geburt
Die wunderbare Geburt des Buddha. Relief aus Pakistan, Gandhara, schwarzer Schiefer, 2. bis 3. Jahrhundert n. Chr., erworben 1907 von M. Longworth Dames. Foto: Niklaus Oberholzer

Im zweiten und dritten Stock des Berliner Humboldt Forums sind Meisterwerke aus der Berliner ethnologischen Sammlung zu bewundern. Die Frage steht aber im Raum: Warum sind sie überhaupt hier?

Ungezählte wunderschöne ethnologische Objekte aus Afrika, dem Südpazifik oder Papua-Neuguinea, kostbare Skulpturen aus Indien und Pakistan, Erlesenes aus China oder Japan: Der Gang durch die seit kurzem eröffneten neuen Räume im zweiten und dritten Geschoss des Humboldt Forums im rekonstruierten Schloss in Berlin bringt Überraschung auf Überraschung.

Humboldt Forum Musikinstrummente
Ausstellungsansicht des Moduls Klänge der Welt – Erforschung des organisierten Klanges. Ethnologisches Museums im Humboldt Forum. Foto: Alexander Schippel

Hier begegnet man einer Schaulager-Präsentation in der Art alter ethnologischer Sammlungen in Vitrinen, prall gefüllt mit Objekten praktisch ohne Beschriftung, dort einzelnen Exponaten, deren ästhetische Qualität ins beste Licht gerückt wird, und handkehrum auch Inszeniertem mit begleitenden Geschichten auf Texttafeln oder auf Bildschirmen, welche das Ausstellungsgut in einen politisch-kulturellen Zusammenhang rücken: Extremformen der Präsentation also.

Kamerun und Gandhara

Erstes Beispiel: In einem Saal begegnen wir zahlreichen Artefakten aus Kamerun, von 1884 bis 1919 deutsche Kolonie, darunter einem prächtigen, mit Glasperlen reich geschmückten Königsthron, der auf komplizierten Wegen zu Wilhelm II. gelangte. Bewegender ist die Geschichte von Rudolf Douala Manga-Bell (1873–1914), die ein Film erzählt: Der Königssohn aus Kamerun besuchte die Schulen in Deutschland, setzte sich, zurück in der Heimat und weit davon entfernt, ein Revolutionär zu sein, in bester Absicht für die verlorenen Rechte seines Volkes ein – und wurde von der deutschen Kolonialregierung, die in Kamerun grausam wütete, zum Tod verurteilt und hingerichtet.

In den Reliefs der Gandhara-Kultur reichen sich hellenistische und buddhistische Kunst die Hände.

Zweites Beispiel: Das Museum für Asiatische Kunst besitzt eine ganze Reihe buddhistischer Skulpturen aus der Gandhara-Kultur im nördlichen Grenzgebiet Pakistan-Afghanistan (Bild ganz oben). Es gibt wenig Information. Auch der Online-Katalog bietet nur Knappstes. Die Provenienzforschung bei den Asiatika sei wenig fortgeschritten, entnimmt man der Homepage. Wer die Asiensammlung des Humboldt Forums ohne Vorwissen besucht, kann sich nur schwer einen Reim machen. Er bestaunt die schönen alten Reliefs aus Grauschiefer aus dem 1. bis 3. Jahrhundert und ahnt kaum, dass sich da – dank Spuren der Präsenz Alexanders des Grossen in dieser Region – hellenistische und buddhistische Kunst die Hände reichten. Nirgendwo steht, dass diese Bildergeschichten die ältesten Buddha-Darstellungen überhaupt sind.

Schuldgefühle und Schuldbekenntnisse

Die Fülle ist überwältigend, die Qualität der Exponate ebenso. Dabei ist erst die Hälfte der Räume zugänglich. Zudem kann nur ein kleiner Teil der ethnologischen Sammlungen Berlins überhaupt gezeigt werden. Der Besuch ist ein Erlebnis, und doch: Es gab und gibt Diskussionen zuhauf. Sie füllen ganze Bücher. Sie entzündeten sich vor allem an politischen Fragen: Wie steht es mit der Restitution? Wie mit dem Einbezug der Menschen, aus deren Kulturkreis die Objekte stammen? Können sie ihre eigenen Interpretationen und ihr eigenes kulturelles Selbstverständnis einbringen? Gibt es ein Zuviel an Schuldgefühlen und Schuldbekenntnissen – oder doch ein Zuwenig? Manches wird in der gegenwärtigen Präsentation thematisiert; wohl nicht umfassend, was auch gar nicht möglich wäre. Und es gibt, was den Besuch anstrengend macht, sehr viel zu lesen und zu überdenken.

Humboldt Forum Ostasiatische Sammlung
Ausstellungsansicht der «ostasiatischen Studiensammlung» (rechts) und des Moduls «Künstler und Kenner. Chinesische Kunst im Kontext» des Museums für Asiatische Kunst im Humboldt Forum. Foto: Alexander Schippel

Zum Beispiel: Warum ist all das hier an prominentester Stelle Berlins vereint? Was haben diese oft kultischen Objekte mit uns zu tun? Mit welcher Absicht wurde gesammelt? Was trieb Adolf Bastian (1826–1905), Gründer des Königlichen Museums für Völkerkunde in Berlin, und seine Nachfolger dazu an, in alle Welt zu reisen und mit fast manisch anmutendem Eifer zu sammeln, was immer sich sammeln liess – ohne die Möglichkeit notabene, auch das immaterielle Umfeld, dem dieses Kulturgut entstammt, einzubeziehen? Was ist schliesslich die Botschaft, die dieses ethnologische Museum aussendet?

Die Kolonialmacht Deutschland

Ein Bild der Menschen, die dieses Kulturgut mit oft stupender Kreativität schufen, erst recht eine umfassende Vorstellung ihres Umfeldes ist aus diesen Präsentationen nur schwer zu gewinnen. Viel eher stellen sich Fragen ein zu den Sammlern und dem politischen und kulturellen Kontext ihrer Tätigkeit, die in engem Zusammenhang mit Deutschlands meist grausamer Kolonialpolitik erfolgte. War ihr Tun geprägt von Wissensdrang und Mitmenschlichkeit? Oder doch eher von europäischer Überheblichkeit gegenüber den Menschen der südlichen Hemisphäre? Jedenfalls nahmen sie als Kolonialherren ganze Schiffsladungen mit sich nach Europa und katalogisierten aus ihrer eigenen Perspektive, was sie eintauschten, erwarben oder raubten.

Man stelle sich das Umgekehrte vor: Menschen aus Papua-Neuguinea hätten europäische Alltagsgegenstände oder gar Objekte religiöser Kulte gesammelt, zweckentfremdet und ausgestellt.

Man stelle sich das Umgekehrte vor: Wie hätten die Europäer sich verhalten, wenn Menschen aus Papua-Neuguinea europäische Alltagsgegenstände oder gar Objekte religiöser Kulte gesammelt, zweckentfremdet und ausgestellt hätten? Es gibt diese Umkehr der Blickrichtung tatsächlich, und sie findet ihren allerdings bescheidenen Niederschlag in der gegenwärtigen Ausstellung im Humboldt Forum: Der Ethnologe Julius Lips (1895–1959) trug Figuren zusammen, die Afrikaner von weissen Farmern, Soldaten, Missionaren, Kolonialherren schufen, und veröffentlichte darüber sein Werk «Der Weisse im Spiegel der Farbigen».

Wissenschaft und allerlei Publikumswirksames

In der gleichsam offiziellen Publikation «Das Humboldt Forum – Die Wiedergewinnung der Idee», herausgegeben von Horst Bredekamp und Peter Klaus Schuster (Wagenbach 2016), kommt Ethnologie als Fach und Wissenschaft nicht vor. (Der Kunsthistoriker Bredekamp war einer der Gründungs-Intendanten des Humboldt Forums, Schuster war Generaldirektor der Staatlichen Museen zu Berlin.)

Humboldt Forum Kolonialzeit
Ausstellungsansicht des Moduls «Von Neuirland nach Berlin. Sammeln in der Kolonialzeit» des Ethnologischen Museums im Humboldt Forum. Foto: Alexander Schippel

Die Ethnologen meldeten sich aber selber zu Wort, denn schliesslich spielt ihr Fach im Forum eine Hauptrolle: Manche sind enttäuscht, dass die Stiftung Humboldt Forum im Berliner Schloss ihnen nicht mehr Gewicht in der Entscheidungsfindung über die Grundkonzeption des Ganzen zugestand. Sie diskutierten ausgiebig und differenziert über den Auftrag, den ihr Fach im aktuellen politischen Umfeld zu erfüllen hat: über Provenienzforschung in nachkolonialer Zeit, über die Wechselbeziehungen zwischen materieller und immaterieller Kultur, über Museumsethnologie und wissenschaftliche Feldforschung und auch über die Beziehung des neuen Museums zum bisherigen Sammlungsstandort Dahlem als Forschungsstätte. In der Publikation «Das Humboldt Forum und die Ethnologie» (Kula-Verlag Frankfurt 2019) äussern sich prominente Wissenschafter kritisch zu all diesen Fragen.

Humboldt Forum Justine Gaga
Installation «Indignation» von Justine Gaga im Modul «Koloniale Verflechtungen: Das Kameruner Grasland und Deutschland» des Ethnologischen Museums im Humboldt Forum. Foto: Alexander Schippel

Der neue Berliner Schlossbau beherbergt nicht nur das ethnologische Museum und das Museum für Asiatische Kunst. Er mutet eher wie ein riesiger Mehrzweckbau an mit einem grossen Innenhof als Empfang und Ort genereller Informationen, mit mehreren Restaurants, mit Räumen für Wechselausstellungen, mit dem rekonstruierten barocken Schlüterhof. Parterre und erster Stock sind, im Gegensatz zur zweiten und dritten Etage, eher Orte für multimediale Events und allerlei Publikumswirksames – gegenwärtig für Ausstellungen wie «Schrecklich schön – Elefant, Mensch, Elfenbein» oder «Berlin Global» oder für diverse Mitmach-Programme im Humboldt-Labor. Doch auch der konkrete Ort ist nicht zu übersehen: Die Museen für Aussereuropäisches stehen in unmittelbarer Nachbarschaft zur Museumsinsel mit Bode-Museum, Altem und Neuem Museum, Pergamon-Museum, Alter Nationalgalerie.

Von der Kuriositätenkammer zum Kulturzentrum

Das Humboldt Forum ist eingebettet in diese gigantische Zusammenballung von Museums- und Kulturangeboten. Zugleich nimmt es die Idee der Kunst- oder Kuriositätenkammer auf, die – wenn auch in sehr viel kleinerem Rahmen – das Schloss bereits zur Zeit des Architekten Andreas Schlüter (1634–1714) prägte und die im beginnenden 19. Jahrhundert unter Jean Henry zu einem veritablen Museum mit Naturalien und Kunstwerken auswuchs – übrigens genau an der Stelle im grossen Gebäudekomplex, wo sich heute das Museum befindet.

Humboldt Forum Ostfassade
Humboldt Forum, Ostfassade, und Berliner Dom. Foto: Alexander Schippel

Eine Art Kontinuität also just da, wo Kontinuität mehrfach unterbrochen wurde: Das Schloss, Wohnsitz der Hohenzollern und Zentrum des preussischen Staates, war während der Weimarer Republik eine Art multifunktionales Kulturzentrum mit Bücherei, Instituten, Konzertsälen, auch mit Wohnungen für Private. Auch nach 1945 gab es im ausgebombten Schloss in provisorisch wiederhergerichteten Räumen Kunstausstellungen – bis Walter Ulbricht 1950 die Anlage, die man durchaus hätte wiederherstellen können, sprengen liess. Er wollte Platz schaffen für die pompösen Parteiparaden auf dem Marx-Engelsplatz. 1973 wurde hier der «Palast der Republik» errichtet, eine Art monströses Ballhaus, von spöttischen Berlinern bald «Ballast der Republik» oder wegen der prunkvollen Leuchter «Erichs Lampenladen» genannt. Dieser «Palast» fiel wiederum der Spitzhacke zum Opfer – wegen des Asbests im Gemäuer oder um die nostalgische Rekonstruktion des Schlosses zu ermöglichen? Drei Fassaden des riesigen Gevierts sind antik, die vierte modern. Mit diesem Kompromiss gewann Franco Stella den Architekturwettbewerb.

Mutiger, aber kaum durchsetzbar wäre wohl ein Projekt gewesen, das die leere Mitte Berlins mit einem Bauwerk in klar heutiger Architektursprache besetzt hätte. Die Rekonstruktion war allerdings ein politischer und nicht ein städtebaulicher Entscheid.

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