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Schweizer Banken

Es war einmal ein Schalterbeamter

12. August 2012
René Zeyer
Sind wirklich nur 25 Jahre vergangen, als ein Schweizer Bankier noch eine Respektsperson war? Als sein Wort noch galt, sein Ratschlag nicht nur für ihn, sondern auch für den Kunden Wert hatte?

Seien wir einen Moment nostalgisch, um den Schaden zu beschreiben, den in einer historisch gesehen sehr kurzen Zeit ungehemmte Gier, Verantwortungslosigkeit und HSG-diplomierte Unfähigkeit angerichtet hat. Der ist nicht in Milliardenverlusten, im Keller dümpelnden Aktienkursen oder in Beinahepleiten zu messen. Der Schaden ist grösser und schlimmer.

Der verklärte Blick

Nostalgie hat immer die Eigenschaft, die guten alten Zeiten zu verklären. Selbstverständlich war der klassische Gnom für (fast) alles zu haben. Rassistenregime in Südafrika, na und? Blutgelder, zusammengeraubte Geldberge von grauslichen Diktatoren, Vermögen von mehr als zweifelhafter Herkunft: Na und? Die Schweiz wusch weisser, die Schweiz wusste: für grosse Verbrechen sind wir zu klein. Die Schweiz nahm übel, wenn sie dafür kritisiert wurde. Nachrichtenlose Vermögen? Also schliesslich haben nicht wir Millionen von Juden umgebracht. Afrikanische Potentaten, die das Geld ihrer ausgepressten Bevölkerung in die Schweiz brachten und auch hier verprassten? Die Schweiz war niemals Kolonialmacht.

Der Blick zurück

Aber all das machte den Schweizer Bankier nicht restlos aus. Er fuhr tatsächlich mit dem Tram zur Arbeit, selbst als Chef. Er hatte tatsächlich ein Einfamilienhäuschen, aber bescheiden. Er wusste um Werte wie Verlässlichkeit, Verantwortung, Loyalität, sein Wort galt. Er hatte Haltung, Anstand, Werte. Er war nicht selten gebildet, las Bücher, unterstützte ohne viel Aufhebens Künstler, liess mit sich reden, wenn sich Garagist Hugentobler mit dem neuen Ausstellungsraum finanziell etwas übernommen hatte. Denn Hugentobler war ein jahrzehntelang treuer Kunde, und der Bankier kannte schon dessen Vater, und da kann man doch nicht so sein. Und niemals wäre der Bankier auf die Idee gekommen, Hugentobler ein Produkt anzudrehen, das weder er noch sein Kunde verstand.

Der Paradigmenwechsel

Es wäre zu kurz gegriffen, die grauenvollen Veränderungen in lediglich 25 Jahren mit dem Einbruch des angelsächsischen Turbobanking in paradiesische Schweizer Zustände zu erklären. Da gab es schon genügend hausgemachte Gierbanker wie Cabiallavetta, Ospel, Mühlemann und Konsorten, die Persönlichkeiten wie Holzach oder Senn ablösten. Ohne die verklären zu wollen. Aber der Mentalitätsunterschied lässt sich wohl so beschreiben. Für den klassischen Schweizer Bankier gab es noch die beiden einfachen Sätze: Das verstehe ich nicht. Und: Das tut man nicht. Denn ich habe ein Wertesystem. Für den modernen Banker gilt: Ich muss nur verstehen, ob das profitabel ist. Und: Solange ich dafür nicht verantwortlich gemacht werden kann, tue ich alles. Denn die einzigen Werte, die zählen, lassen sich in Zahlen messen.

Die einfache Karriere

In den gar nicht so weit zurückliegenden Zeiten wusste ein hoffnungsvoller Anfänger, dass er einige Zeit lang den Kassabestand nachzählen musste, anschliessend zum Schalterbeamten aufstieg und im besten aller Fälle, nach einigen Jahren Hypothekarkredite ausrechnen und beurteilen, endlich die Einzelprokura und das eigene Besprechungszimmer bekam – für ausgewählte Kunden, denen man sogar so scharfe Sachen wie Termingelder schmackhaft machen durfte. Und als krönender Abschluss der Karriere winkte die Position des Filialleiters, nachdem der Amtsinhaber sich endlich in die Pension zurückgezogen hatte.

Die heutige Karriere

Jeder Schnösel, der an der HSG zwar nicht den Sinn, aber die Anwendung hochkomplizierter Algorithmen wie die Black-Scholes-Formel zur angeblichen Berechenbarkeit des Werts von Optionen versteht, paukt sich gleichzeitig genügend Banglisch in die Birne, dass er so schnell wie möglich in London oder New York die ganz grossen Räder im Investmentbanking drehen kann. Wenn er das übersteht, hat er sich genügend Fähigkeiten im Intrigieren und im Mobbing nebenher angeeignet, damit er alle Konkurrenten wegbeissen kann, die gleich wie er an die Bonustöpfe des oberen Managements gelangen wollen. Unterwegs dahin verliert er alle Skrupel, alle Werte, Anstand und Moral, so er über diese Eigenschaften überhaupt einmal verfügte.

Aussen hui, innen pfui

Gleichzeitig bemühen sich Heerscharen von Kommunikatoren, Werbefuzzis, Imageveredlern und Wording-Spezialisten, mit den Versatzstücken aus den guten alten Zeiten, unter Strapazierung von Worten wie Vertrauen, Tradition, Nachhaltigkeit, eine Fassade aufrecht zu erhalten, hinter der Abgründe von Geldgier und Inkompetenz klaffen. Und den Rest erledigt die wohlbestückte juristische Abteilung der Bank. Obwohl leuchtende Ausnahmen die Regel bestätigen: Ist es wirklich einen Pfifferling wert, aus Gewohnheit an einem solchen Bankenplatz Schweiz festzuhalten?

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