
Herausragende Parlamentarier sind in der Schweiz rar. Zu denen, die nicht Bundesrat geworden sind und trotzdem die Politik stark geprägt haben, gehört Julius Binder. Er wird jetzt 100.
Am 12. Februar kann der frühere Aargauer Ständerat Julius Binder in Baden seinen 100. Geburtstag feiern. Der Anwalt prägte die eidgenössische Politik stark mit, und zwar als Parlamentarier in beiden Räten. Als der Christlichdemokrat im Alter von 38 Jahren nach Bern kam, hatte er bereits beträchtliche politische Erfahrung im Aargau gesammelt – als Mitglied des Kantonsparlamentes, als Vizeammann in Baden. Er hatte eine neue Kantonsverfassung gefordert, und im Verfassungsrat, der diese dann ausarbeitete, wirkte er als erster Präsident.
Er war im Bundeshaus ein Parlamentarier der Sonderklasse, weil er immer wieder früh erkannte, was die Zukunft erheischt. So verlangte er im Nationalrat, dem er von 1963 bis 1975 angehörte, bereits 1964 gegen den Widerstand des Bundesrates einen Umweltschutz-Verfassungsartikel. Der Vorstoss war im Parlament erfolgreich, und sieben Jahre später nahmen Volk und Stände den Umweltschutzartikel mit überwältigender Mehrheit an.
In gleicher Weise stiess Julius Binder eine neue Aufgabenteilung zwischen Bund und Kantonen sowie eine Parlamentsreform an. Er war immer an der Gestaltung und Veränderung der Dinge interessiert. 1979 bis 1987 sass er im Ständerat. Dort setzte er sich nicht nur für günstige Rahmenbedingungen zugunsten der Klein- und Mittelbetriebe, sondern auch für die Mitwirkung des Parlaments an der politischen Planung und für eine bessere Rechtsstellung der Journalistinnen und Journalisten bei Geheimhaltung und Indiskretionen ein.
Während er im Nationalrat zu den forschen Neuerern gehörte, war er im Ständerat gemässigter – dem fortgeschrittenen eigenen Alter und der Atmosphäre der kleinen Kammer entsprechend. Er blieb aber der Grundsatzpolitiker und der vorausblickende Mann der Mitte. Als 1982 Bundesrat Hans Hürlimann zurücktrat, war er sofort als möglicher Nachfolger im Gespräch, ja er gehörte zusammen mit Alphons Egli zu den beiden Favoriten. In der CVP-Fraktion, der heutigen Mitte, erreichte er im vierten Wahlgang gleich viele Stimmen wie Parteipräsident Hans Wyer, während Egli führte. In der folgenden Stichwahl bevorzugte die Mehrheit der Egli-Anhänger den Walliser Wyer, weil sie ihn für weniger gefährlich hielt als Binder, so dass der Aargauer ausschied. In der Vereinigten Bundesversammlung erhielt Binder im einzigen Wahlgang als Nichtkandidat dennoch 60 Stimmen, gewählt aber wurde Egli mit 125 Stimmen.
Julius Binder sitzt heute mehrheitlich im Rollstuhl, lebt aber nach wie vor in der eigenen Wohnung. Im Gespräch flicht er immer wieder Lateinisches ein – Frucht der klassischen Bildung, die er vor über 80 Jahren im Kollegium Schwyz genossen hat. Wenn er seinen runden Geburtstag feiert, wird er von Kindern, Enkeln und Urenkeln umgeben sein. Und auch politisch wird die Fackel weitergetragen: durch seine Schwiegertochter Marianne Binder im Ständerat.