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Bürgenstock

Ein Innerschweizer Idyll im internationalen Fokus

7. Juni 2024
Carl Bossard
Bürgenstock
Das Werk des Hotelpioniers Franz Josef Bucher: Ansichtskarte der Panorama-Hotels auf dem Bürgenstock zu Beginn des 20. Jahrhunderts mit der Standseilbahn, dem Felsenweg und dem Hammetschwand-Lift (Bild: Staatsarchiv Nidwalden)

Überschaubar klein ist das Bürgenstock-Resort, unübersichtlich gross das globale Interesse. Für ein paar Tage rückt dieser Hotelberg mit der Ukraine-Konferenz in den Blickpunkt der Weltöffentlichkeit. Impressionen von einem Ort voller Geschichten.

Es war einmal – vor vielen Jahren – eine schöne, schwer zugängliche Alp auf dem Bürgenberg, rund 600’000 Quadratmeter gross und Tritt genannt. Erworben hat sie 1871 der gewiefte Bauernsohn und visionäre Hotelpionier Franz Josef Bucher. Heute ist sie vieles in einem: ein landschaftlich-touristisches Ensemble, ein Resort und Residenzort der höchsten Luxusklasse, ein Refugium für Wohlhabende. Der Name illustriert’s: «Bürgenstock Resort Lake Lucerne». Noch immer ist dieses Gebiet auch ein Erholungsraum für die Leute aus nah und fern – mit Wanderrouten und Standseilbahn, mit dem aus dem Fels gesprengten Spazierweg und dem verwegenen Hammetschwand-Lift, dem höchsten Aussenaufzug Europas. (1) Alles hoch über dem Vierwaldstättersee gelegen. Kurz: ein Ort mit magnetischer Kraft. Ein friedlicher und – in genügend grosser Distanz zum Luxusresort – fast ein arkadischer auch.

Prominenz aus aller Welt

Genau darum war der Bürgenstock schon mehrfach Kongress- und Konferenzort, so Anfang der 2000er-Jahre für Friedensgespräche zum Südsudan und zu Zypern. Und genau darum haben sich viele illustre Gäste hierher zurückgezogen. Dem Charme dieses abgeschiedenen Idylls erlagen Adelige aus halb Europa und vor allem Prominente aus Wirtschaft und Showbusiness. Aus aller Welt kamen sie: vom Komiker und Filmemacher Charlie Chaplin zu den Hollywood-Ikonen Audrey Hepburn und Sophia Loren bis zum James-Bond-Darsteller Sean Connery.

Und natürlich war auch die Politik vertreten. Der erste deutsche Bundeskanzler der Nachkriegszeit, Konrad Adenauer (1876–1967), verbrachte in den 1950er-Jahren dreimal seine Ferien auf dem Bürgenstock. Das Domizil in der Urschweiz war in dieser Zeit so etwas wie ein alternativer Regierungssitz: Hier auf dem abgeschiedenen Hotelberg empfing Adenauers «fliegendes Kabinett» die politischen Gäste und Gesprächspartner aus ganz Europa. Und von hier aus besuchte er Bruder Klaus‘ Einsiedelei im nahegelegenen Flüeli-Ranft. (2)

Mit Zug in die touristische Zukunft

Der Mythos der Hotels über dem Vierwaldstättersee führt zurück in die Anfänge und den Aufbruch des Schweizer Tourismus; er führt zurück in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts und damit auch in die Belle Époque. Die Welt wird zunehmend hell und schnell. Die Zukunft zieht an: Volldampf mit Eisenbahn und dem jungen Bundesstaat von 1848. 

Mit der Spanisch-Brötli-Bahn von Zürich nach Baden ist ein Jahr vorher, 1847, die erste binnenschweizerische Bahnstrecke entstanden. 1852 geben die eidgenössischen Räte das Startsignal zum privaten Eisenbahnbau. Mit Zug geht es vorwärts. 1860 sind bereits 600 km Schienen verlegt. Das neue Verkehrsmittel führt bald bis an die Alpen. Dazu kommen die Dampfschiffe, und einige Zeit später führen Bergbahnen auf die Gipfelhöhen. Grundlegend ist der Anschluss ans ausländische Eisenbahnnetz. Einem aufblühenden Alpentourismus mit Gästen von weither steht nichts mehr im Wege.

Ein kongeniales Unternehmerduo

Diese Chance packen instinktiv zwei schillernde Urschweizer Figuren, die beiden Obwaldner Franz Josef Bucher (1874–1906) und Josef Durrer (1841–1919). Ein kongeniales Gespann, auch wenn sie völlig unterschiedlich sind. Bucher ist auf einem Bauernhof in Kerns aufgewachsen, Durrer besitzt in Sarnen eine kleine Schreinerei. Die beiden finden zusammen und erreichen das, was man als eine Tellerwäscherkarriere bezeichnet. Beide sind nicht primär Hoteliers im klassischen Sinne, sondern tatkräftige und dynamische Unternehmer: Konservative mit einem progressiven ökonomischen Gespür. Das bringt sie weit und macht sie reich.

Josef Durrer  und Franz Josef Bucher
Josef Durrer (links) und Franz Josef Bucher beim Mittagessen auf dem Stanserhorn, 1904. Es ist das letzte gemeinsame Bild der beiden so unterschiedlichen Kompagnons. (Bild: Staatsarchiv Obwalden. Fotograf: unbekannt)

Ihr Imperium steht im Schweizer Hotelgewerbe des 19. Jahrhunderts singulär da – dies in Bezug auf Grösse, Kadenz der Expansionsschritte und Aufbau von Infrastrukturen. (3) Es reicht von Parkettfabriken in Bukarest und Siebenbürgen bis zum Luxushotel Semiramis in Kairo. Das Portfolio der Firma Bucher & Durrer umfasst neben grossen Hotels in der Schweiz und Italien auch Sägereien, Standseilbahnen und Kraftwerke. Eine Art globaler Grosskonzern, wobei Bucher für die Hotels und Bahnen verantwortlich zeichnet, Durrer für die Sägereien und Fabriken. (4)

Bürgenstock – weltbekannter Luxusferienort

Die Dynamik des Unternehmerduos Bucher & Durrer zeigt sich auch auf der Alp Tritt. Das Idyll heisst nun Bürgenstock. Hier eröffnen sie 1873 ein Kurhotel, das spätere «Grand-Hotel» – an einmaliger Lage und mit faszinierender Aussicht auf Berg und See. 1888 baut Bucher mit der Bürgenstockbahn von Kehrsiten am Vierwaldstättersee her die erste rein elektrisch betriebene Standseilbahn. 1904 folgt das Hotel Palace, ein Jahr später der abenteuerliche Felsenweg mit dem Hammetschwand-Lift. Der Bürgenstock wird zum weltbekannten Luxusferienort. (5)

Das Panorama-Hotel auf dem Bürgenstock ist für das Gespann Bucher & Durrer nur der Anfang. Gross macht sich auch das Geschäft mit Standseilbahnen. Sie bauen unter anderem die Monte-San-Salvatore-Bahn in Lugano, die Bahn aufs Stanserhorn und zu den Reichenbachfällen in Meiringen sowie die Bahn von Vevey auf den Mont Pèlerin.

Das Band bricht

1890/91 erstellt Franz Josef Bucher einen Abschnitt der elektrischen Trambahn von Genua. Aus dem Verkauf löst er eine Million Franken. Das Geld erhält er in bar. Im Triumphgefühl seines finanziellen Erfolgs lässt er sich in Kerns mit den Notenbündeln im offenen Koffer fotografieren: der erste Obwaldner Millionär! Das Foto macht Furore – und führt gleichzeitig zum definitiven Bruch mit seinem Kompagnon Josef Durrer. Von nun an gehen sie getrennte Wege: Bucher kümmert sich um die Bahnen und Hotels, Durrer übernimmt die holzverarbeitenden Betriebe.

Franz Josef Bucher
Franz Josef Bucher mit der Million von Genua, 1894 (Bild: Staatsarchiv Obwalden. Fotograf: unbekannt)

Der Hotelkönig Bucher baut und kauft unermüdlich weiter: das Hotel Euler Basel, dann Hotels in Lugano, Mailand, Kairo und 1906 das Prachtshotel Palace in Luzern. Als Höhepunkt entsteht auch in Kairo ein Luxusgebäude der Extraklasse, das Hotel Semiramis. 500 Arbeiter aus der Schweiz bauen es. Am 6. Oktober 1906, einen Tag vor der Eröffnung, stirbt Bucher. 

Mit Geld aus Katar gerettet

Im August 1914 gehen über Europa die Lichter aus. Der Erste Weltkrieg bringt den Tourismus zum Erliegen. Auch auf dem Bürgenstock. Buchers Erbe wankt. Seine Söhne sind zerstritten. 1925 kauft die Unternehmerfamilie Friedrich Frey-Fürst aus Luzern das ganze Areal. Sie investiert massiv. Die Gäste kommen wieder. 1953 übernimmt Fritz Frey die Anlage und macht das Hotel zu einem Hotspot der Reichen und Mächtigen: eine Art Märchenwelt in alpinem Ambiente. Der internationale Jetset bleibt dabei schön getrennt von den Ausflugstouristen, den sogenannten «Tageskunden». (6)

Kurhaus Bürgenstock
Flugaufnahme mit Kurhaus, später Grand-Hotel Bürgenstock aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts (Bild: Staatsarchiv Nidwalden)

In den 1990er-Jahren verkauft die Familie Frey Gebäude und Gelände. Die Renovationskosten sind enorm; sie übersteigen die finanziellen Möglichkeiten. Die Eigentümer wechseln. Heute gehört das Bürgenstock-Resort der Katara Hospitality Group, einer globalen Hotelgesellschaft; sie befindet sich im Staatsbesitz des Emirates Katar. Die Kataris investieren rund 550 Millionen Franken in den neuen Hotelkomplex. 2018 öffnet das neue Resort. Es besteht aus drei Hotels und verschiedenen Residenzen.

In der Abgeschiedenheit dieser gehobenen Hotelwelt tagt Mitte Juni die Ukraine-Konferenz – in einem Gebiet voller Geschichten. Ob auch die kommende Konferenz Geschichte schreiben wird? Der Ort lädt dazu ein.

(1) Romano Cuonz (2018), Der Hotelberg. Geschichte und Geschichten vom Bürgenstock-Resort 1871 bis heute. Zürich: NZZ Libro, S. 131

(2) Vgl. Erich Aschwanden, Von Konrad Adenauer bis Joe Biden – wie auf dem Bürgenstock Weltpolitik gemacht wird, in: NZZ, 11.04.2024

(3) Joseph Jung (2020), Das Laboratorium des Fortschritts. Die Schweiz im 19. Jahrhundert. Zürich: NZZ Libro, S. 513, 515-516

(4) Dominik Landwehr, Die zwei Charakterköpfe, die den Bürgenstock erschufen, in: NZZ, 29.05.2024, S. 9

(5) Christoph Baumgartner (2014), Wirtschaft: Impulse durch den Fremdenverkehr, in: Geschichte des Kantons Nidwalden. Bd. II. Von 1850 bis in die Gegenwart, Stans: HVN, S. 53

(6) Vgl. https://www.nzz.ch/fotografie/hollywood-stars-auf-dem-buergenstock-ld.1674510 [abgerufen: 06.06.2024]

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