Rechtspopulisten in diversen Staaten krempeln Politik und Gesellschaft um. In den USA könnte es zur radikalisierten Neuauflage einer Trump-Regierung kommen. Kern der rechten Leitbilder ist die völkische Ausmerzung des Nichtidentischen.
Einer Obrigkeit, die das Volk in illiberaler oder totalitärer Manier zu gängeln versucht und jede Abweichung von der vorgegebenen Linie bekämpft, hält man gern die berühmten Zeilen eines Gedichts von Bert Brecht unter die Nase. Hier das ganze Gedicht:
Die Lösung
Nach dem Aufstand des 17. Juni
Liess der Sekretär des Schriftstellerverbands
In der Stalinallee Flugblätter verteilen
Auf denen zu lesen war, dass das Volk
Das Vertrauen der Regierung verscherzt habe
Und es nur durch verdoppelte Arbeit
zurückerobern könne. Wäre es da
Nicht doch einfacher, die Regierung
Löste das Volk auf und
Wählte ein anderes?
Brecht reagierte mit diesem zu den Buckower Elegien zählenden Gedicht auf die Niederschlagung des Volksaufstands vom 17. Juni 1953 in der DDR. Proteste von Arbeitern gegen willkürlich erhöhte Produktivitätsnormen beim Bau der Ostberliner Stalinallee hatten sich rasch zum Aufstand gegen das sozialistische Regime ausgeweitet. Mit tatkräftiger Hilfe russischer Truppen wurde die Rebellion sogleich erstickt.
Im Gedicht «Die Lösung» persiflierte Brecht die Stellungnahme Kurt Barthels, des Ersten Sekretärs des Schriftstellerverbandes der DDR, der unmittelbar nach dem niedergeschlagenen Aufstand am 20. Juni in der SED-Parteizeitung «Neues Deutschland» den rebellierenden Bauarbeitern vorwarf, das Vertrauen der Regierung verspielt zu haben. Sie müssten sich nun doppelt anstrengen, um sich das Vertrauen wieder zu verdienen. Mit den Zeilen «Wäre es da nicht doch einfacher, die Regierung löste das Volk auf und wählte ein anderes?» drückt Brecht seine tiefe Verachtung für den parteitreuen Schleimer aus. Der Satz ist zur Waffe gegen alle möglichen totalitären Übergriffe geworden.
Illiberale Zurichtung eines «anderen» Volks
Vor dem Hintergrund moderner rechtspolitischer Formationen wie dem Trumpismus, Orbáns Fidesz, Erdoğans AKP oder der deutschen AfD bekommt der Ruf nach dem «anderen Volk» einen neuen Ton. Anders als 1953 bei Brechts sarkastischer Empfehlung an die SED, sich nach pflegeleichteren Untergebenen umzusehen, trifft der entlarvende Satz heute vor allem auf ein Grundmuster illiberaler Herrschaftsansprüche. Ob bereits an der Macht wie in Ungarn und der Türkei, auf dem Sprung zur Machtübernahme wie Trumps Republikaner oder mit vorbereitender Agitation beschäftigt wie die AfD: Auf diese Politiken passt das Brecht’sche Diktum in neuer Weise. Denn sie verfolgen tatsächlich das gemeinsame Ziel, ihr Volk «anders» haben zu wollen. Es soll mit sich identisch sein und das Nichtidentische abstossen. Seine Teile sollen sich durch Einordnung zum verordneten Ganzen zusammenschliessen. Statt einer bunten, vielfältigen und auch streitenden Gesellschaft soll eine homogene Gemeinschaft entstehen. Als geeintes und integral beherrschbares Kollektiv soll das nach ihrer Ideologie geformte Volk der Führung als Basis und Machtinstrument dienen.
Das «andere» Volk soll mit sich identisch sein und das Nichtidentische abstossen.
Natürlich sagen die Trumps, Orbáns, Erdoğans und Höckes nicht explizit, dass sie ein anderes Volk wollen. Aber sie geben ihren Anhängern die Gewissheit, sie allein seien «das Volk». Alle andern sind das nicht. Soweit diese Anderen Einfluss besitzen oder nach Teilhabe an der Macht streben, werden sie aktiv bekämpft. Die Übrigen versucht man als Wähler zu gewinnen; schlägt dies fehl, so werden sie aggressiv ausgegrenzt. Jedenfalls fallen sie nicht unter den ideologisch überhöhten Begriff des Volks und vermögen so die Identifikation der Gefolgsleute mit dem das Volk verkörpernden Anführer nicht zu stören. Moderner Populismus schafft sich sein «anderes Volk», indem er spaltet und alle nicht Passenden zuerst aus dem Begriff des Volks und irgendwann auch aus der Gesellschaft eliminiert. Das allein als relevant übrigbleibende «völkisch reine» Kollektiv wird dann durch unablässige Indoktrination zu dem angestrebten «anderen Volk» geformt.
Dieses «andere Volk» schwört dem modernen Pluralismus ab. Der aufklärerische Vorrang des Individuums ist aufgehoben. Regeln werden nicht mehr ausgehandelt, sondern kommen von oben, beziehungsweise von der Spitze der Bewegung. Statt Diskussionen gibt es Machtkämpfe. Unterlegene werden ausgesondert. Das Nationale und seine Symbole werden exklusiv vereinnahmt. Ob Trumps «Make America great again» oder Höckes «Alles für Deutschland» (von dem er als Ex-Geschichtslehrer nicht gewusst haben will, dass es sich um den SA-Wahlspruch handelt): Diese Art von Populismus versteht sich nicht als Teil des politischen Spektrums neben anderen Teilen, sondern als einzig legitimer Sachwalter des Volkes. Die anderen sind Feinde, Verräter oder – so Trump – Schädlinge, die man ausrotten muss.
Ausscheidung des Nichtidentischen
Diese völkischen Populisten erschaffen sich ihr «anderes», für sie allein richtiges Volk mittels Säuberungen. Dazu gehört die Phantasie der Remigration, der zwangsweisen Ausscheidung des Nichtidentischen aus dem Volkskörper. Wirksamer noch, weil sofort praktizierbar, ist das Säubern im Kultur-, Bildungs- und Medienbereich. US-Republikaner wie auch Fidezs-Aktivisten haben längst damit begonnen, Bibliotheken und Lehrpläne zu säubern. Die Spektren der Gesinnungen sind in den Medienszenen Ungarns und der Türkei bereits drastisch verengt, die Freiheit der Information ist nicht mehr gewährleistet. Und die AfD verhehlt nicht, dass sie Kultur, Bildung und Medien in ihrem Sinne säubern wird, sollte sie an die Macht kommen.
Die politische Strategie der AfD hat der deutsche Soziologe Armin Nassehi in einem Blogbeitrag über das neue Buch von Maximilian Krah («Politik von rechts. Ein Manifest») glänzend analysiert. Krah zeichnet das Bild des von ihm angestrebten «anderen Volks» mit aller nur wünschenswerten Klarheit. In seinem rechten Weltbild geht es zentral um «Identität» im Sinne einer «Übereinstimmung mit dem, was wir (gemeint: die Deutschen) sind». Nassehi hierzu: «Das ist natürlich eine Reverenz an den Stammvater der modernen Rechten, nämlich den Antiliberalen Armin Mohler, der so eingängig sagte, die grösste Sünde der Liberalen sei, dass sie die Menschen danach beurteilen, was sie sagen, und nicht danach, was sie sind.»
Im Weltbild der SED war immerhin vorgesehen, dass jeder ein Genosse werden kann. Bei den Rechten ist das fundamental anders. Man ist ein Deutscher qua Geburt.
In dieser für die Rechte essentiellen Unterscheidung steckt auch die Differenz zwischen dem sozialistischen und dem rechten Autoritarismus. Im Weltbild der SED, gegen das Brechts Gedicht stichelt, war immerhin vorgesehen, dass jeder ein Genosse werden kann, wenn er brav den marxistisch-leninistischen Katechismus verinnerlicht und Beweise seiner linken Überzeugung erbringt. Bei den Rechten ist das fundamental anders. Man ist ein Deutscher qua Geburt. Es ist eine Identität, die man hat; erwerben kann man sie nicht. Es gilt Armin Mohlers Festlegung: Nicht was die Menschen sagen, denken und tun ist wichtig; es zählt allein, was sie sind.
Die Extremen im Vorteil
Ob sich diese harte Höcke-Krah-Linie in der AfD durchsetzen wird, scheint im Moment noch unklar. Die Partei sammelt Unzufriedene, und nicht alle von ihnen dürften sich mit der harten rechten Ideologie wohlfühlen. Doch in Gruppierungen wie der AfD pflegen sich meist die extremen Flügel durchzusetzen, weil sie sich als die echten Vertreter des einenden Gedankenguts ausgeben können. Sie stehen für die Reinheit der politischen Ideale und repräsentieren am glaubhaftesten das «andere Volk», das es heranzubilden gilt.
Die Elite der Trumpisten hat aus dem für sie dürftigen Ergebnis der ersten Präsidentschaft ihres Idols die Konsequenzen gezogen und für den erhofften erneuten Amtsantritt Trumps im Januar 2025 einen Masterplan erstellen lassen. Auf fast tausend Seiten beschreibt der erzkonservative Think-Tank «Heritage Foundation» einen regelrechten Staatsstreich von oben. Ziel ist nicht nur eine von den Bremswirkungen der Checks and Balances befreite andere Politik. Darüber hinaus soll mit einer auf breiter Basis ausgerollten «nationalen» Wirtschafts-, Sozial- und Kulturpolitik tatsächlich ein «anderes Volk» entstehen. Eines der Vorbilder dafür ist Viktor Orbáns Konzept der «illiberalen Demokratie». Statt einer bunten, multikulturellen, multireligiösen, sich stetig verändernden Gesellschaft streben Trump und seine Leute ein identitär geeintes Volk an, in dem aggressiver Nationalismus an die Stelle von verbindender Solidarität tritt und das sich unter Trumps charismatischer Führung «great again» weiss.
Allerdings: Selbst wenn der schlimmste Fall eintreten und Trump nochmals gewählt werden sollte, ist keineswegs sicher, dass der Masterplan des ihm nahestehenden Think-Tanks auch wirklich funktionieren wird. Es ist ein bisschen wie mit dem perfekten Verbrechen: Man kann alles genauestens durchdenken und planen, aber ob sich die Tausenden von Akteuren dann genauestens an die ihnen vom Plan zugewiesenen Rollen halten werden, weiss man nicht. Die Phantasmen eines «neuen Volks» sind befeuert von Allmachtsträumen. Und solche Träume pflegen irgendwann zu platzen. – Was allerdings nicht so recht beruhigen kann, denn nicht nur funktionierende, sondern auch entgleisende Mega-Pläne haben ein furchterregendes Zerstörungspotenzial.