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Nobelpreis

Dylan und Sartre

28. Oktober 2016
Eduard Kaeser
Oder: Der Nobelpreisträger und das Nichtsein. Manchmal wartet die Geschichte mit überraschenden und reizvollen Koinzidenzen auf.

Im Jahre 1964 weigert sich Jean Paul Sartre, den Literatur-Nobelpreis anzunehmen. Sein Hauptargument richtet sich gegen die „Institutionalisierung“ des Autors, selbst wenn diese „unter den ehrenvollsten Umständen, wie im jetzigen Fall, geschieht“. Dieser Verzicht reflektiert natürlich den Kern seiner Existenzphilosophie, die von einem tiefen Misstrauen gegen die „Fremddefinition“ gespeist ist. Ein Nobelpreis erlaubt solche Fremddefinition, sie macht den Geehrten zu jemand anderem, zur öffentlich verfügbaren Person.

Misstrauen als Grundbefindlichkeit

Sartre sagt: Der Mensch ist nicht, was er ist, sondern das, was er aus sich macht – oder eben auch das, was andere aus ihm machen. Und das ist die Hölle. Sartres Verzicht bringt daher einen Akt der Freiheit zum Ausdruck, wie er sie versteht. In seiner Philosophie spricht er von „mauvaise foi“, dem Misstrauen als Grundbefindlichkeit; von der Unaufrichtigkeit, durch die der Mensch in seiner Konformität seine Freiheit aufgibt.

In einer vielzitierten Passage in „Das Sein und das Nichts“ beobachtet Sartre einen Kellner im Café. Seine einstudierten, automatenhaften Bewegungen erscheinen dem Philosophen etwas gar korrekt, ölig, auf das Publikum abgestimmt. Gerade in dieser Rolle ist der Kellner fremddefiniert: jemand für die anderen, „unaufrichtig“. Vielleicht war es das, was Sartre an der Rolle des Nobelpreisträgers so fürchtete.

„It ain’t me, babe“

Im gleichen Jahr, in dem Sartre auf den Nobelpreis verzichtet, veröffentlicht Bob Dylan sein viertes Album mit dem vielsagenden Titel „Another Side of Bob Dylan“; darin singt er in seinem bekannten Näselton zu Gitarre und Mundharmonika „It ain’t me, babe / you’re looking for, babe“. Das klingt nun doch sehr nach Sartre: Freiheit heisst Nichtsein. Ich bin nicht der, von dem du meinst, ich sei es. Das ist falscher Glaube, „mauvaise foi“. Dylans Rebellion lautet: Lebe wie ein „rolling stone“, wie ein „complete unknown“. Sie wird intoniert von Gitarrensaiten, die in uns selbst Saiten zum Schwingen gebracht haben.

Das ist Dylans Version des Existenzialismus. Sich dem unbarmherzigen Druck des Berühmtseins, dem gefrässigen medialen Reisswolf, der Erwartungshaltung des Publikums entziehen. Vielleicht sieht er in der „Ehre“, die ihm zuteilwerden soll, eher eine Drohung. Er kann wohl am besten ein Lied davon singen, wie man sich im einschlägigen Business bereits die Lippen leckt.

„Like a rolling stone“

Mir ist nicht bekannt, ob Dylan von der „Affäre Sartre“ wusste oder weiss. Jedenfalls setzt er Sartres Verzicht noch einen drauf: er ignoriert den Preis. Keine Stellungnahme. Kein Telefon. Eben: Nichts. Könnte es die Sicht auf den Nobelpreis sein, die beide vereint? Der Preis als der Gipfel von „mauvaise foi“? Ein Gremium von Literaturkritikern bestimmt vom akademischen Olymp herab, wer als Inkarnaton von preiswürdiger Kunst zu gelten – zu „sein“ hat. Hier, so möchte man sagen, hilft nur „Nichtsein“, um die Freiheit der Literatur zu retten.

                      How does it feel

                      Ah, how does it feel

                      To be on your own

                      With no direction home

                      Like a complete unknown

                      Like a rolling stone?

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