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Kommentar 21

Durchbruch

28. Mai 2018
Urs Meier
Das klare Votum der Irinnen (und Iren) gegen das Abtreibungsverbot markiert einen Epochenwechsel.

Als die irischen Wandermönche Columban und Gallus ums Jahr 600 von ihrem Kloster in den Vogesen rheinaufwärts zogen, war das von ihnen Verkündete nicht überall genehm. Ihr aggressives Auftreten gegen germanische Naturkulte gab der neuen Religion nicht die erhoffte Überzeugungskraft. Was sie predigten, war eine für heutige Begriffe krass autoritäre Botschaft. Mit den von ihnen errichteten christlichen Stützpunkten etablierten sie in fremdem Territorium eine Vorform kolonialistischer Herrschaft.

Das ist lange her. Auf dem Kontinent hat das Christentum diesen Anfängen zum Trotz mehrere tiefgreifende Transformationen erfahren. Diese haben schliesslich – in Zeiten, Regionen und Milieus unterschiedlich – Pluralismus und Gedankenfreiheit erlaubt. Doch im Herkunftsland der beiden Heiligen haben sich die Exponenten autoritären und kolonialistischen Geistes bis zum vergangenen Wochenende behauptet. Die irische katholische Kirche und eine von ihr tief geprägte Gesellschaft hielten ein rigoroses Abtreibungsverbot aufrecht, eine autoritär verordnete Doktrin. Deren Charakter zeigte sich in den Feinheiten der Gängelung von Gedanken und Gefühlen und den Grobheiten der rücksichtslosen Durchsetzung. Das dogmatische Verbot kolonisierte die Körper der Frauen im Interesse patriarchalen Machterhalts in Kirche und Staat.

Nun ist das berüchtigte achte Amendment, das der irischen Verfassung per Volksabstimmung 1983 angefügt worden war, wiederum in einem nationalen Plebiszit aufgehoben worden. Das Parlament wird demnach endlich ein modernes Abtreibungsrecht einführen. Mit Zweidrittelsmehrheit haben dir Irinnen und Iren so entschieden. Auf der grünen Insel hat ein wahrhaft historisches Wochenende stattgefunden. Weshalb war das jetzt in dieser Deutlichkeit möglich?

Irland hat in den letzten Jahrzehnten eine tiefgreifende Modernisierung erlebt. Das Land wurde zu einem Brennpunkt der Globalisierung. Es galt mit rekordträchtigen Wachstumszahlen in den Nuller-Jahren als „keltischer Tiger“, erlitt aber in der Weltfinanz- und Eurokrise zwischen 2008 und 2013 tiefe wirtschaftliche Einbrüche. Mit grossen Anstrengungen und einschneidender Disziplin schaffte es Irland, sich dann aber früh vom Euro-Rettungsschirm lösen. Das Wechselbad von Höhenflug, Absturz und schmerzhafter Rehabilitation scheint in der irischen Gesellschaft eine gewisse Resilienz bewirkt zu haben – gewiss ein Nährboden für mutige Entscheide.

Zugleich war die katholische Kirche Irlands durch eine Vielzahl in den letzten Jahren aufgedeckter Skandale um sexuelle Missbräuche und anderweitige Verbrechen gegenüber Schutzbefohlenen in eine katastrophale Glaubwürdigkeitskrise gestürzt. Die Kleriker, die auch bei diesem Plebiszit zweifellos ihr gewohntes Machtwort hätten sprechen wollen, machten sich über ihren verlorenen Kredit keine Illusionen. Sie hielten sich weitgehend zurück – im Wissen, dass jede Intervention kontraproduktiv gewirkt hätte.

Beides hat geholfen, ein aus der Zeit gefallenes Regime des praktisch totalen Abtreibungsverbots zu überwinden: die schmerzhafte, aber insgesamt erfolgreiche Ankunft des Landes in der globalisierten Gegenwart und ein von weiten Kreisen – an vorderster Front von Frauen – getragener Aufstand gegen das gewohnheitsmässige Vertuschen und Verdrängen.

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