Die Krisen der Gegenwart lassen sich mit drei Stichworten markieren: die zunehmenden Spannungen zwischen China und den USA, der Ukrainekrieg und Israels Krieg gegen die Hamas. Erich Gysling skizzierte den gegenwärtigen Stand und bot Ausblicke.
Das Interesse am Vortragsabend in Zürich am 30. Januar war so gross, dass der Saal nicht ganz ausreichte. Der Gründer und Leiter von Journal21, Heiner Hug, führte durch den Abend. Erich Gysling und er kennen sich aus ihrer beruflichen Tätigkeit beim Schweizer Fernsehen seit 40 Jahren.
Die Spannungen zwischen China und den USA haben sich in den vergangenen Jahren merklich verschärft. Neben systemischen Gründen spielen in den Augen Gyslings aber auch unnötige Provokationen seitens der USA eine Rolle. Der Kristallisationspunkt dieses Konflikts ist Taiwan. Es sei sehr unklug gewesen, dass Nancy Pelosy am Ende ihrer Amtszeit als Sprecherin des Repräsentantenhauses Taiwan einen Besuch abgestattet habe. Auch in Taiwan sei zu hören, dass seit diesem Besuch im Verhältnis zu China die Spannungen zugenommen hätten. Dagegen müsse es auch das Interesse des Westens sein, die Taiwanfrage so zu entschärfen, dass sie möglichst lange offen bleibt. Auf die Dauer werde China aber auf der Forderung nach einer «Wiedervereinigung» bestehen.
In Bezug auf die Ukraine ist Erich Gysling aus mehreren Gründen sehr skeptisch. Er selbst habe bis kurz vor dem Angriff nicht geglaubt, dass Putin derartig «irrational» handeln werde. Das zeige, wie schwierig es ist, sich von aussen ein zutreffendes Bild zu machen. Dazu komme, dass beide Seiten ihre ganz eigene Sicht auf diesen Konflikt haben. Das gelte insbesondere für die Frage nach ethnischen Zugehörigkeiten.
Die Situation für die Ukraine werde nicht nur im Blick auf die Möglichkeit einer radikalen Änderung der amerikanischen Aussenpolitik schwieriger. Und es komme dazu, dass die Bedeutung westlicher Waffen im Verhältnis zur schieren Masse der russischen Soldaten überschätzt werde. Über kurz oder lang werde es zu Friedensverhandlungen kommen müssen, wobei die Ukraine um territoriale Zugeständnisse wohl nicht herumkomme.
In den Augen von Erich Gysling ist der Gaza-Krieg der Konflikt, für den sich ein Ende am wenigsten erkennen lässt. So sei der Versuch Israels, die Hamas militärisch zu besiegen, zum Scheitern verurteilt, denn die Ideologie lasse sich nicht mit Waffen besiegen. Und für jeden getöteten Hamas-Kämpfer stünden schon Nachfolger bereit. Und es sei auch nicht gelungen, eine einzelne Geisel durch den Militäreinsatz zu befreien.
Das Gebiet von Gaza sei durch den Beschuss und die Bombardements weitgehend unbewohnbar geworden. Wohin mit den 2,3 Millionen Bewohnern? Ägypten wolle sie aus verschiedenen Gründen nicht, insbesondere wegen der Nähe der Hamas zu den Muslimbrüdern, die in Ägypten als Staatsfeinde gnadenlos verfolgt werden. Eine Zwei-Staaten-Lösung komme deswegen nicht in Frage, weil sie von beiden Seiten abgelehnt werde und dafür schlicht und einfach keine zusammenhängenden Territorien zur Verfügung stehen. Wolle man zum Beispiel die illegalen Städte der Siedler im Westjordanland räumen, käme es in Israel ganz sicher zu einem Bürgerkrieg.
Nach diesem Referat wandte sich das Publikum lebhaft mit Fragen und Diskussionsbeiträgen an den Referenten.