Alle wissen, was das ist. Viele haben eine zuhause im Wohnzimmer stehen. Doch seltsam: Auf der mehrere Wort-Datenbanken abfragenden Plattform www.dwds.de („Das Wortauskunftsystem der deutschen Sprache in Geschichte und Gegenwart“) heisst es: „’Polstergruppe’ ist nicht in unseren gegenwartssprachlichen lexikalischen Quellen vorhanden.“ Das Wort existiert zwar gemäss DWDS, aber es ist nicht lexikonwürdig. Auch der Duden fremdelt mit dem Begriff. Er registriert ihn, verweist aber bei der Bedeutungsübersicht kurz angebunden auf „Polstergarnitur“, und nur dort findet er eine Erklärung der Wortbedeutung angebracht.
Liegt das daran, dass man in Deutschland fast nur „Polstergarnituren“, in der Schweiz aber vorwiegend „Polstergruppen“ kennt? – Das ist wenig wahrscheinlich, denn deutsche Wörterbücher verzeichnen in der Regel auch schweizerische (oder österreichische) Ausdrücke. „Polstergruppe“ scheint unter dem Radar der Linguisten zu fliegen.
Das bei Sprachprofis unbeachtete Wort ist in der Schweiz völlig alltäglich, auch schriftsprachlich. Doch zugleich ist es ein wenig seltsam. Bilden Möbelstücke denn eine Gruppe? Eine Garnitur, ja – aber eine Gruppe? Zwar gibt es den mathematischen Begriff der Gruppe, der nicht nur auf Zahlen, sondern auch auf Sachen anwendbar ist. Doch in der Alltagsspache meint „Gruppe“ so gut wie immer eine soziale Formation. Ist bei der Polstergruppe vielleicht schon die intendierte Nutzung mitgedacht, nämlich die Sitzenden zur Gruppe zusammenzuführen?
Die Polstergruppe ist ja durchaus mehr als bloss das Produkte-Package, bestehend aus einem Sofa und zwei Sesseln. Als Mobiliar ist sie die feste Form für ein im Wohnraum stattfindendes Sozialverhalten, sei es der Familie oder der Gastgeber mit ihren Besuchern. Und es ist keineswegs unwichtig, worauf man da sitzt. Mit ihren Polstergruppen inszenieren sich die Wohnenden: die einen leger mit zusammengewürfelten Sitzmöbeln, die anderen statusorientiert mit opulentem Leder, wieder andere cool mit Designerstücken oder individualistisch mit Abweichungen vom Standard.
Polstergruppen sind Statements. Sie verraten, wie ihre Besitzer ticken. Doch neben ihrer Individualität haben die Sitzgelegenheiten auch einen kollektiven Charakter: In ihrer gruppierten Form sind sie als Kernbestandteil des Wohnens Ausdruck einer bürgerlichen Welt, die noch immer weite Teile der Gesellschaft mit einschliesst. Mit der Polstergruppe der eigenen Wahl unterscheidet man sich also einerseits, ordnet sich aber andererseits mit ihr als Phänotyp ins hierzulande gängige Schema des Wohnens ein. Das schmerzt zweifellos die auf Originalität und Eigenständigkeit bedachten Zeitgenossen. Manche Einrichtung verrät denn auch, dass die Bewohner sich gegen diese bürgerliche Ausstattungsnorm mehr oder weniger heftig gesträubt haben, ohne freilich deren Zweck eines Gruppierens von Menschen in häuslicher Behaglichkeit ganz entrinnen zu können.
Wäre das Wort „Polstergruppe“ nicht ein wenig seltsam, gäbe es nicht Anlass zu solchen Gedankenspaziergängen.