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Hundert Jahre Spitzbergen-Vertrag

Die friedliche Arktis steht unter Druck

18. August 2025
Rudolf Hermann
Rudolf Hermann
Eisbären-Warnschild
Warnschild mit der Tafel «gilt für ganz Spitzbergen» (Foto: Hagmann, Wikipedia CC BY-SA 3.0)

Vor hundert Jahren hat Norwegen auf Spitzbergen seine Flagge gehisst. Einst ein Niemandsland, ist der arktische Archipel heute ein internationales Territorium unter der Verwaltung Oslos – ein völkerrechtliches Kuriosum. Lange Jahre stand Spitzbergen als Paradebeispiel für den «Sonderfall Arktis»: friedliche internationale Zusammenarbeit in der nördlichen Polregion. Doch im Klima der neuen geopolitischen Konkurrenz hat der Wind gedreht. 

Es ist ein leicht bitterer Beigeschmack, der die norwegischen Festivitäten zum hundertsten Jahrestag des Inkrafttretens des Spitzbergen-Vertrags am 14. August 1925 begleitet. Zu jenem Datum ging die hocharktische Inselgruppe Spitzbergen (norwegisch Svalbard), vormals «Terra Nullius», rechtsgültig unter norwegische Verwaltung, jedoch nicht als exklusives Gebiet des skandinavischen Königreichs, sondern als «internationales Territorium», zu dem die Bürger aller Vertragsstaaten frei Zutritt haben.  

Zwar gaben sich Norwegens Ministerpräsident Jonas Gahr Störe und Kronprinz Haakon ostentativ unbeeindruckt von der geopolitischen Grosswetterlage, als sie zum Jahrestag Spitzbergen besuchten und dabei erklärten, Norwegen besitze im Einklang mit dem internationalen Recht die uneingeschränkte Souveränität über Svalbard. Doch auch im Osloer Regierungsviertel weiss man, dass dieser Anspruch auf wackliges Terrain geraten könnte, sollten sich Schwergewichte unter den Unterzeichnerstaaten des Spitzbergenvertrags offen gegen die norwegische Interpretation des Dokuments stellen. 

Genau das zeichnet sich indes seit einiger Zeit ab. Die mittlerweile 48 Signatarstaaten (unter denen sich auch die Schweiz befindet) umfassen mit den USA, China und Russland drei globale Mächte, die seit einigen Jahren zunehmend um Einfluss, Präsenz und Macht in der Arktis kämpfen. Seither befindet sich Norwegens Position als Verwaltungsmacht nur noch im labilen Gleichgewicht. 

Fischereirechte, Wissenschaftspolitik, Militärfragen 

Es geht um Materielles wie zum Beispiel die reichen Fischgründe in der 200-Meilen-Zone um den Spitzbergen-Archipel. Norwegen hat diese Zone 1977 zur Fischerei-Schutzzone erklärt, in der die traditionell in dieser Region präsenten Fischereinationen Fangrechte haben, die von Norwegen reguliert werden. Oslo hätte damals zwar wohl lieber eine exklusive Wirtschaftszone eingerichtet, doch das war mit dem Spitzbergenvertrag schwierig zu vereinbaren. Dieser schreibt allen Signatarstaaten gleiche Rechte zur wirtschaftlichen Nutzung der Ressourcen an Land und in den Territorialgewässern zu. Über die Meeresgebiete jenseits der Territorialgewässer hingegen sagt der Vertrag nichts – weil zur Zeit seiner Abfassung das Konzept der exklusiven Wirtschaftszonen noch gar nicht bestand.  

Man geht kaum fehl in der Annahme, dass Norwegen die Fischerei-Schutzzone als den einfacheren Weg betrachtete, um sich unter Hinweis auf den im Vertrag verankerten Auftrag zum Umweltschutz weitgehende Regulierungsmöglichkeiten zu sichern. Doch dieses Recht wird nicht von allen Vertragsstaaten explizit anerkannt. Und auch Fachleute sind sich nicht einig, was aus der Perspektive des modernen Seerechts die richtige Interpretation «im Geist des Spitzbergenvertrags» wäre. Kritiker Norwegens sind dabei nicht nur politische Systemgegner wie Russland, sondern auch grundsätzlich befreundete Akteure, die im Nordmeer ihre Fischereiinteressen durchzusetzen suchen: Island, Grossbritannien, Spanien oder auch die EU. Sie stellen die Frage, ob eine moderne Lesart des Abkommens nicht bedeuten müsste, die Nicht-Diskriminierungsklausel für wirtschaftliche Aktivitäten, die an Land gilt, auch auf das Meeresgebiet auszudehnen. 

Andere Kontroversen um Spitzbergen sind politischer Natur. Sie betreffen etwa den Wissenschaftsbetrieb. Spitzbergen hat sich als internationales Zentrum für Polarwissenschaft etabliert; zahlreiche Länder betreiben dort Forschungsstationen. Nach den Vorgaben Norwegens, das als zuständige Verwaltungsmacht den internationalen Forschungsbetrieb koordiniert, sollte dieser sich auf die Naturwissenschaften beschränken. Doch China zum Beispiel findet eine solche Einschränkung unzulässig. Laut Peking sollten auch staatsrechtliche Fragen angesprochen werden dürfen – also etwa, wie eine moderne Interpretation des Spitzbergenvertrags aussehen könnte. China und Russland haben auch schon explizit mit politischen Symbolen provoziert, obwohl nach norwegischer Vorstellung diese im internationalen Kontext des Territoriums keinen Platz einnehmen sollten. Es geht den beiden Grossmächten darum, auszutesten, wie weit Norwegens Umsetzung des Spitzbergenvertrags in Zweifel gezogen werden kann und welche Resonanz man allenfalls damit bei anderen Vertragsstaaten findet. 

Solche Nadelstiche betreffen auch den dritten Bereich, der anfällig ist für Streitigkeiten, nämlich die sicherheitspolitische Stellung Spitzbergens. Laut dem Vertrag darf der Archipel nur friedlich genutzt werden, und insbesondere sind ständige militärische Installationen verboten. Hingegen ist Spitzbergen nicht ein demilitarisiertes Gebiet, wie es manchmal in Medien vereinfachend dargestellt wird. Norwegen ist berechtigt, Massnahmen zur Wahrung seiner Souveränität über das Gebiet zu ergreifen, so lange den Aktionen nicht eine «kriegerische Absicht» zugrunde liegt.  

Plötzlich ein Brennpunkt 

Die Auslegung, was genau das bedeutet, ist indes heikler geworden in einer geopolitischen Situation, in der Spitzbergen an sicherheitsstrategischer Bedeutung gewonnen hat. Mit einem internationalen Flughafen, einem Tiefseehafen, einer bedeutenden Satellitenstation sowie Datenkabeln zum norwegischen Festland ist es ein gut ausgestatteter logistischer Stützpunkt – der einzige dieser Art in der europäischen Hocharktis. 

Die Kontrolle über diese Installationen, oder zumindest die Sicherstellung, dass ein Gegner sie nicht nutzen kann, könnte Spitzbergen in einem grösseren Konflikt zwischen der Nato und Russland rasch zu einem Brennpunkt in der Arktis werden lassen. Denn Spitzbergen ermöglicht die Kontrolle über die «Bärenlücke», ein Meeresgebiet zwischen dem norwegischen Festland und der auf halbem Weg zwischen Nordkap und Spitzbergen gelegenen Bäreninsel. Diesen Durchgang müssen Schiffe der russischen Nordflotte passieren, wenn sie von der Heimbasis Murmansk und Seweromorsk in den Atlantik gelangen wollen. Zurzeit ist dies sogar der einzige wirklich offene russische Atlantik-Zugang, weil der Bosporus im Zug des Ukraine-Kriegs gesperrt ist und die Ostsee durch den Nato-Beitritt Finnlands und Schwedens de facto zu einem Nato-Binnenmeer geworden ist. 

Lange fristete Spitzbergen ein beschauliches Dasein als völkerrechtliches Kuriosum in einer abgelegenen und wenig beachteten Weltgegend. Damit ist es jetzt vorbei.  

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