
Karin Keller-Sutter (KKS) weilt in Washington, wird aber nicht im Weissen Haus empfangen. Der norwegische Ministerpräsident schon. Soviel zur Legende von KKS als Trump-Flüsterin. Dabei hätte die Schweiz durchaus einiges in die Waagschale zu werfen.
Gross war die Begeisterung in der Schweiz, als Präsident Trump seine anfänglichen 31-Prozent-Zölle gegen die Schweiz vorläufig auf zehn Prozent senkte. Ein kurzes Telefonat von KKS mit Trump habe dazu beigetragen, meinten konservative Kreise und mit ihr einige zentrale Medien. Umso grösser die Enttäuschung nun, da die Schweiz, politisch auf höchster Ebene mit dem Präsidium, den Finanz-, Wirtschafts-, Bildungs- und Forschungsministerien in Washington präsent, nicht ins Weisse Haus vorgelassen wird. Trotz vermeintlichen Trumpfkarten in diesen Bereichen wie umfangreichen Investitionen der schweizerischen Industrie in den USA, einem wegweisenden Berufsbildungskonzept und dem weltweit anerkannten Forschungsplatz. Dies trifft helvetisches Selbstverständnis umso schmerzlicher, als das hierzulande oft als Efta-Juniorpartner angesehene Norwegen von Trump mit einer Audienz beehrt worden ist. Die Annahme, diesen durch Persönlichkeiten, Gastgeschenke und Schmeicheleien beeinflussen zu können, beruht auf zwei falschen Prämissen.
Zweifelhafte Erfolge des «Flüsterns»
Der seinerzeitige Hollywoodfilm «The Horsewhisperer» mit Robert Redford in der Hauptrolle basierte auf der Annahme, dass ein alterndes, störrisches Rennpferd durch in sein Ohr geschmeichelte Aufmunterung durch eine spezielle Persönlichkeit, hier Redford, auf den richtigen Weg zurückgebracht werden könne.
Das sichtbarste Beispiel einer solchen Trump-Flüsterin ist die italienische Ministerpräsidentin Meloni. Sie habe einen ganz speziellen Draht zu Trump, da sie ihm auch mit ihren gesellschaftspolitischen Ansichten nahestehe. Diese Theorie krankt allerdings daran, dass Meloni, trotz offensichtlichem Kotau vor dem amerikanischen Präsidenten, damit bislang keinerlei Erfolg hat. Weder für Italien, das wie die Schweiz Milliardeninvestitionen in den USA in Aussicht gestellt hat, noch für die EU.
Und selbst wenn sich doch, bei Meloni und anderen, ein vermeintlicher Erfolg der Schmeicheleien beim eitlen Donald abzuzeichnen scheint, bedeutet dies keineswegs einen wirklichen Durchbruch. Ein kürzlich erschienener Cartoon, der Trumps Kopf von überdimensionierten Ohrenpfropfen darstellt, trifft ins Schwarze: Trump entscheidet alleine, ohne dass er entscheidend von jemandem beeinflusst werden könnte. Und sogar wenn er den Pfropfen einmal herausnimmt, kann schon am nächsten Tag ein anderer Besucher das Gegenteil des gestrigen Entscheides vernehmen.
Macht ist die Währung, die zählt
Was Trump allein beeinflussen kann, ist Macht. Politische und militärische Macht und auch die Macht der Finanzmärkte. Politisch respektiert er autokratische Machthaber von Grossmächten wie China – dem er trotz vermeintlicher Frontstellung überraschend Zollkonzessionen anbietet –, aber auch Russlands und Indiens. Seine Zickzack-Politik bei den Zöllen und anderswo beruht ausschliesslich auf negativen Auswirkungen seiner Politik an den internationalen Finanzmärkten und auf globalen Wachstumsprognosen.
Den norwegischen Ministerpräsidenten Störe und seinen Finanzminister Stoltenberg – der ehemalige Nato-Generalsekretär macht sich seit Jahren für grössere Militärausgaben in Europa stark – empfing er wegen der Arktis. Da liegt tatsächlich ein amerikanischer Schwachpunkt, den die USA mit dem plumpen Vorgehen gegen Grönland ins internationale Rampenlicht gestellt haben. Norwegen hat sich bereits verpflichtet, ein Mehrfaches zur Verteidigung der Nato-Nordflanke zu tun. Dies, um gegen russisches, neuerdings auch chinesisches Ausgreifen über den Nordpol gewappnet zu sein. Solche globalen Strategietrümpfe fehlen der Schweiz.
Das Gewicht der Schweiz ausspielen
Die Schweiz verfügt als wichtiger Wirtschafts- und Finanzplatz im Herzen von Westeuropa durchaus auch über Macht. Anstatt sich vor Trump wegzuducken, sollte die Schweiz eine selbstbewusste Politik betreiben, auch auf der Basis dieser Machtposition. Genügend Macht, um dem amerikanischen Frontalangriff gegen die bisherige westliche Ordnung zu begegnen, hat aber allein Europa als Ganzes. Die EU macht das richtig: Sie verhandelt mit Trump über Zölle, ohne zu verhehlen, dass sie auch anders kann, beispielsweise mit Massnahmen gegen US-Dienstleistungsexporte. Auch die europäischen Nato-Staaten machen es richtig, indem sie bereit sind, Putin mit eigenen Mitteln und ohne aktive Teilnahme der USA die Stirn zu bieten.
Das Rezept für die Schweiz ist offensichtlich. Resolute Annäherung an die EU, mit der ja ein umfassendes und mehrheitsfähiges Verhandlungspaket vorliegt. Dieses muss nun rascher als im schweizerischen parlamentarischen Trott verabschiedet werden. Zudem ist eine schweizerische Teilnahme an der «Koalition der Willigen» anzustreben. Denn auf dieser europäischen Plattform wird über die künftige Sicherheit unseres Kontinentes entschieden.