Nadav Lapid ist zurzeit der bekannteste Filmemacher Israels. Er ist vermutlich auch der umstrittenste. Mit «Yes», seiner jüngste Inszenierung, hat er sich als erster Cineast an den «7. Oktober» und den anschliessenden Krieg gewagt. Eine Begegnung in Paris.
Eines der zahlreichen Paradoxe, die Israels kurze Geschichte begleiten, ist die Anzahl talentierter Regisseure, die ihre Produktionen zu Beginn der 2000er Jahre auf die Leinwand bringen konnten. War Amos Gitais Name und Werk auch vielen Zuschauern ausserhalt der Landesgrenzen ein Begriff, wurde das aufmerksame Publikum innerhalb weniger Jahre mit den Inszenierungen einer neuen Generation von Filmemachern konfrontiert, die sich anschickte, die Bruchstellen und changierenden Realitäten des Landes mit einer bislang ungesehenen Schärfe auszuleuchten.
«Late Marriage» von Dover Kosashvili verfolgte die Trennlinie zwischen Tradition und Moderne, während «Or» von Keren Yedaya eine Prostituierte beim Abnutzungskampf gegen die prekären Lebensumstände zeigte. Die «Heiratstrilogie» von Ronit und Shlomi Elkabetz («To Take a Wife», «Shiva» und «Gett: The Trial of Viviane Amsalem») begleitete ihre weibliche Hauptfigur vom Altar bis zur Scheidung. «Waltz with Bashir» (Ari Folman) suchte nach Bildern für die vom Libanonkrieg verursachten Traumata.
Trotz der internationalen Anerkennung – «Or» gewannt 2004 die Caméra d’Or in Cannes, Folmans animierte Doku-Fiktion erhielt 2009 eine Oskar-Nomination – hat sich das Feld seither jedoch stark gelichtet. Finanzielle Gründe mögen ihre Rolle gespielt haben; der heimische Markt ist zu eng, um gross dimensionierte Projekte amortisieren zu können. Vermutlich hat auch die politische Polarisierung die herkömmlichen Themen ins filmische Abseits gestellt. Übrig geblieben ist in erster Linie Nadav Lapid, der nicht nur über eine freie Handschrift verfügt, sondern sich auch dezidiert zu äussern weiss.
«Ein Kuss folgt auf eine Ohrfeige»
Sein Temperament sei halt nun mal nicht «französisch», sagt der Regisseur beim Gespräch: Er habe stets den Eindruck, «die Dinge wie ein Duell zu erleben», dies präge zweifellos auch seine Filme, in denen «ein Kuss auf eine Ohrfeige folgt, und eine Ohrfeige auf einen Kuss». Auch in seiner Biografie lässt sich seine Kompromisslosigkeit kaum übersehen. Seit mehreren Jahren lebt Lapid in Paris, selbst seine Filme hat er auf einen Konfrontationskurs gegen das Heimatland eingestimmt.
So handelte etwa «Synonyms» von einem Choreographen, der sich nach dem Militärdienst nach Frankreich absetzt, um sich von seiner israelischen Identität zu befreien. In «Ahed’s Knee» schickte Lapid die Argumente nach, die seinen Bruch mit dem Vaterland unvermeidlich machten: Y («Yud», auf hebräisch ausgesprochen), ein Regisseur, organisiert ein Casting für seinen nächsten Film, den er Ahed Tamini widmen will, einer Aktivistin, die zum Symbol der palästinensischen Résistance geworden ist. Anschliessend begibt sich Y in ein Wüstendorf, um dort eine seiner früheren Inszenierungen vorzustellen. Vor der anschliessenden Publikumsdiskussion erfährt er, dass er den Nahostkonflikt, der zum Tabuthema geworden ist, öffentlich nicht erwähnen dürfe.
Auf «Ahed’s Knee», der die latente Gewalt und die schleichende Zensur der israelischen Behörden ins Gericht genommen hatte, folgt nun «Yes», dessen Handlungsgerüst – ein zynischer Musiker akzeptiert den Auftrag eines ominösen Geschäftsmannes, eine neue Nationalhymne zu komponieren – unter Lapids Brennglas zu einer brandaktuellen Analyse der Gegenwart einlädt. In seiner ersten Hälfte erweist sich «Yes» als eine bissige Abrechnung mit den hedonistischen Eliten von Tel Aviv, denen sich die Protagonisten, ein Musiker, der wiederum Y heisst (Ariel Bronz), und seine Frau, die Tänzerin Yasmine (Efrat Dor), willig unterwerfen. In seinem zweiten Teil wird der Film zur Allegorie über die Retaliationsgelüste seines Heimatlandes – der Kinderchor, der am Ende Ys neue Hymne singt, fantasiert von der Renaissance eines Grossisraels und der Unterwerfung Gazas.
Balance zwischen Ethik und Ästhetik
Tatsächlich ist jede Szene des Films von den Schockwellen des Kriegs berührt, der sowohl den Hintergrund als auch die Ästhetik prägt. Doch wie wirkungsmächtig der fiebrige Stil auch sein mag, seine Präzision verdankt «Yes» letztlich dem dosierten Einsatz der filmischen Grammatik: Nachdem Y den Krieg in Gaza erst nur am Rande, in Form von Push-Benachrichtigungen auf seinem Handy wahrgenommen hat, fährt er während einer Ehe- und Schaffenskrise an die Grenze zum Küstenstreifen, über dem er eine Rauchwolke hochsteigen sieht. Die – dokumentarische – Aufnahme, die mit der Hektik kontrastiert, die die vorhergehenden Szenen prägt, hat nicht nur Signalcharakter, sie ist auch ein Schlüsselmoment der Inszenierung.
Wie lässt sich in einem Film, der seine Form in Echtzeit sucht, zu einer Balance zwischen Ethik und Ästhetik finden? Der Kriegsort sei wie ein Magnetfeld, sagt Lapid, dem er sich als Regisseur stellen musste: Wenn der Film nicht in der Lage ist, jede wie auch immer geartete Wirklichkeit zu filmen, verliert er seinen Existenzgrund. «Als ich den Gazastreifen filmte, fragte ich mich: Wird man den Horror sehen? Die Antwort bleibt für mich geheimnisvoll: Man kann gewisse Dinge wie die zerstörten Häuser erahnen, allerdings ist auch offensichtlich, dass etwa eine amerikanische Produktion Gaza im Studio nachgebaut hätte, da unsere Darstellung nicht als befriedigend erachtet worden wäre.»
Die (stumme) Einstellung des Kriegsschauplatzes ist auch als Antwort auf die vorhergehende Szene zu verstehen, in der Leah, Ys Ex-Frau, der er auf seiner Reise an den Küstenstreifen wiederbegegnet, in einem erschütternden Monolog die blutigen Massaker resümiert, die am 7. Oktober begangen worden waren. «Für mich stehen die beiden Momente in einem Dialog», präzisiert er. Während die Geschehnisse in Gaza visuell erfahrbar werden, kommt Leahs Zeugnis ausschliesslich über die Tonspur zur Geltung. «Beide Sequenzen erzählen den Krieg, beide enthalten den Horror, der jedoch mit den minimalistischen Mitteln des Kinos vermittelt wird: Das ‘Sichtbare’ beschränkt sich auf die Worte Leahs sowie auf eine Gesamtaufnahme von Gaza.»
Gaza, Tel Aviv: Zwillingsschwestern
Trotz der Schärfe seiner Kritik an seinem Heimatland kann er sich in der politischen Opposition Israels kaum wiedererkennen. «Seitdem ich als Regisseur arbeite, habe ich den Eindruck, dass wir kaum je von derselben Sache sprechen. Viele Filmemacher thematisieren die besetzten Gebiete, die Diskriminierung, die Brutalität der Soldaten, während ich davon spreche, was ich im Park, im Café und vor allem in mir selbst sehe, wenn ich in einen Spiegel blicke. Die andern nehmen einen klaren Standpunkt ein, doch ich glaube, dass auch dies eine Form von Verblendung ist. Deswegen war es mir so wichtig, Tel Aviv und Gaza zu filmen, ohne meine Protagonisten zu verurteilen. Ich denke, Gaza und Tel Aviv erinnern auf eine schreckliche und perverse Weise an Zwillingsschwestern: Man kann die eine ohne die andere nicht verstehen.»
Der Film baut auf den Exzess, allerdings ist es auch diese kompromisslose Suche nach dem Verhältnis zwischen «Schönheit und Grauen, Anziehungskraft und Schrecken», die «Yes» sein einzigartiges Profil verleiht. Ist der Titel als Antiphrase zu verstehen? Denken heisst Neinsagen, war einst das Fazit des Philosophen Alain. Neben der Konstanz seines Furors zeichnet sich Lapids Filmographie stets auch durch eine andauernde Recherche nach dem «exemplarischen Handeln» aus. Diese Frage ist nicht neu, sie reicht auch über diesen Krieg hinaus. Wenn sich seine Arbeit in diese Tradition des jüdischen Denkens einreiht, ist die Zustimmung, die im Titel mitschwingt, vermutlich auch wörtlich zu verstehen.