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Film

«Yes» – Ekstasen der Verdrängung

14. Oktober 2025
Franz Derendinger

Am 16. Oktober kommt «Yes» ins Kino, der neuste Film des israelischen Regisseurs Nadav Lapid (Aheds Knie). Die Uraufführung fand in Cannes statt, allerdings nur im Rahmen der Quinzaine des cinéastes. Für den Wettbewerb war der Film wohl zu heikel, weil Kontroversen in der Regel dem Geschäft schaden.

Y. und Yasmin, er Pianist, sie Tänzerin, bringen sich durch, indem sie als schrille Partyclowns eine abgehobene israelische Oberschicht bespassen. Ihre Auftritte wirken in dekadenter Weise überdreht, haben – vor allem von seiner Seite – einen abstossenden Stich ins Masochistisch-Unterwürfige, dabei schrammen sie zuweilen auch an der Grenze zur offenen Prostitution entlang. Der Traum der beiden: selbst in die Liga der Schönen und Reichen aufzusteigen, um sich und ihrem Sohn Noah ein Leben in Glanz und Luxus zu ermöglichen.

Unterwerfung

Dafür biedern sie sich bedenkenlos bei den Mächtigen an und blenden die Gräuel aus, welche diese anrichten. Der 7. Oktober ist bereits Vergangenheit, der Rachefeldzug in vollem Gange. Sie bekommen wohl mit, dass in Gaza ein Hochhaus zerbombt wird, doch das hält sie nicht davon ab, den nächsten Auftritt zu proben. Nur zu gern vertrauen sie auf die Versicherung der Armee, dass keine Zivilisten zu Schaden kommen sollen. 

Ja sagen, sich ergeben und einfügen in ein Ganzes, so das Mantra, das Y. sich unentwegt vorbetet. «Wehre dich nicht, gib dich hin», predigt er seinem einjährigen Sohn auf einer Radtour am Meer. «Schenk den Menschen ein Lächeln und geh darin auf.» Alle sind sie gut, die kreischenden Kinder, der alte Mann mit dem Stock, der Soldat an der Ecke. Positive Psychologie, um das Grauen ringsum nicht an sich herankommen zu lassen – und guten Gewissens noch davon zu profitieren.

Die Hymne

Erschüttert wird dieses Programm schliesslich, als ein russischer High- und Fintech-Tycoon an Y. herantritt, mit der Bitte, einen Text zu vertonen, der zur neuen Nationalhymne werden soll – zu einer Hymne für Sieger. Dieser Text huldigt dem Krieg, feiert die Auslöschung Gazas ab und kündet von einer starken, auf Blut begründeten Gemeinschaft. Der Oligarch scheint unermesslich reich zu sein, so stünde Y. mit der Annahme dieses Auftrags ganz kurz vor der Erfüllung all seiner Träume.

Aber so leicht geht es denn doch nicht: Yasmin lehnt diesen Zynismus ab, und auch Y. ist davon verunsichert, so braucht er nun einen zusätzlichen Motivationsschub. Den holt er sich bei Leah, einer verflossenen Jugendliebe, die am Toten Meer wohnt. Sie ist über den Horror vom 7. Oktober bestens im Bild, weil sie entsprechende Berichte in alle möglichen Sprachen übersetzt hat. 

Mit ihr fährt Y. dann an die Grenze zu Gaza, wobei sie ihm sein fahrig-gleichgültiges Verhältnis zur Realität vorwirft und ihn schliesslich in einem schaurigen Stakkato mit blutigen Details des Massakers konfrontiert. Das reicht: Y. lässt Leah anhalten, steigt aus dem Auto und brüllt den entsetzlichen Text über die Grenze. Jetzt hat er quasi die offizielle Rechtfertigung, doch das Schuldgefühl weicht nicht aus dem Hinterkopf.

Rausch der Macht

In der Nacht der Uraufführung hat zunächst der Oligarch seinen Auftritt, wobei er sich als eine Art Rachegott inszeniert. Später wird er Y. wie auch das eigene Gefolge Sohlen lecken lassen. Dann hebt sich der Vorhang: Es wird ein Video abgespielt, in dem ein Kinderchor fröhlich die blutrünstige Hymne absingt. Yasmin darf sich ein sündhaft teures Geschenk aussuchen – von einer Liste, die auch dem Premierminister vorliegt. Y. ist am Ziel seiner Wünsche angelangt, aber er bleibt dabei wohl allein, denn Yasmin wird mit Noah nach Europa ziehen, um den Sohn vor dem nationalistischen Wahnsinn und seinen Konsequenzen zu bewahren.

Blick in den Spiegel

Auch der Regisseur Nadav Lapid lebt heute in Paris, weil er den Rausch nicht mehr erträgt, der seine Heimat im Bann hält. Sein neuer Film ist eine einzige Brandrede gegen eine Gesellschaft, die sich selbstgerecht gegen das Elend abschottet, das ihre Führer unter dem Vorwand von Sicherheitsinteressen verursachen. Das Bild in diesem Spiegel wird in der Tat vielen mächtigen Interessegruppen nicht gefallen. Das dürfte mit ein Grund sein, dass «Yes» in Cannes nicht im Wettbewerb, sondern nur in der Quinzaine gezeigt wurde. 

Ganz zu Unrecht, denn Lapid liefert fulminantes Kino mit höchster politischer wie sozialer Aktualität. In einem Interview mit Arte erwähnt der Regisseur, er habe eine «bulimische Erzählweise» gewählt. Das trifft es exakt, der Film ist überladen, überbordend, überdreht, ein Mix aus Genres und Codes, der einen über zweieinhalb Stunden kaum zu Atem kommen lässt. Und sein Urteil trifft keineswegs nur die israelische Gesellschaft, sondern die westlichen insgesamt, die genauso abgetaucht sind in eine Betäubung aus Konsum und Unterhaltung, während rund herum die Welt brennt.

Ab 16. Oktober in
Zürich: Kino Riffraff 
Aarau: Kino Freier Film
Bern: Kino Rex
Biel: Filmpodium Biel

Ab 23. Oktober in
Frauenfeld: Cinema Luna

Demnächst in
Luzern: Kino Bourbaki
Olten: Kino Lichtspiele
Schaan: Skino
St. Gallen: Kinok
Winterthur: Kino Cameo

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