Was es heisst, als hochbegabter Künstler in einer Diktatur zu leben und wider alle Wahrscheinlichkeit sogar zu überleben, das hat der vor fünfzig Jahren verstorbene Dmitri Schostakowitsch am eigenen Leib erfahren. Er hat es sogar in Töne gefasst. Einen guten Eindruck vermittelt die neue CD des mit Julia Fischer und Nils Mönkemeyer erweiterten Oliver Schnyder Trios.
Die Revolution ist jung, und Dmitri Schostakowitsch ist es auch. Der Vater ist früh gestorben, nur mit Mühe bringt die Mutter die Familie durch die auf den Umsturz 1917 folgenden Hungerjahre. Der hochbegabte, 1906 geborene Sohn Dmitri hilft mit, im Kino begleitet er Stummfilme auf dem Klavier. Bis bei ihm 1923 eine Tuberkulose diagnostiziert wird. Nach einer Operation muss er zur Kur auf die Krim und lernt dort Tanja Gliwenko kennen, seine erste grosse Liebe. Den Tag verbringen sie mit Schwimmen, Ballspielen und Spaziergängen, abends trifft man sich, um Schostakowitsch beim Musizieren zuzuhören. «Wie hätte man ihn nicht lieben können», sagt Tanja Gliwenko Jahrzehnte später, nach Schostakowitschs Tod im Jahr 1975. «Er war so unschuldig und aufrichtig und dachte immer an die anderen. So war er, als wir ihn kennenlernten, und so ist er bis an sein Lebensende geblieben.»
«Das Allertragischste im Schaffen Schostakowitschs»
Für Tanja komponiert Dmitri Schostakowitsch sein erstes Klaviertrio, ein wunderbar unbeschwertes, einsätziges Stück. Es bildet den Mittelteil einer CD, die das aus dem Geiger Andreas Janke, dem Cellisten Benjamin Nyffenegger und dem Pianisten Oliver Schnyder bestehende und nach Letzterem benannte Trio zusammen mit der Geigerin Julia Fischer und dem Bratschisten Nils Mönkemeyer herausgebracht hat und die mit dem Klavierquintett g-Moll op.57 und dem zweiten Klaviertrio e-Moll op. 67 zwei prägende und in ihrem Ernst und ihrer Trauer auch erschütternde Kammermusikwerke enthält.
Ganz besonders gilt dies für das zweite Klaviertrio, komponiert 1944 am Ende eines Krieges, der Millionen von Russen das Leben gekostet hatte. Diese Musik, hat der sowjetische Musikwissenschaftler Iwan Iwanowitsch Martynow gesagt, «ist wahrscheinlich das Allertragischste im Schaffen Schostakowitschs», denn hier bringe er «die Tragödie einer durch Tod und Qual hindurchgegangenen Generation zum Ausdruck». Schon der Anfang, ein Trauermarsch, unterstreicht mit ungewohnt hohen Tönen des Cellos den tiefernsten Charakter des Stücks, achtsam-innig musiziert das Oliver Schnyder Trio, bevor der zweite Satz wild darein fährt – und im dritten, einer Passacaglia, die Streicher über den Akkorden des Klaviers ihre klagenden Weisen singen. Ganz ungewöhnlich, aber wohldurchdacht dann das an die jüdische Musik angelehnte, beinahe ausgelassene, aber in seiner Tiefe auch unheimliche Finale. «Das besondere Merkmal der jüdischen Musik ist ihre Fähigkeit, eine fröhliche Melodie auf trauriger Intonierung aufzubauen», hat Schostakowitsch selber erklärt, für den die jüdische Musik «eine heimliche Sprache des Widerstands» war, wie Jeremy Eichler in seinem eindrücklichen Buch «Echo der Zeit» schreibt.
«Chaos statt Musik»: Die Jagd ist eröffnet
Offen durfte sich dieser Widerstand nicht artikulieren, und wegen eines auch in Russland weit verbreiteten Antisemitismus durfte man auch nicht an den Holocaust erinnern. Noch lebte der Diktator Stalin und noch war auch Schostakowitsch selber bedroht. 1948 wird ihm zum zweiten Mal «Formalismus» vorgeworfen werden, wieder werden sich Freunde eilig von ihm distanzieren – und sogar sein Sohn Maxim wird an der Musikschule gezwungen werden, seinen Vater zu verdammen.
Scheinbar wahllos haben schon in den Dreissigerjahren Stalins Schergen gewütet, und nach einem Besuch Stalins in einer Vorstellung von Schostakowitschs ausserordentlich erfolgreicher Oper «Lady Macbeth von Mzensk» schien auch sein Ende besiegelt: «Chaos statt Musik» überschrieb die «Prawda» einen namentlich nicht gezeichneten Artikel über die noch bei ihrer Premiere zwei Jahre zuvor auch von der russischen Kritik gerühmte Oper, der im bedrohlichen Satz gipfelte: «Dieses Spiel kann aber böse enden.» Im Juni 1937 erhielt Schostakowitsch eine Vorladung der Geheimpolizei, ein Offizier versuchte ihm einzureden, er habe einer Terroristengruppe angehört, die einen Anschlag auf Stalin geplant habe. Am Montag solle er wieder erscheinen und seine Mitverschworenen nennen. Wäre bis zu diesem Montag nicht der Geheimpolizist selber bereits erschossen worden, Schostakowitsch wäre wohl verhaftet worden.
Diesmal gibt Schostakowitsch nicht nach
So kennt der angesehene, 1940 für sein Klavierquintett sogar mit dem Stalinpreis ausgezeichnete Komponist die Angst seines Volkes gut, und bringt sie in seinen Werken immer wieder zum Ausdruck. Ohne Worte, aber von den Zuhörern ohne weiteres verstanden. Wie im ernsten, an Bachs klaren Linien sich orientierenden Klavierquintett. Und, nach Stalins Tod und seiner Verdammung durch den Nachfolger Chruschtschow, auch mit Worten. Es ist diese Geschichte, die Jeremy Eichler erzählt: Wie 1961 der junge Dichter Jewgeni Jewtuschenko die Schlucht von Babyn Jar bei Kiew besucht, wo zwanzig Jahre zuvor von den einrückenden Deutschen hunderttausende Jüdinnen und Juden ermordet worden waren. Unter tätiger Mithilfe vieler Ukrainer, weshalb Stalin auch verbot, über dieses grösste Massaker des Zweiten Weltkriegs zu sprechen.
Noch am Abend begann Jewtuschenko in seinem Hotelzimmer, ein Gedicht zu schreiben, das auch den russischen Antisemitismus klar benannte. Schostakowitsch wollte es sofort vertonen, auf seine Aufforderung hin dichtete Jewtuschenko zusätzlich «Ängste», das eine Zeit beschrieb, in der es anonyme Denunziationen gab und an deine Türe geklopft wurde. Kein Wunder, dass auch den neuen Machthabern diese in Schostakowitschs 13. Sinfonie vertonten Dichtungen nicht gefielen. «Ist das der richtige Zeitpunkt, um so ein Thema anzusprechen?», hielt Chruschtschow Jewtuschenko vor.
Schostakowitsch wurde geraten, die Uraufführung abzusagen, doch er weigerte sich. Als sich der Bassist mit verdächtigem Timing krank meldete, fand man rasch Ersatz. So versuchten Parteifunktionäre den Schaden zu begrenzen; in den Strassen rund um den Saal patrouillierten Spezialeinheiten der Armee, jemand schickte die angereisten Fernsehteams nach Hause. Trotzdem war der Saal voll – und das Publikum restlos begeistert.
Shostakovich: Piano Trios/Piano Quintet, Oliver Schnyder Trio, Julia Fischer, Nils Mönkemeyer, erschienen bei Prospero
Jeremy Eichler: Das Echo der Zeit. Die Musik und das Leben im Zeitalter der Weltkriege, Verlag Klett-Cotta, Stuttgart 2024