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Iran

Das Mullah-Regime am Scheideweg

24. Juni 2025
Reinhard Schulze
Ali Khamenei
Revolutionsführer Ali Khamenei bei einer Zeremonie zum 36. Todestag Ayatollah Khomeinis am 4. Juni 2025 in Teheran (Keystone/EPA/Handout des Büros Khameneis)

Im Duopol von zivilen und religiösen Machtstrukturen haben letztere immer mehr die Oberhand gewonnen. Die einzige interne Kraft, welche die drohende Diktatur der Revolutionsgarden abwenden könnte, ist das Militär. Der Ausgang des Machtkampfs ist offen.

Die US-amerikanischen Angriffe auf die drei iranischen Atomanlagen in Fordo, Natanz und Isfahan wurden lange erwartet. Und ebenso durften die USA erwarten, dass der Iran gesichtswahrend Vergeltung üben würde. Auch der Zeitpunkt des Unternehmens war absehbar. Mitte April hatte der amerikanische Präsident Trump dem Iran ein Ultimatum gesetzt: Innerhalb von sechzig Tagen sollte der Iran einer Einstellung seines Atomprogramms zustimmen. Mitte Juni lief die Frist ab. Wenig später entschied sich Trump zum Angriff. 

Es ist wahrscheinlich, dass die iranische Führung dafür gesorgt hat, dass die wichtigsten Bereiche ihrer Atomtechnologie samt Apparaturen geschützt oder aus den gefährdeten Abteilungen abtransportiert wurden. Schliesslich durften sie auch damit rechnen, dass die USA zunächst die GBU-43/B, auch «Mutter aller Bomben» genannt, in einem Kriegsgeschehen einsetzen würden. Tatsächlich waren die Tarnkappenbomber, die jeweils zwei dieser Bomben transportieren können, bereits unterwegs, als Trump in Florida Golf spielte.

Trotz aller Vorsorgemassnahmen dürften die Resultate der sechs Moab-Einschläge (Massive Ordnance Air Blast) und der Tomahawk-Marschflugkörper verheerend gewesen sein. Bislang kann niemand sagen, ob damit das Ziel erreicht wurde, das iranische Atomprogramm zu besiegen. Wahrscheinlich wussten dies anfangs nicht einmal die iranischen Militärs.

Deeskalierender Angriff – aber: Wir können auch anders

Der Iran reagierte zunächst rein operationell und schickte eine Salve von Raketen auf israelisches Territorium. Am Abend des 23. Juni wurden auf Anweisung zehn Raketen auf den US-Luftwaffenstützpunkt al-Udaid in Katar abgefeuert. Katar wurde im Voraus vorsorglich informiert und auch die Amerikaner konnten in aller Ruhe Flugzeuge verlegen. Bis auf eine kurze Panik unter Kunden in einem Supermarkt in Doha kam niemand zu Schaden. Offenbar wurden alle Raketen abgefangen. Die Arabische Liga protestierte gegen die Verletzung des katarischen Luftraums, doch der iranische Aussenminister Araghtschi beeilte sich zu erklären, dass die Freundschaft zwischen dem Iran und Katar nicht betroffen sei.

Die iranischen Raketen, die auf US-amerikanische Einrichtungen zielten, kodieren gleich mehrere Botschaften: Der Iran kontrolliert die Eskalation; der Iran kann reagieren; das Regime ist intakt; es handelte sich nur um warnende Vorzeichen; der Iran beherrscht die Kunst, mit Raketen zu «deeskalieren»; was als Niederlage erscheint, ist in Wirklichkeit ein Sieg; die Macht gehört den Revolutionsgarden – und es wurde signalisiert: Wir Garden können auch anders. Euphorisch proklamierten die Garden ihre Angriffe als «Vorboten des Sieges».

Kluft zwischen Regierung und Revolutionsgarden

Ganz offensichtlich spiegelt diese Deutung einen Kompromiss zwischen der kriegerischen Offensivstrategie der Revolutionsgarden und der Defensivhaltung der Regierung wider. Eine strategisch eingebettete Reaktion ist bislang noch nicht zu erkennen. Das liegt wohl daran, dass genau diese Strategie intern heftig umstritten ist. Hier sind die Interessen der islamischen Revolutionsgarden massgeblich. Sie haben deutlich gemacht, dass der Krieg eine religiös-ideologische Notwendigkeit sei. Der israelische Angriff müsse daher umgedeutet und in eine Kriegsstrategie umgelenkt werden, die dem ideologischen Ansinnen der Revolutionsgarden entspricht. 

Damit öffnet sich die Kluft zwischen der iranischen Regierungspolitik und der ideologischen Welt der Revolutionsgarden, die das iranische System repräsentieren wollen. Während die israelische Kriegspolitik immer stärker in ideologisches Fahrwasser gerät und dadurch nach und nach die ursprünglichen Kriegsziele, die aus dem Notstand vom 7. Oktober 2023 entstanden sind, erweitert und nun auch den Sturz des Regimes in Teheran ins Spiel bringt, radikalisieren auch die Revolutionsgarden die iranischen Kriegsziele und propagieren den Übergang zu einer offensiven Kriegspolitik. 

Garden sehen sich durch US-Angriff bestätigt

Die US-amerikanischen Angriffe werden als Bestätigung der Notwendigkeit dieser ideologischen Sichtweisen gelesen. Sie scheinen den Garden recht zu geben. Zwar ist auch das religiös-ideologische Profil der Revolutionsgarden nicht einheitlich, doch gibt es einen Konsens über eine offensive Grundhaltung. Vor allem die in den al-Quds-Brigaden organisierten Fraktionen, die massgeblich die Auslandsorganisation der Garden bestimmen, pochen auf diese offensive Strategie.

Die Regierung der Islamischen Republik hingegen verlangt eine defensive Strategie. Präsident Peseschkian sieht sich als Bewahrer der iranischen Nation: Deren Bestand und historischer Auftrag, die Nation in einer imperialen Ordnung zu verwirklichen, dürfen durch den Krieg nicht gefährdet werden. Daher müsse den Verhandlungen gegenüber einem militärischen Vorgehen ein Primat eingeräumt werden. Nur so sei der Kollaps abzuwenden, der der iranischen Wirtschaft durch die Sanktionen droht. 

Der Arzt Peseschkian will den Iran und damit das System der Islamischen Republik durch die Wirtschaft retten. Die Leitfiguren der Revolutionsgarden sehen hingegen allein im offensiven Krieg die Möglichkeit, den messianischen Grundauftrag der Islamischen Republik, den Khamenei radikalisiert hatte, umzusetzen. Während Peseschkian einen nationalistischen Konservativismus vertritt, sehen sich die Garden einem religiösen Ultranationalismus verpflichtet.

Vorherrschaft der schiitischen über die zivile Ordnung

Der Bruch innerhalb der Ordnung der Islamischen Republik reicht tief und vertieft sich durch den Krieg noch weiter. Infolge könnte er sogar den Bestand der Ordnung der Islamischen Republik gefährden. Hier muss noch einmal in Erinnerung gerufen werden, dass die Ordnung der Islamischen Republik, die in der Verfassung von 1979 festgeschrieben wurde, auf einer dualen Machtteilung beruht: einerseits auf der Idee einer zivilen Republik, die explizit als Gegenentwurf zur kaiserlichen Herrschaftsordnung der Pahlavis gedacht war, und andererseits auf der Idee einer schiitisch-islamischen Ordnung, die den Staatszweck Irans mit der messianischen Hoffnung auf die Wiederkehr des verborgenen Imams verbindet und somit eine messianische Politik verfolgt. 

Diese schiitisch-islamische Ordnung hat ihre eigene Exekutive, die durch die Revolutionsgarden und die mit ihnen verbundenen Organisationen vertreten wird. Sie verfügt auch über eine eigene Militärmacht, die bei der Ausrüstung mit Waffen und Technologien eine Vorzugsbehandlung geniesst. Die islamische Ordnung agiert über ein eigenes politisches Programm und ist im Klerus fest verankert. Sie ist in weiten Bereichen der iranischen Gesellschaft präsent und vor allem auch in der Wirtschaft dominant. Sie ist die tragende Kraft der messianischen Ideologie, mit der das Regime der Islamischen Republik begründet wurde und die sich den Namen «Islamische Revolution» gegeben hat.

Gefahr eines schleichenden Putschs

De facto haben die Revolutionsgarden bereits vor über drei Jahren die politische Kontrolle über die Exekutive übernommen. Diese kann sich nun nur noch schwach als eigenständige Macht artikulieren. Nun droht eine offene Machtübernahme der Garden, die zum Zusammenbruch der dualen Ordnung der Islamischen Republik führen würde. Damit würde sich jedoch auch das filigrane System des internen Machtausgleichs auflösen, das die Ordnung der Islamischen Republik bislang im Gleichgewicht hielt. 

Zudem würde dies bedeuten, dass sich in der iranischen Politik eine offensive Strategie als Reaktion auf US-amerikanische und israelische Angriffe durchsetzen könnte. Da eine offensive Strategie kaum noch über Raketenangriffe auf Israel bewerkstelligt werden kann, könnten in näherer Zukunft US-amerikanische Einrichtungen und bewegliche Ziele im Golf ins Visier genommen werden. Es ist somit wahrscheinlicher geworden, dass die Revolutionsgarden die Strasse von Hormus als strategisches Ziel wählen werden.

Innenpolitisch würde dies einer Entmachtung der Regierung und einem schleichenden Putsch gleichkommen. Die Regierung könnte zur Marionette der Revolutionsgarden werden. Doch noch benötigen die Garden die Deckung durch die Regierung. Der Weg zur Diktatur der Revolutionsgarden ist jedoch bereits geebnet. Einen Ausweg aus dem Krieg, der zum Normalzustand zu werden droht, kennen auch die Revolutionsgarden nicht – selbst wenn dies das Ende der Islamischen Republik bedeuten würde. Die Zustimmung zur Einstellung der Luftangriffe auf Israel ist daher nicht als Exitplan zu verstehen. Die Revolutionsgarden werden sich den kurz- und längerfristigen Verzicht auf Offensivhandlungen teuer bezahlen lassen.

Machtfaktor Militär

Innerhalb der iranischen Regierung mehren sich jedoch die Anzeichen, dass eine solche schleichende Machtübernahme nicht unwidersprochen bleibt. Besonders im Militär regt sich Opposition. Das reguläre Militär ist formal fast siebenmal so stark wie die Revolutionsgarden, spielte im Konfliktgeschehen bislang jedoch eher eine untergeordnete Rolle. Es ist nicht auszuschliessen, dass sich im Militär Strukturen gebildet haben, die aktiviert werden können, wenn es darum geht, «die Nation zu retten». Im Bunde mit Teilen der Zivilregierung wäre sogar ein Staatsstreich denkbar, um die alte Ordnung der Islamischen Republik zu retten. Ob die neu ernannte Armeeführung hierbei eine Rolle spielen könnte, ist unklar.

Die duale Ordnung der Islamischen Republik, die über 45 Jahre lang den Bestand des Iran als imperialen Staat sichergestellt hat, ist inzwischen weitgehend erodiert und droht zu implodieren. Mit ursächlich hierfür ist der Revolutionsführer Ali Khamenei, der in den letzten Jahren massgeblich dazu beigetragen hat, dass sich die Machtgewichte zugunsten der Revolutionsgarden verschoben haben. Er hat die systemimmanente Neutralität der «Revolutionsführung» aufgegeben und damit ihre ausgleichende Funktion weitgehend geschwächt. Daher ist er angesichts der drohenden Gefährdung seiner Person jetzt gezwungen, dafür Sorge zu tragen, dass das Amt einen etwaigen Angriff auf seine Person überdauert. So hat er nun den 88-köpfigen Expertenrat beauftragt, Vorkehrungen für eine schnelle Nachfolgeregelung zu treffen. Angeblich hat er dem Expertenrat eine Dreierliste als «Vorschlag» vorgelegt. Die Namen wurden nicht veröffentlicht, doch allem Vernehmen nach soll die Liste garantieren, dass der Kurs Khameneis weitergeführt wird und die Revolutionsgarden ihre parastaatliche Machtstellung wahren können.

Offener Ausgang des Machtkampfs

In dem komplexen Machtapparat dürfte ein Machtkampf um die richtige Antwort auf die israelischen und US-amerikanischen Angriffe sowie die richtige Strategie toben. Der Ausgang ist offen. Möglicherweise wird ein iranischer Kompromiss des Sowohl-als-auch gewählt: Um das Regierungslager zu befrieden, werden die Revolutionsgarden Verhandlungsangeboten nicht entgegenstehen. Um die Revolutionsgarden nicht zu einem offenen Putsch herauszufordern, wird die Regierung militärische Gegenschläge zulassen.

Die iranische Gesellschaft ist das tragische Opfer dieses Machtkampfs und der wachsenden Repression durch die Revolutionsgarden, die die Chance sehen, ihre Diktatur auszubauen. Sie ist aber auch Opfer des Kriegs und damit in einer schier ausweglosen Situation.

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