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Satyrikon [2]

Christoph Sünneli schreibt aus der Klinik

3. April 2011
Dante Andrea Franzetti
Die Sonne blendete. Etwas Metallisches leitete das grelle Licht direkt in seine Augen. Christoph Sünneli hielt sich den Handrücken vors Gesicht, der Wagen knallte gegen einen Pfosten.

Sünneli war ein bekannter Politiker, und so erreichte die Meldung des Unfalls Roger Rightwing auf der Redaktion sehr schnell.

Sünnelis Kolumne musste ausfallen.

Jetzt waren aber etliche Tage vergangen, Sünneli klimperte schon wieder auf seinem Computer. Als Begleitbrief zur neuen Kolumne stand nur in Grossbuchstaben: ROGER, DAS WIRD EINE SENSATION. ICH BIN SOZIALIST.

Tatsächlich trug der Text den seltsamen Titel: “Wie ich sehend wurde, als ich blind war”. Das bezog sich wohl auf Sünnelis Koma.

Roger überflog.

Roger überflog.

Der Typ war übergeschnappt.

Ignorieren? Nicht abdrucken? Das ging nicht. An der nächsten Fernsehdebatte würde Sünneli ihn zerfleischen. Liberales Blatt, ha ha. Blocherpostille! Hetzschrift! Roger las nochmals.

Sünneli berichtete, wie er nach dem Unfall aus dem Koma erwacht war und nicht mehr wusste, wer oder was er sei. Sein Diener aus der Abteilung Skelettkunst des Medizinhistorischen Instituts brachte ihm darauf mehrere Ausgaben von Roger Rightwings Zeitschrift, für die Sünneli seit Jahren Kolumnen schrieb. Die neueste hörte sich anders an: “Ich sah mich um und blickte in die Augen der fürsorglichen Krankenschwestern, oft Tamilinnen oder Inderinnen, die mich liebevoll umsorgten…”, schrieb er aus der Klinik.

Der reinste Kitsch! Xenophilie! Verliebtheit in die Fremden.

Roger raufte sich die Haare.

“Ich verachtete, was ich von diesem Sünneli, der ich gewesen sein soll, in der Zeitschrift las. Ich verachtete überhaupt die ganze Zeitschrift mit ihrer Häme über Sozialfälle, falsche oder richtige Invalide oder andere Menschen am Rande (zu denen, nebenbei, auch die Kranken gehören). Diese Wortwahl! Diese Überheblichkeit! Wer bringt mir hier im Spital die Pfanne, damit ich scheissen kann? Die Philippinin! Wer kleidet mich, duscht mich, rollt mich herum? Die Frau aus Nigeria. Und wer schnauzt mich an? Die einzige Schweizerin auf der Abteilung. Ich erkenne mich in meinen verächtlichen Kommentaren nicht wieder. Ich schäme mich. Ich entschuldige mich.”

Der Text schloss mit einem Dank an die Gutmenschen, die er als Schwester Soundso und Hilfspflegerin Soundso alle namentlich erwähnte. “Wir werden nicht länger bestehen, wenn wir nicht sozialistisch zu denken lernen, wie es meine Pflegerinnen auf ganz natürliche Weise tun. Nur ein solcher Sozialismus mit Herz kann in unsere profitkalte Welt etwas Wärme bringen.”

Es war kein Scherz! Sünneli hatte Roger den Text am Telefon bestätigt, war aber zu müde (“in schwesterlicher Wärme versunken”), um zu diskutieren. Nun gut, Titel und Lead sind das Filetstück, und dafür ist Roger zuständig. Er überlegte nicht lange und schrieb.

“HEUCHLERISCHE HELFER. Christoph Sünneli meldet sich aus der Klinik. Er tut es mit einer ätzenden Parodie auf unsere esoterischen Sozialisten im Spitaldienst, den schlimmsten Kostentreibern des Gesundheitswesens. Wenn so entlarvende Texte entstehen, kann ich nur gratulieren. Dein Unfall, lieber Christoph, war ein Glücksfall.”

Gut!

Sehr gut!

Wie wir den Irren loswerden, sehen wir später.

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