Es war eine Wahl zwischen ganz rechts und moderat links: Gewonnen hat die Stichwahl erwartungsgemäss der rechtsradikale Hardliner Antonio Kast, ein Anhänger von Trump und einstiger Unterstützer des chilenischen Militärregimes von Augusto Pinochet.
Kast, dessen Vater ein Nazi-Wehrmachtsoffizier war und nach dem Krieg nach Chile flüchtete, kam auf 58 Prozent der Stimmen. Seine Herausforderin, die amtierende Arbeitsministerin Jeannette Jara von der Kommunistischen Partei, erreichte 41 Prozent. Das Resultat war in etwa so erwartet worden.
Es war die dritte Kandidatur von Antonio Kast. Obwohl er schon 16 Jahre im Parlament sitzt, hat er kaum politische Erfahrung und stiess keine einzige wichtige Gesetzesvorlage an. Er ist ein hartgesottener Katholik, ist gegen Empfängnisverhütung, hat neun Kinder, stimmte gegen die Legalisierung der Scheidung und ist gegen die Lockerung des Abtreibungsverbots.
«Der gemässigte Demokrat»
Am 5. Oktober 1988 hatte er in einem Referendum für den Fortbestand der Militärdiktatur von Augusto Pinochet gestimmt. Zudem besuchte er ehemalige Mitglieder der chilenischen Militärpolizei im Gefängnis. Sie waren für Erschiessungen und Folterungen verurteilt worden. Pinochet hatte am 11. September 1973 den demokratisch gewählten linken Präsidenten Salvador Allende gestürzt und anschliessend ein Terrorregime errichtet. Unter seiner Herrschaft fanden in Chile schwerste Menschenrechtsverletzungen statt. Nachgewiesen sind mindestens 2’000 Morde und Zehntausende Fälle von Folter. Tausende Menschen «verschwanden». Kast hatte sich nie von diesen Gräueltaten distanziert. Im Wahlkampf gab er sich jetzt als gemässigter Demokrat.
Jeannette Jara trat nicht als Kandidatin der Kommunistischen Partei an, sondern für ein breites Mitte-Links-Bündnis. Sie hatte im ersten Wahlgang am 16. November mit 26,8 Prozent am meisten Stimmen erhalten. Auf Kast entfielen damals 23,9 Prozent. Die anderen Kandidaten, die sich nicht für die Stichwahl qualifizierten (so der Ökonom Franco Parisi, der Rechtsextreme Johannes Kayser, aber auch die sozialliberale Evelyn Matthei) empfahlen für die Stichwahl Antonio Kast. Er konnte also in der gestrigen Stichwahl mit einem Wählerpotential von insgesamt weit über 50 Prozent rechnen.’’
Jara, die in dem slumartigen Viertel El Cortijo von Santiago aufwuchs, machte schnell in der Jugend- und Studentenorganisation der wieder zugelassenen Kommunistischen Partei Karriere. Die Bezeichnung «Kommunismus» hat in Lateinamerika oft nicht die gleiche Bedeutung wie in Europa. Vor allem hat die Partei nichts mit dem Sowjetkommunismus zu tun. Jeannette Jara, eine sehr pragmatische, fast schon charismatische Frau, könnte auch als linke Sozialdemokratin bezeichnet werden, die stets einen versöhnlichen Ton anschlägt. Auf die Fahnen geschrieben hat sie sich den Kampf gegen die Armut, für eine bessere Sozial- und Gesundheitsversicherung. Der jetzt abtretende Präsident, der Linke Gabriel Boric, hatte die jetzt 51-Jährige zur Arbeitsministerin ernannt.
Während Trump eine Mauer an der mexikanischen Grenze bauen will, um Migranten abzuwehren, schlug Kast vor, an der nördlichen Grenze zu Peru und Bolivien einen Graben ausheben zu lassen. Der Kampf gegen Migranten ist eines seiner Hauptthemen. Im 20-Millionen-Land Chile leben knapp 400’000 Migranten ohne Papiere. Die meisten kommen aus Venezuela und sind Flüchtlinge der Diktatur Maduro. Auch die venezolanische Drogenmafia soll begonnen haben, sich auch in Chile breit zu machen.
Die Migranten, die Verbrecher
Kast schürte im Wahlkampf die Angst vor Kriminalität. Kürzlich trat er an einer Wahlveranstaltung hinter Panzerglas auf und erklärte, sein Leben sei in Gefahr. Täglich erzählt er von Raubüberfällen, Schiessereien und Vergewaltigungen. Dem Rechtsradikalen gelang es, in seinen Wahlkampfreden alle Migranten zu Verbrechern zu machen.
Die Regierung in Washington stuft Chile als «Level 2» ein, also: «erhöhte Vorsicht» wegen Kriminalität und zivilen Unruhen. Die Zahl der Mordopfer hat sich in den letzten zehn Jahren verdoppelt, doch ist sie immer noch viel kleiner als im Nachbarland Brasilien, wo sie drei Mal so hoch ist. Obwohl Chile noch eines der sichersten lateinamerikanischen Länder ist, fühlen sich laut Umfragen 70 Prozent der Chilenen und Chileninnen nicht mehr sicher. Kast schürt und bewirtschaftet diese Ängste.
Glückloser Boric
Der Sieg von Kast ist auch eine Niederlage des jetzigen Präsidenten Gabriel Boric. Er, der einst jüngste Präsident des Landes, hatte 2022 im Wahlkampf sehr viel versprochen – und kaum etwas gehalten.
Chile geht es wirtschaftlich besser als den meisten lateinamerikanischen Ländern. Die Armutsrate ist deutlich gesunken. Aber noch immer leben laut Weltbank 6,5 Prozent der Bevölkerung unter der definierten Armutsgrenze. Nach wie vor herrscht eine krasse Ungleichheit in der Bevölkerung. Die Gesundheitsvorsorge ist schlecht, die Preise sind landesweit gestiegen. Zwar hat Jeannette Jara den Mindestlohn leicht angehoben, aber er ist mit umgerechnet etwa 460 Franken immer noch sehr tief. Kast hat im Wahlkampf vor allem die Armen und nicht Privilegierten angesprochen.
Grenzzäune, Massenabschiebungen
In Chile gilt nach wie vor eine Verfassung aus der Ära der Pinochet-Diktatur. Boric hatte versprochen, diese zu ändern. Er scheiterte jedoch zweimal. Der ultrarechten Republikanischen Partei von Antonio Kast war es gelungen, das Vorhaben zu Fall zu bringen. Sie hatte argumentiert, der Verfassungsentwurf trage eine «linke Handschrift». Die Enttäuschung über die Bilanz von Gabriel Boric ist einer der Hauptgründe, dass viele Chileninnen und Chilenen sich jetzt von den Linken – und damit von Jeannette Jara – abgewendet haben.
Was ist von Antonio Kast zu erwarten? Er steht nicht nur dem Argentinier Javier Milei und dem Amerikaner Donald Trump nahe. Immer wieder zeigte er Sympathien für den abgewählten und jetzt zu langjähriger Haft verurteilten Brasilianer Jair Bolsonaro. Der jetzige Sieger in Chile hat Grenzzäune gegen Migranten und Massenabschiebungen angekündigt. Linke Kreise befürchten, dass er einige der Pinochet-Schergen begnadigen wird.
Kast war gewählt worden, weil die Mehrheit der Bevölkerung Angst vor der Kriminalität hat. Die Linke hat Angst, dass der neue Präsident Gesetze aushebelt, sich über sie hinwegsetzt und autoritär regieren wird.